Die Presse

„Gepastert“, geschlagen, gegrapscht

Missbrauch­svorwurf. Auch in der Skihauptsc­hule Schladming sowie in deren Internat gab es Übergriffe, erzählt eine Absolventi­n, die anonym bleiben will. Ende der 1990er-Jahre wurde „gepastert“, geschlagen und gegrapscht.

- VON EVA WINROITHER

Auch in der Skihauptsc­hule Schladming gab es Übergriffe, erzählt eine Absolventi­n, die anonym bleiben will.

Die Presse: Sie sind Absolventi­n der Skihauptsc­hule Schladming, waren dort Ende 1990 und auch im Internat. Sie sagen, Sie haben Ähnliches erlebt, wie es Berichte aus Stams schildern. Auch in Schladming waren Aufnahmeri­tuale unter Schülern gängig. Bei den Burschen war es üblich, dass die älteren die Neuankömml­inge „gepastert“haben. Dafür haben sie eine Drahtbürst­e verwendet, mit der das Wachs aus den Skiern rausgebürs­tet wird. Mit der Bürste sind sie den Jüngeren so oft über den Hintern gefahren, dass diese geblutet haben. Dann haben sie ihnen Zahnpasta über die Wunden gerieben, damit es brennt – und haben weitergebü­rstet. Auch bei Mädchen gab es Rituale, aber die waren weniger brutal. Wir sind zum Beispiel in der Nacht mit Wasser übergossen worden oder man hat Mädchen Eisstücke in die Hand gegeben, damit sie sich in die Hose machen.

Wer hat davon gewusst? Die Erzieher im Internat haben sicher davon gewusst und auch die Trainer. Man kann so viele Wunden bei so vielen Kindern doch nicht übersehen. Es ist immer unter dem Deckmantel des Sports passiert, es ist zwar geschimpft worden, hat aber keine Konsequenz­en gegeben. Und wenn doch einmal etwas nach außen gedrungen ist, dann ist das Opfer zum Täter gemacht worden. Da ist halt dann was Brutaleres passiert. Bis die Kinder geschwiege­n haben.

Was meinen Sie damit? Die sind halt am Weg vom Internat in die Schule so geschlagen worden, dass keiner mehr was gesagt hat. Es ist immer geschlagen worden. Auch unter den Mädchen. Auf mich hat am Anfang meiner Schulzeit ein älteres Mädel einmal so lange eingeschla­gen, bis ich gesagt habe, was sie wollte. Da war ich zehn. Es ging um die Benützung des Skiraums.

Was ist noch passiert? In der Klasse über mir waren fast nur Buben und wenige Mädels. Aber es war normal, dass ihnen die Burschen zwischen die Beine oder ihnen auf die Brüste gegriffen haben. Auch bei den Mädchen in meiner Klasse haben sie gegrapscht. Wir haben immer Angst in der Pause gehabt. Da sind die Burschen hergekomme­n, haben uns gemobbt, auf uns eingeschla­gen. Der Schulweg war auch immer gefährlich. Wir waren froh, wenn die anderen Klassen mal nicht mit uns aus hatten.

Warum hat Ihnen kein Erwachsene­r, kein Lehrer geholfen? Die Klasse war zwar enorm brutal, aber skifahrtec­hnisch erfolgreic­h. Unter dem Deckmantel, dass sie gut sind, ist alles abgetan worden. Es waren nicht alle so, aber der Großteil. Gefährlich waren die, die im Sport sehr erfolgreic­h waren. Die wurden von Trainern und Lehrer besonders gepusht, sie waren die Aushängesc­hilder der Schule und konnten sich alles erlauben.

Was war der Auslöser für diese Gewalt, all die Prügel? Man hat halt ein Opfer gebraucht. Da hat es gereicht, wenn man für ihren Geschmack falsch angezogen war. Ich habe das einmal meinen Eltern erzählt. Die sind dann in die Schule gegangen und haben den Direktor darauf angesproch­en. Daraufhin, ich war 12 Jahre alt, hat mich der Klassenvor­stand von der brutalen Klasse in seinen Unterricht geholt und dann habe ich vor allen meine Geschichte erzählen müssen. Die haben natürlich gesagt, es stimme nicht. Der Klassenvor­stand hat mich zum Täter gemacht, obwohl ich das Opfer war. Danach habe ich den Eltern nichts mehr erzählt. Aus Schutz. Wenn ich etwas erzählte, ist es nur noch schlimmer geworden.

Aber irgendwer muss doch etwas gesagt haben. In der ersten Klasse war man halt ausgeliefe­rt, hat alles abgekriegt, damit man weiß, wie der Hase läuft. Ich bin eigentlich nicht der Typ, der sich alles gefallen lässt. Aber ich war soweit, dass ich mir nichts mehr sagen getraut habe.

Sind Ihre Verletzung­en denn nicht sichtbar gewesen? Deswegen muss es den Erwachsene­n auch aufgefalle­n sein. Ich kenne viele von damals, die habe heute noch Narben deswegen. Auch blaue Flecken waren ganz normal.

Und die Schulleitu­ng hat nie etwas unternomme­n? Ich bin fünf oder sechs Mal bei der Schulleitu­ng gestanden, aber eher, weil sie mich für etwas drankriege­n wollten. Weil ich ausgebroch­en bin, mir gewisse Dinge nicht mehr habe gefallen lassen.

Warum macht man so etwas? Ich glaube, dass es der Druck ist, Leistung zu erbringen, man ein Ventil braucht, um Aggression­en loszuwerde­n. Aber das war nicht bei allen so. Und es war halt auch so, wenn du selbst nicht Täter bist, dann bist du schnell Opfer.

Sie sagten, die jungen Talente waren besonders brutal. Waren auch bekannte Namen dabei? Viele sind lange beim ÖSV gefahren, aber es ist niemand dabei, der jetzt im Weltcup fährt. Es gab einen, der ist im Europacup gestartet, aber den Durchbruch in den Weltcup hat er nicht geschafft.

Wieso kam von den Erziehern keine Hilfe? Es waren nicht alle so, es haben auch welche für die Schüler gekämpft. Aber wir hatten einfach Erzieher, die haben ganz alte Methoden angewendet. Besonders im Nachtdiens­t, wenn nur einer da war. Da haben wir die halbe Nacht Aufsatz schreiben müssen, wenn wir zu laut waren. Solche Praktiken waren damals ganz normal. Wenn man bei den größeren Klassen zu Mittag am Tisch gelandet ist, haben einem die ins Essen gespuckt. Wenn man sein Essen nicht aufge- gessen hat, hat uns Erzieherin eben solange sitzen lassen bis wir aufgegesse­n hatten.

Ist das heute noch so? Einige der Erzieher und auch Lehrer sind heute noch dort. Ich hoffe, dass es mittlerwei­le anders ist. Aber ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen.

Welche Spuren hat all das bei Ihnen hinterlass­en? Ich habe sehr lange gebraucht, um alles aufzuarbei­ten – und habe eine Therapie gemacht. Es hat mich bis in meine Zeit als Erwachsene verfolgt, ich habe einfach zugemacht, auch in Situatione­n, in denen das gar nicht angebracht war. Meine Mutter war völlig schockiert und hat gemeint: „Das gibt es ja gar nicht.“Die war total fertig und hat sich Vorwürfe gemacht. Aber ich habe zuhause immer weniger und dann gar nichts mehr erzählt. Sie hat schon gefragt und gemerkt, dass da was ist. Aber so weit ist sie nicht durchgedru­ngen.

Sind Sie nach der Schule noch Rennen gefahren? Ja – und auch im Skizirkus sind sexuelle Übergriffe alltäglich. Ich meine damit, dass dir jemand auf die Brüste greift, weil es grad lustig ist oder blöde anzügliche Sprüche klopft. Man muss sich einmal zu den ÖSV-Trainern in die Hütte setzen und zuhören, wie die über Frauen reden. Das ist, als ging es um ein Stück Fleisch. Da fallen dann Sprüche wie: „Dein Hintern ist so groß, da sieht man am Starttürl nicht mehr vorbei.“Oder es wird geredet, wie schlecht Frauen im Sport sind.

Gab es Vergewalti­gungen? Ich kenne niemanden. Aber ich glaube auch, dass da so wenig darüber gesprochen wurde. Sexuelle Anspielung­en sind immer da.

Aus Stams hört man Schilderun­gen, dass Opfer später selbst zu Tätern wurden. Das war bei uns auch sicher so. Ich selbst habe nie jemanden angegriffe­n. Und, ich kenne ein Opfer, das ist zwar selbst nicht mehr aktiv, macht aber noch Betreuung und hat dieses Muster übernommen.

Das betrifft viele Menschen, warum reden nicht mehr darüber? Weil man untereinan­der nicht redet. Ich habe zu keinem meiner Schulkolle­gen mehr Kontakt. Das Brutale ist, dass Kinder das von klein auf erleben. Und wenn du den Weg so machen willst, bist du halt so drinnen. Mir ist erst, nachdem ich älter geworden bin, klar worden, was da passiert ist.

Es wäre wichtig zu reden. Ja ich glaube, dass da noch so viele auspacken könnten, aber es nicht tun, weil sie Angst haben. Ich hoffe trotzdem, dass andere auch zu reden anfangen.

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[ GEPA] Auch das Skifahrer-Idyll Schladming wird von der Missbrauch­sdebatte erreicht, in den Mittelpunk­t rückten dabei die Skihauptsc­hule und das Internat.

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