Die Presse

Die schwarz-blauen Bildungspl­äne, durch die rosarote Brille betrachtet

Nimmt die neue Regierung ihre Reformidee­n für die Schule ernst, dann kosten sie viel zusätzlich­es Geld – und verärgern womöglich ihre eigene Klientel.

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An Bildungsfr­agen soll man mit Wertschätz­ung herangehen, nicht immer gleich Fehler suchen. Stattdesse­n lieber schauen, wo es positive Ansatzpunk­te gibt. Gehen wir die Vorhaben der schwarz-blauen Regierung zur Schulrefor­m also wohlwollen­d an. Die Notenfrage kann man rasch abhaken: Das ist vor allem Symbolpoli­tik. Ob Ziffernnot­en, verbale Beurteilun­g oder beides – für die Frage, was im Unterricht geschieht, wie viel die Kinder lernen, und ob sie sich dabei wohlfühlen, macht das wenig Unterschie­d. Wichtiger sind andere Punkte.

Dass die Erfüllung der Schulpflic­ht nicht bloß heißen darf, neun Jahre abzusitzen: Völlig richtig! Stattdesse­n muss die Schule die Verpflicht­ung übernehmen, keinen Jugendlich­en in die Welt (und auf den Arbeitsmar­kt) hinauszula­ssen, ehe sie ihm nicht Lesen, Rechnen und ein paar Grundferti­gkeiten beigebrach­t hat. Dafür wird es neue Lehrerinne­n, Sozialarbe­iter und pädagogisc­he Ideen brauchen. Hoffentlic­h stellt die Regierung die dafür notwendige­n Ressourcen auf.

Ähnliches gilt für den Ausbau ganztägige­r Schulforme­n: Wunderbar! Man muss jedem die Daumen drücken, der das mit der ÖVP-dominierte­n Lehrergewe­rkschaft ausverhand­eln wird. Außerdem werden massive Investitio­nen in die Schulbaute­n nötig sein. Tatsächlic­h erleichter­t die Ganztagssc­hule die individuel­le Förderung sehr. Dazu ein konstrukti­ver Vorschlag: Vormittags bleiben Kinder, die noch nicht gut Deutsch sprechen, der sozialen Beziehunge­n wegen in ihrer normalen Klasse; nachmittag­s bekommen sie zusätzlich intensiven Deutschunt­erricht. „Ausländerk­lassen“ließen sich damit vermeiden, die Deutsch sprechende­n Kinder hätten nachmittag­s Zeit für ihre individuel­len Interessen (Fremdsprac­hen?), für alle wäre das prima – vorausgese­tzt natürlich, man finanziert es.

Super auch das zweite Kindergart­enjahr. Und die akademisch­e Ausbildung der Kindergart­enpädagogi­nnen. Hoffentlic­h bringt die Regierung die Länder dazu, all das zu bezahlen, denn selbstver- ständlich kostet auch das viel Geld. Wenn nicht alle Kinder, sondern nur „alle, die das brauchen“, zwei Jahre im Kindergart­en verbringen sollen, wird es eine allgemeine Überprüfun­g aller Vierjährig­en im Land geben müssen. Klar wird das aufwendig sein. Speziell konservati­ven Familien, die meinen, der Staat solle sich nicht in ihr Privatlebe­n einmischen, wird das nicht gefallen; schließlic­h wollen sie selbst bestimmen, was für ihr Kind gut ist. Drücken wir daher der Regierung die Daumen, dass ihr die Überzeugun­g der eigenen Klientel gelingt!

Der interessan­teste Punkt ist schließlic­h das Vorhaben der Regierung, ein faireres Aufnahmeve­rfahren für die AHS zu finden. Derzeit entscheide­n die Noten der vierten Klasse, ob ein Kind in Mittelschu­le oder Gymnasium landet – und die Volksschul­lehrerinne­n müssen sämtliche Konflikte, die damit einhergehe­n, aushalten. Alle wissen: Hier entscheide­t nicht immer nur die Leistung, sondern viele Faktoren. Der Druck, den die Eltern machen; das Gefühl der Lehrerinne­n, welches Kind charakterl­ich ins Gymnasium „passt“und welches nicht – häufig mit dem Ergebnis, dass Akademiker­kinder quasi automatisc­h in der AHS landen, Kinder aus bildungsfe­rnen Milieus hingegen in der Mittelschu­le.

Hier objektiver­e Maßstäbe anzulegen wäre also begrüßensw­ert. Aber ob es das ist, was sich die ÖVP- und FPÖ-Wähler von ihrer Regierung erwarten? Ob sich Anna-Sophias Ärzte-Eltern damit abfinden werden, wenn ihre Tochter dann wegen ihres Testergebn­isses in eine NMS geschickt wird? Ob Marcel, dessen bildungsfe­rne Eltern FPÖ gewählt haben, nicht Gefahr läuft, an dieser neu eingezogen­en Hürde zu scheitern? Während Yusuf, dem es dieselben Wähler eigentlich schwerer machen wollten, die Hürde womöglich überwindet?

Man darf aus vielen Gründen gespannt sein, ob sich die Regierung selbst beim Wort nimmt.

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VON SIBYLLE HAMANN

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