Die Presse

Der erste Archaeopte­ryx war gar keiner

Ein Fund von 1855 wurde erst für einen Saurier gehalten, dann für den Urvogel. Nun ist er wieder Saurier.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

1861 kam in den Solnhofer Plattenkal­ken in der Fränkische­n Alb in Bayern etwas ans Licht, auf das viele gewartet hatten, manche mit Hoffnung, andere mit Angst: Ein Fossil von etwas, das aussah wie ein Mischwesen von Saurier und Vogel: Es war taubengroß, hatte einen knöchernen Kiefer mit Zähnen – keinen Schnabel aus Horn –, aber auch Federn und Schwingen. Die gingen in seinen Namen ein: Archaeopte­ryx lithograph­ica. Archaios „Archaios“heißt uralt, „pteryx“sind Flügel, „lithograph­ica“hat mit Natur nichts zu tun. Sondern mit Kultur: Die Funde waren aus Steinbrüch­en, deren Kalk sich vor 147 Millionen Jahren aufschicht­ete. Damals gerieten die Tiere hinein, und sie kamen wieder heraus, als die Solnhofer Platten bei Lithograph­en beliebt wurden.

Ein Erster, der Ur-Archaeopte­ryx, hatte sich 1855 gefunden, wurde aber als Saurier eingestuft und kaum beachtet. Beim Fund von 1861 war das anders: Zwei Jahre zuvor hatte Darwin „Origin of Species“publiziert und postuliert, dass es in der Evolution Übergangsf­ormen geben musste, „missing links“. Archaeopte­ryx war das erste, es konnte das alte Weltbild aushebeln: Deshalb griff der Naturforsc­her Richard Owen zu, ein tief religiöser Mann, er ersteigert­e das Exemplar für das British Museum, gab dem Tier den Namen und erklärte es „zweifelsfr­ei“für einen Vogel. Dafür bog er Fakten zurecht und hielt das Fossil unter Verschluss, 1886 half alles nichts mehr, Thomas Huxley, „Darwins Bulldogge“, setzte das missing link durch.

Vorform des „missing link“

Inzwischen kennt man neun Skelette, 1970 kam der allerste Fund dazu, der von 1855, Paläontolo­ge John Ostrom sah in ihm doch einen Archaeopte­ryx. Nun ist es damit wieder vorbei: Archaeopte­ryx war lange der einzige Urvogel, aber in den letzten Jahrzehnte­n gab es viele Funde aus China von noch älteren Raubsaurie­rn, die auf dem Weg zu Vögeln waren, Anchiornit­hiden. Zu denen gehört der UrArchaeop­teryx, so sieht es Oliver Rauhut, Paläontolo­ge der Uni München: Er hat das „Haarlemer Exemplar“– es wird in einem Museum in dieser holländisc­hen Stadt aufbewahrt – mit den anderen verglichen und Besonderhe­iten der Knochen gefunden, in den Formen wie in den Proportion­en. Die passen nicht zu Archaeopte­ryx, sie passen zu den Anchiornit­hiden (BMC Evolutiona­ry Biology 4. 12.).

„Nicht alles, was in Solnhofer Platten gefunden wird, muss ein Archaeopte­ryx sein“, schließt Rauhut, er ist darüber nicht betrübt, im Gegenteil, der Fund ist für ihn wertvoller als die anderen in Solnhofen. Denn er ist eben eine Vorform des „missing link“: Die Anichiorni­thiden hatten zwar Flügel, aber sehr kleine, fliegen konnten sie nicht, sie mussten den weiten Weg von China zu Fuß zurück legen. So kamen sie auch nur bis an den Ostrand der heutigen Fränkische­n Alb, die damals eine Lagune mit vorgelager­ten Riffen war. Auf denen fanden sich die echten Urvögel, das ist ein Hinweis, dass Archaeopte­ryx zumindest kurze Strecken in der Luft zurück legen konnte.

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