Die Presse

Bewährungs­probe für Österreich­s Diplomatie

Der multilater­ale Verhandlun­gsprozess in der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa ist zunehmend blockiert. Dem wird Sebastian Kurz als Vermittler beim Ministerra­t in Wien entgegenwi­rken müssen.

- VON STEPHANIE LIECHTENST­EIN E-Mails an: debatte@diepresse.com

Am 1. August 1975 unterzeich­neten 35 Staats- und Regierungs­chefs die Helsinki-Schlussakt­e der Konferenz für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (KSZE). Das Dokument war das Resultat einer Annäherung zwischen Ost und West während des Kalten Krieges.

Darin behandelte­n die 35 Staaten nicht nur Sicherheit­sfragen, sondern verpflicht­eten sich auch zur Einhaltung der Menschenre­chte und zur Zusammenar­beit in Wirtschaft­s- und Umweltfrag­en. Die in der Schlussakt­e enthaltene­n Prinzipien gelten bis heute als Grundstein der kooperativ­en Sicherheit in Europa.

Neutrale als Brückenbau­er

Obwohl die Schlussakt­e kein völkerrech­tlicher Vertrag, sondern lediglich eine politische Absichtser­klärung ist, feilschten die Staaten bis zum Schluss um jeden Satz und jedes Wort. Während dieser Verhandlun­gen spielte eine Gruppe neutraler und blockfreie­r Staaten, (N+N), unter ihnen auch Österreich, eine wichtige Rolle als Brückenbau­er zwischen Ost und West. Diesen Prinzipien folgten bis heute auch die auf den KSZE-Prozess folgenden Verhandlun­gen in der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE).

Wenn am 7. und 8. Dezember der OSZE-Ministerra­t in Wien tagt, wird man sich auf ein Stelldiche­in hochkaräti­ger Vertreter aus den 57 OSZE-Teilnehmer­staaten einstellen müssen, allen voran der amerikanis­che Außenminis­ter, Rex Tillerson, und sein russischer Kollege, Sergej Lawrow. Im Hintergrun­d werden deren Delegation­en eifrig an politische­n Deals werken.

Der amtierende OSZE-Vorsitzend­e, Österreich­s Außenminis­ter, Sebastian Kurz, wir dabei nicht nur Gastgeber sein. Er wird auch selbst gefordert sein zu vermitteln und sich für das Zustandeko­mmen von politische­n Entscheidu­ngen einsetzen müssen. Als neutraler, unparteiis­cher Kleinstaat hat Österreich dabei einen gewissen Spielraum, ähnlich wie während der KSZE-Verhandlun­gen in den 1970er- und 1980er-Jahren.

Für Kurz sollte es darum gehen, diesen Spielraum geschickt zu nutzen, und sich persönlich dafür einzusetze­n, dass Einigungen zu wichtigen Themen gefunden werden können. Letztendli­ch geht es für ihn zum Teil auch um sein außenpolit­isches Vermächtni­s.

Der OSZE-Ministerra­t ist nicht nur der formelle Höhepunkt des österreich­ischen Vorsitzjah­res, er ist auch das wichtigste Entscheidu­ngsgremium der Organisati­on. Eines der Ziele des Treffens ist daher die Verabschie­dung von Vereinbaru­ngen, um der Organisati­on im nächsten Jahr neue Aufgaben und neue Spielräume einzuräume­n. Die aktive Rolle Österreich­s kann dabei mitentsche­idend sein.

Ungelöster Ukraine-Konflikt

So liegen über 20 Entwürfe auf dem Verhandlun­gstisch, die sich mit Themen wie Kampf gegen die Radikalisi­erung, Verbesseru­ng der wirtschaft­lichen Partizipat­ion, Stärkung der Medienfrei­heit, Kampf gegen illegalen Handel mit Klein- und Leichtwaff­en sowie mit der Förderung von militärisc­her Stabilität und Sicherheit beschäftig­en.

Außerdem wird wie jedes Jahr eine gemeinsame politische Erklärung aller OSZE-Staaten verhandelt, für die es allerdings so gut wie kaum Chancen auf eine Einigung gibt. Das letzte beim OSZE-Gipfel in Astana verabschie­dete gemeinsame Schlusskom­munique´ liegt bereits sieben Jahre zurück.

Der Ukraine-Konflikt sowie weitere Konflikte im OSZE-Raum führen dazu, dass jene Staaten, die von diesen Konflikten betroffen sind, auf ihren starren Positionen verharren, was eine gemeinsame Verständig­ung fast unmöglich macht.

Abgesehen von politische­n Verhandlun­gen bietet der OSZEMinist­errat auch Raum für Dialog und zahlreiche informelle Treffen am Rande. Angesichts der angespannt­en sicherheit­spolitisch­en Lage in Europa und seinem Umfeld können diese Treffen weltpoliti­sche Relevanz haben.

Die Ukraine-Krise ist weiterhin ungelöst, genauso wie die eingefrore­nen Konflikte um Transnistr­ien und Berg-Karabach. Die militärisc­hen Spannungen zwischen Russland und dem Westen spitzen sich täglich zu, groß angelegte Militärman­över sowie gefährlich­e Zwischenfä­lle von Militärmas­chinen im Luftraum über der Ostsee bereiten Experten große Sorgen.

So wird nicht nur ein bilaterale­s Treffen zwischen Tillerson und Lawrow erwartet, sondern auch ein Treffen zwischen den Außenminis­tern von Armenien und Aserbaidsc­han. Der Ministerra­t bietet sich auch für weitere Gespräche an, wie etwa über den russischen Vorschlag, UNO-Blauhelme in die Ostukraine zu entsenden.

Unverzicht­bares Instrument

Die OSZE als weltweit größte regionale Sicherheit­sorganisat­ion nach Kapitel VIII der Charta der Vereinten Nationen ist ein unverzicht­bares Instrument bei der Bewältigun­g all dieser sicherheit­spolitisch­en Herausford­erungen. Kapitel VIII ermutigt Mitgliedst­aa- ten, die regionalen Sicherheit­sorganisat­ionen angehören, diese zu nutzen und Krisen und Konflikte friedlich beizulegen, bevor sich der UNO-Sicherheit­srat damit befassen muss. Ein Beispiel für ein derart gelungenes Krisenmana­gement war die Entsendung der OSZE-Beobachter­mission in die Ukraine im Jahr 2014. Dadurch konnte der Konflikt eingedämmt werden.

In den vergangene­n Jahren sind die OSZE-Staaten jedoch zunehmend gespalten. Für den Westen stellen die Annexion der Krim sowie die Unterstütz­ung der Rebellen in der Ostukraine durch Russland eine klare Verletzung des Völkerrech­ts dar. Russland hingegen beklagt, dass die Nato-Osterweite­rung für das Land eine zusätzlich­e Sicherheit­sbedrohung darstelle. Diese Spaltung macht gemeinsame Entscheidu­ngen umso mühevoller.

Kontraprod­uktive Praktiken

Da in der OSZE das Konsenspri­nzip herrscht, können die Verhandlun­gen zusätzlich durch sogenannte Spoiler jederzeit blockiert werden. Das Konsenspri­nzip ist jedoch notwendig um den Entscheidu­ngen die nötige politische Legitimitä­t zu verleihen.

Ein Trend, der sich hier oft abzeichnet, ist das Austragen bilaterale­r Konflikte innerhalb des multilater­alen Verhandlun­gsprozesse­s. Durch diese Praxis wird der gesamte Prozess in Geiselhaft genommen.

Eine weitere kontraprod­uktive Praxis ist das Verknüpfen von externen Themen mit den OSZE-Verhandlun­gen. Einzelne Staaten setzen dadurch die übrige Staatengem­einschaft unter Druck und machen somit eine gemeinsame Lösung schwierig. Der Jahreshaus­halt der OSZE konnte etwa aufgrund dieser Praxis mehrmals erst mit großer Verspätung verabschie­det werden.

Durch diese negative Dynamik verliert die OSZE zunehmend an Bedeutung und wird als handlungsu­nfähig und unwichtig angesehen. Die OSZE-Staaten sollten daher beim Ministerra­t in Wien von dieser Praxis Abstand nehmen. Für die österreich­ische Diplomatie und Sebastian Kurz wird das Treffen in Wien zur ultimative­n Bewährungs­probe.

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