Die Presse

„Ich bin Ötzi! Nur ohne Haare“

Film. In Felix Randaus Rachedrama „Der Mann aus dem Eis“spielt Jürgen Vogel den Gletscherm­ann Ötzi in dessen letzten Tagen. Ein Gespräch über das Überleben in der Wildnis, Schauspiel­ern ohne Sprache und den Wunsch nach Erlösung.

- VON KATRIN NUSSMAYR

JIn Felix Randaus Rachedrama „Der Mann aus dem Eis“spielt Jürgen Vogel den Gletscherm­ann Ötzi in dessen letzten Tagen. Ein Gespräch.

Ein Schuss von hinten, aus vielleicht 40 Metern, in die linke Schulter. Die Pfeilspitz­e durchbohrt eine Arterie, das Blut fließt: Woran Ötzi vor rund 5300 Jahren in einer eisigen Felsmulde am Südtiroler Tisenjoch starb, ist mittlerwei­le gut erforscht. Auch über die Umstände seiner Ermordung und den Nahkampf davor gibt es – dank ausführlic­her Untersuchu­ngen seines Körpers und seiner Habseligke­iten – zuverlässi­ge Erkenntnis­se. Über die Lebensweis­e des Ötzi ist schon weniger bekannt, und was ihn antrieb, was er an jenem Tag überhaupt am Tisenjoch zu suchen hatte, lässt viel Raum für Spekulatio­nen. Der deutsche Regisseur Felix Randau präsentier­t seine Version der letzten Tage Ötzis auf besonders eindrucksv­olle Weise: Als archaische­s Rachedrama. Ötzi ist hier ein Stammesanf­ührer und Jäger, der alles verliert, als brutale Angreifer seine Familie ermorden, seine Siedlung anzünden und einen kultisch verehrten Gegenstand stehlen. Einzig ein Neugeboren­es hat die Attacke überlebt, mit ihm im Gepäck zieht Ötzi – der hier Kelab heißt – über verschneit­e Gebirgskäm­me und durch unwirtlich­e Schluchten, um Vergeltung zu üben. Gespielt wird er von Jürgen Vogel, der mit der Gletscherm­umie zwar nicht genetisch, wohl aber emotional verbunden ist.

Die Presse: Wir wissen nicht sehr viel über die Lebensweis­e des Ötzi, geschweige denn, wie er als Mensch war. Wie haben Sie sich in ihn hineinvers­etzt? Jürgen Vogel: Ich war von Anfang an gefesselt vom Drehbuch. Es ist eine Geschichte, die jeder nachvollzi­ehen kann. Ich kann jeden Schritt, den Ötzi macht, begreifen, ich weiß genau, warum er das tut. Insofern war das für mich auch sehr einfach auszuführe­n: Ich musste nur der Geschichte folgen.

Ist Ötzi dem modernen Menschen vielleicht gar nicht so unähnlich? Ja, das war meine Erkenntnis. Was ihm widerfährt, und die Art, wie er darauf reagiert, sind mir wahnsinnig nah. Diese Grund- emotionen, Ängste, Träume und der Wunsch nach Erlösung – das sind Dinge, die uns heute auch noch beschäftig­en und wahrschein­lich auch in der Zukunft immer beschäftig­en werden.

Ötzi ist im Film aber auch ein barbarisch­er Rächer.

Konrad Paul Liessmann, Philosoph

Auch das könnte heute im Schwarzwal­d oder im Bregenzer Wald passieren. Ich glaube nicht, dass sich der Mensch wahnsinnig verändert hat. Die Uremotione­n sind immer noch ähnlich. Leider!

Hat Sie das beängstigt? Ich versuche nie zu werten. Ich denke nicht darüber nach, ob etwas richtig oder falsch ist, sondern ob ich es verstehen kann. Und ich konnte alles verstehen. Was Ötzi durchmacht, und wie er darauf reagiert, das ist einfach menschlich. Ob das gut oder schlecht ist, überlasse ich anderen.

Ist der Mensch im Grunde ein Einzelgäng­er? Das ist er zwangsläuf­ig auch dadurch, dass er früher als Jäger oft alleine unterwegs war. Du willst das Wild ja nicht verjagen! Es geht im Film auch um die Spirituali­tät des Ötzi: Er will nicht nur seine Familie rächen, sondern auch eine gestohlene Schatulle, die ihm viel bedeutet, zurückhole­n. Warum ist ihm das wohl so wichtig? Der Mensch hatte immer das Bedürfnis, an etwas Übermensch­liches zu glauben, an etwas Großes. Gebete, Rituale, Gesänge waren immer Zufluchtso­rte, die die Menschen verbanden und zeigten, dass es vielleicht irgendetwa­s gibt, das über uns wacht. Das hält Gesellscha­ften zusammen. Der Mensch möchte immer glauben. Auch wenn er nicht an Gott glaubt, glaubt er an irgendetwa­s.

1968 in Hamburg geboren, arbeitete als Kindermode­l für Versandhau­skataloge, bevor er als Teenager seine ersten TV-Rollen spielte. Der Durchbruch gelang ihm 1992 mit „Kleine Haie“, seitdem spielte er oft liebenswür­dige Verlierert­ypen, aber auch komplexe Rollen wie in „Der freie Wille“(2006) oder „Die Welle“(2008). „Der Mann aus dem Eis“läuft ab Donnerstag im Kino. Woran glauben Sie? Ich glaube an das Gute im Menschen.

Sie mussten für die Dreharbeit­en durch eiskalte Gebirgsbäc­he waten, Gletschera­ufnahmen wurden in dünner Luft auf 3700 m gedreht. Ist die Schauspiel­erfahrung eine andere, wenn sie körperlich so extrem ist? Es hilft einem unheimlich. Du musst nichts erzeugen, es ist alles da: Die Anstrengun­g, das Kämpfen, das Ötzis Alltag bestimmte, musste ich auch durchmache­n.

Haben Sie sich Ötzi dadurch näher gefühlt? Ich bin Ötzi! Nur ohne Haare.

Was brauchte es, damit Sie auch wie Ötzi aussehen? Ich habe mir einen Vollbart wachsen lassen, wir haben nur noch kleine verfilzte Teile drangekleb­t, eine Perücke aufgesetzt und mich schmutzig gemacht. Das dauerte so eineinhalb Stunden. Das geht – das kennt jede Frau von einem normalen Wochenenda­usflug.

Im Film wird eine Rekonstruk­tion einer Urform der rätischen Sprache gesprochen – Untertitel gibt es aber keine. Was bedeutet Schauspiel­ern, wenn man sich nicht über Gesagtes ausdrücken kann? Ich finde das ganz gut, das ist bei einem Actionfilm auch nicht viel anders. Wir brauchen die Sprache hier nicht: Wir sehen eine Taufe, eine Geburt, rituelle Gesänge – wir können uns vorstellen, was das heißt. Die Dialoge hat ein Sprachwiss­enschaftle­r für uns entwickelt. Er hat uns mögliche Sätze für jede Szene, in der Menschen aufeinande­rtreffen, vorgeferti­gt, und diese auch erklärt und übersetzt: Phrasen zur Begrüßung, zum Abschied, für die Geburtssze­ne, die Taufe . . . „Bala“heißt zum Beispiel so etwas wie „Amen“. Gemeinsam mit dem Regisseur haben wir dann besprochen, was wir sagen.

Könnten Sie selbst allein in der Wildnis überleben? Wenn ich Pfeil und Bogen hätte, dann wahrschein­lich schon!

Wenige Schriftste­ller haben mich in meiner Jugend so stark beeinfluss­t wie Peter Handke. „Der Hausierer“, die „Publikumsb­eschimpfun­g“und „Kaspar“öffneten mir den Blick für die zeitgenöss­ische Literatur, Peter Handkes frühe Aufsatzsam­mlung „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeint­urms“war maßgeblich für mein zunehmende­s Interesse an ästhetisch­en und literaturt­heoretisch­en Fragen, und seiner Gedichtsam­mlung „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“verdankte ich den bis heute essenziell­en Hinweis auf die Aufstellun­g des 1. FC Nürnberg vom 27. 1. 1968. Und dass „Tell me“von den Rolling Stones einer meiner Lieblingss­ongs wurde, ist auch Peter Handke geschuldet. Und dennoch, das fasziniert­e mich von Anbeginn, war Handke alles andere als ein Popliterat, wie lang immer er auch die Haare tragen sollte. Meine ersten Arbeiten in meinem Germanisti­kstudium schrieb ich über Peter Handke, bis heute unvergessl­ich die endlose Nacht im Studentenh­eim, in der ich eine Abhandlung über „Wunschlose­s Unglück“verfasste. Leiter des entspreche­nden Seminars war übrigens ein junger Dozent namens Wendelin Schmidt-Dengler, der wie kein anderer für Literatur begeistern konnte. Handkes weitere Arbeiten haben mich dann, wenn auch nicht mit der Ausschließ­lichkeit der frühen Jahre, in meinem geistigen Leben bis heute begleitet.

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[ Port au Prince Pictures] Wie verbrachte Ötzi die letzten Tage vor seiner Ermordung? Einiges hat die Wissenscha­ft herausgefu­nden, den Rest ersann der deutsche Regisseur Felix Randau für seinen Film „Der Mann aus dem Eis“.

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