„Ich bin Ötzi! Nur ohne Haare“
Film. In Felix Randaus Rachedrama „Der Mann aus dem Eis“spielt Jürgen Vogel den Gletschermann Ötzi in dessen letzten Tagen. Ein Gespräch über das Überleben in der Wildnis, Schauspielern ohne Sprache und den Wunsch nach Erlösung.
JIn Felix Randaus Rachedrama „Der Mann aus dem Eis“spielt Jürgen Vogel den Gletschermann Ötzi in dessen letzten Tagen. Ein Gespräch.
Ein Schuss von hinten, aus vielleicht 40 Metern, in die linke Schulter. Die Pfeilspitze durchbohrt eine Arterie, das Blut fließt: Woran Ötzi vor rund 5300 Jahren in einer eisigen Felsmulde am Südtiroler Tisenjoch starb, ist mittlerweile gut erforscht. Auch über die Umstände seiner Ermordung und den Nahkampf davor gibt es – dank ausführlicher Untersuchungen seines Körpers und seiner Habseligkeiten – zuverlässige Erkenntnisse. Über die Lebensweise des Ötzi ist schon weniger bekannt, und was ihn antrieb, was er an jenem Tag überhaupt am Tisenjoch zu suchen hatte, lässt viel Raum für Spekulationen. Der deutsche Regisseur Felix Randau präsentiert seine Version der letzten Tage Ötzis auf besonders eindrucksvolle Weise: Als archaisches Rachedrama. Ötzi ist hier ein Stammesanführer und Jäger, der alles verliert, als brutale Angreifer seine Familie ermorden, seine Siedlung anzünden und einen kultisch verehrten Gegenstand stehlen. Einzig ein Neugeborenes hat die Attacke überlebt, mit ihm im Gepäck zieht Ötzi – der hier Kelab heißt – über verschneite Gebirgskämme und durch unwirtliche Schluchten, um Vergeltung zu üben. Gespielt wird er von Jürgen Vogel, der mit der Gletschermumie zwar nicht genetisch, wohl aber emotional verbunden ist.
Die Presse: Wir wissen nicht sehr viel über die Lebensweise des Ötzi, geschweige denn, wie er als Mensch war. Wie haben Sie sich in ihn hineinversetzt? Jürgen Vogel: Ich war von Anfang an gefesselt vom Drehbuch. Es ist eine Geschichte, die jeder nachvollziehen kann. Ich kann jeden Schritt, den Ötzi macht, begreifen, ich weiß genau, warum er das tut. Insofern war das für mich auch sehr einfach auszuführen: Ich musste nur der Geschichte folgen.
Ist Ötzi dem modernen Menschen vielleicht gar nicht so unähnlich? Ja, das war meine Erkenntnis. Was ihm widerfährt, und die Art, wie er darauf reagiert, sind mir wahnsinnig nah. Diese Grund- emotionen, Ängste, Träume und der Wunsch nach Erlösung – das sind Dinge, die uns heute auch noch beschäftigen und wahrscheinlich auch in der Zukunft immer beschäftigen werden.
Ötzi ist im Film aber auch ein barbarischer Rächer.
Konrad Paul Liessmann, Philosoph
Auch das könnte heute im Schwarzwald oder im Bregenzer Wald passieren. Ich glaube nicht, dass sich der Mensch wahnsinnig verändert hat. Die Uremotionen sind immer noch ähnlich. Leider!
Hat Sie das beängstigt? Ich versuche nie zu werten. Ich denke nicht darüber nach, ob etwas richtig oder falsch ist, sondern ob ich es verstehen kann. Und ich konnte alles verstehen. Was Ötzi durchmacht, und wie er darauf reagiert, das ist einfach menschlich. Ob das gut oder schlecht ist, überlasse ich anderen.
Ist der Mensch im Grunde ein Einzelgänger? Das ist er zwangsläufig auch dadurch, dass er früher als Jäger oft alleine unterwegs war. Du willst das Wild ja nicht verjagen! Es geht im Film auch um die Spiritualität des Ötzi: Er will nicht nur seine Familie rächen, sondern auch eine gestohlene Schatulle, die ihm viel bedeutet, zurückholen. Warum ist ihm das wohl so wichtig? Der Mensch hatte immer das Bedürfnis, an etwas Übermenschliches zu glauben, an etwas Großes. Gebete, Rituale, Gesänge waren immer Zufluchtsorte, die die Menschen verbanden und zeigten, dass es vielleicht irgendetwas gibt, das über uns wacht. Das hält Gesellschaften zusammen. Der Mensch möchte immer glauben. Auch wenn er nicht an Gott glaubt, glaubt er an irgendetwas.
1968 in Hamburg geboren, arbeitete als Kindermodel für Versandhauskataloge, bevor er als Teenager seine ersten TV-Rollen spielte. Der Durchbruch gelang ihm 1992 mit „Kleine Haie“, seitdem spielte er oft liebenswürdige Verlierertypen, aber auch komplexe Rollen wie in „Der freie Wille“(2006) oder „Die Welle“(2008). „Der Mann aus dem Eis“läuft ab Donnerstag im Kino. Woran glauben Sie? Ich glaube an das Gute im Menschen.
Sie mussten für die Dreharbeiten durch eiskalte Gebirgsbäche waten, Gletscheraufnahmen wurden in dünner Luft auf 3700 m gedreht. Ist die Schauspielerfahrung eine andere, wenn sie körperlich so extrem ist? Es hilft einem unheimlich. Du musst nichts erzeugen, es ist alles da: Die Anstrengung, das Kämpfen, das Ötzis Alltag bestimmte, musste ich auch durchmachen.
Haben Sie sich Ötzi dadurch näher gefühlt? Ich bin Ötzi! Nur ohne Haare.
Was brauchte es, damit Sie auch wie Ötzi aussehen? Ich habe mir einen Vollbart wachsen lassen, wir haben nur noch kleine verfilzte Teile drangeklebt, eine Perücke aufgesetzt und mich schmutzig gemacht. Das dauerte so eineinhalb Stunden. Das geht – das kennt jede Frau von einem normalen Wochenendausflug.
Im Film wird eine Rekonstruktion einer Urform der rätischen Sprache gesprochen – Untertitel gibt es aber keine. Was bedeutet Schauspielern, wenn man sich nicht über Gesagtes ausdrücken kann? Ich finde das ganz gut, das ist bei einem Actionfilm auch nicht viel anders. Wir brauchen die Sprache hier nicht: Wir sehen eine Taufe, eine Geburt, rituelle Gesänge – wir können uns vorstellen, was das heißt. Die Dialoge hat ein Sprachwissenschaftler für uns entwickelt. Er hat uns mögliche Sätze für jede Szene, in der Menschen aufeinandertreffen, vorgefertigt, und diese auch erklärt und übersetzt: Phrasen zur Begrüßung, zum Abschied, für die Geburtsszene, die Taufe . . . „Bala“heißt zum Beispiel so etwas wie „Amen“. Gemeinsam mit dem Regisseur haben wir dann besprochen, was wir sagen.
Könnten Sie selbst allein in der Wildnis überleben? Wenn ich Pfeil und Bogen hätte, dann wahrscheinlich schon!
Wenige Schriftsteller haben mich in meiner Jugend so stark beeinflusst wie Peter Handke. „Der Hausierer“, die „Publikumsbeschimpfung“und „Kaspar“öffneten mir den Blick für die zeitgenössische Literatur, Peter Handkes frühe Aufsatzsammlung „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“war maßgeblich für mein zunehmendes Interesse an ästhetischen und literaturtheoretischen Fragen, und seiner Gedichtsammlung „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“verdankte ich den bis heute essenziellen Hinweis auf die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27. 1. 1968. Und dass „Tell me“von den Rolling Stones einer meiner Lieblingssongs wurde, ist auch Peter Handke geschuldet. Und dennoch, das faszinierte mich von Anbeginn, war Handke alles andere als ein Popliterat, wie lang immer er auch die Haare tragen sollte. Meine ersten Arbeiten in meinem Germanistikstudium schrieb ich über Peter Handke, bis heute unvergesslich die endlose Nacht im Studentenheim, in der ich eine Abhandlung über „Wunschloses Unglück“verfasste. Leiter des entsprechenden Seminars war übrigens ein junger Dozent namens Wendelin Schmidt-Dengler, der wie kein anderer für Literatur begeistern konnte. Handkes weitere Arbeiten haben mich dann, wenn auch nicht mit der Ausschließlichkeit der frühen Jahre, in meinem geistigen Leben bis heute begleitet.