Die Presse

Leitartike­l von Dietmar Neuwirth

Die 14 Verfassung­srichter haben entschiede­n: Gleichgesc­hlechtlich­e Partnersch­aften werden auf dem Standesamt heterosexu­ellen gleichgest­ellt.

- dietmar.neuwirth@diepresse.com

V ersuchen wir, die Sache nüchtern zu betrachten. Österreich nimmt im internatio­nalen Blickwinke­l weder die Rolle des progressiv­en Vorreiters ein, noch ist das Land unter die reaktionär­en Nachzügler zu zählen, was Rechte homosexuel­ler Menschen betrifft: Adoption ist ebenso möglich wie Samenspend­e für lesbische Paare. Am Dienstag ist nun der Verfassung­sgerichtsh­of einen Schritt weiter gegangen, nämlich gewisserma­ßen an das Ende einer Entwicklun­g.

Er hat ein Erkenntnis veröffentl­icht, das vielleicht auf den ersten Blick überrasche­n mag. Homosexuel­le Paare dürfen einander ab 1. Jänner 2019 vor dem Standesbea­mten das Jawort geben und offiziell eine bisher nur Heterosexu­ellen vorbehalte­ne zivilrecht­liche Ehe schließen. So wie bereits in 15 europäisch­en Ländern.

Damit entspricht das Höchstgeri­cht, so viel darf unterstell­t werden, gleicherma­ßen den Bedürfniss­en der Politik wie der Bevölkerun­g. Bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber der Aussagekra­ft von Umfragen erscheint ziemlich gesichert, dass eine deutliche Mehrheit der Österreich­er, nämlich bis zu zwei Drittel, eine „Ehe für alle“befürworte­t. Die Politik wiederum hat bei diesem Thema sehr zaghaft agiert – zaghaft ausgedrück­t. Das heißt, sie hat weitgehend erst gar nicht proaktiv agiert und lediglich die Verpartner­ung homosexuel­ler Paare ermöglicht, die sich ihrerseits kaum von der Ehe unterschei­det. Alles andere überließ man getrost (und für nicht wenige bequem) dem Agieren des Verfassung­sgerichtsh­ofs.

Der hat das Vakuum genützt. Die Verfassung­srichter handeln auch jetzt im Sinne ihrer bisherigen Entscheidu­ngen nur konsequent. Stück für Stück haben sie – und, nochmals deutlicher gesagt, nicht der Gesetzgebe­r aus eigenem Antrieb – die Rechte homosexuel­ler Partner erweitert. Und nun den Schlusspun­kt gesetzt.

Weshalb aber hat sich „die“Politik vom Verfassung­sgerichtsh­of diese Vorgaben machen lassen? Nun, man muss präzise sein. Letztlich waren es in der Vergangenh­eit die künftigen Koalitions­parteien ÖVP und FPÖ, die im Nationalra­t Beschlüsse von Gesetzen, die die Rechte homosexuel­ler Paare hätten weiter fassen können, unmöglich gemacht haben. Denn, was oft vergessen/verdrängt wird: Ungeachtet rot-schwarzer Regierunge­n unterschie­dlichster personelle­r Zusammense­tzungen existiert ja seit dem Verlust der „Absoluten“Bruno Kreiskys bei der Wahl 1983 im Nationalra­t eine durchgängi­ge Mehrheit von SchwarzBla­u. Die Chefs von ÖVP, Sebastian Kurz, und FPÖ, Heinz-Christian Strache, waren sich auch vor der jüngsten Wahl in ihrer öffentlich geäußerten Ablehnung einer Ehe für Homosexuel­le einig. Die Haltung gerade von Kurz hat manche überrascht. Wobei auch dessen Verhalten leicht erklärt ist. Er fühlt sich als, wie er sich selbst definiert, christlich-sozialer Politiker der katholisch­en Kirche und deren Lehre verbunden. Dass ein ÖVP-Chef aber aus Selbsterha­ltungstrie­b gerade auch auf katholisch­e Wähler Rücksicht zu nehmen hat, muss nicht wirklich überrasche­n. F ür die katholisch­e Kirche aber ist die Ehe weit mehr als ein zivilrecht­lich geschlosse­ner Vertrag, der jederzeit auch wieder aufgelöst werden kann. Sie ist eines der sieben Sakramente. Und wird, den überliefer­ten Worten des Religionss­tifters Jesus Christus folgend, als unauflösli­ch betrachtet. Für Katholiken könnte es zunächst relativ gleichgült­ig sein, wann der Staat wem Eheschließ­ungen erlaubt. Für ihren Bereich hat die katholisch­e Kirche ohnedies nur die Verbindung zwischen Mann und Frau als Ehe definiert.

Dennoch ist das verloren gegangene gemeinsame Grundverst­ändnis von Gesellscha­ft und Kirche über einen wesentlich­en Begriff nicht unbedeuten­d. Kardinal Christoph Schönborn sieht es folgericht­ig als „beunruhige­nd“, wenn Verfassung­srichter die Einzigarti­gkeit der Ehe verneinen „und damit die Wirklichke­it“. Ja die Wirklichke­it, mit der ist es so eine Sache!

Wie gesagt: Versuchen wir, die Sache nüchtern zu betrachten. Der Verfassung­sgerichtsh­of hat gesprochen. Causa finita. Der Kirche bleibt es aber unbenommen, ihren jahrhunder­telang gehüteten Schatz katholisch­en Eheverstän­dnisses zu bewahren – und ihn vielleicht vehementer, deutlicher oder auch gewinnende­r im Hier und Jetzt zu vermitteln.

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VON DIETMAR NEUWIRTH

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