Die Presse

Weihnachts­film für Existenzia­listen

Neu im Kino. Was bleibt vom Leben, vom Menschen, von der Welt? David Lowery gibt in seinem Trauer-Kammerspie­l „A Ghost Story“keine klare Antwort. Zum Glück.

- VON ANDREY ARNOLD

Der Geist, der durch die Hallen des Spitals gleitet, ist nicht gerade zum Fürchten: ein weißes Leintuch, zwei schwarze Augenlöche­r, das war’s. Unter dem Tuch zeichnet sich die Form eines menschlich­en Körpers ab, wie bei einem billigen Halloween-Kostüm. Ziemlich albern, dieser Anblick. Aber keiner nimmt davon Notiz.

Plötzlich tut sich am Ende des Gangs ein Portal auf, strahlend und klar. Eine Einladung. Reglos steht das Gespenst vor der glimmenden Pforte. Kurz darauf verschwind­et sie wieder – ebenso unvermitte­lt, wie sie erschienen ist. Und das karge Laken bleibt einsam zurück. Auf einmal sieht es gar nicht mehr so albern aus. Sondern tieftrauri­g.

Weiße Leintücher sind gute Projektion­sflächen. Das macht sich David Lowery in seinem ungewöhnli­chen neuen Film „A Ghost Story“zunutze. Die erwähnte Spukgestal­t ist nämlich dessen Hauptfigur – und dient dem Zuschauer als Gefühlsabl­eiter im Zug einer intensiven Kinoreise. Wer angesichts des Titels Schockeffe­kte erwartet, wird enttäuscht: Die Schauer, die einem hier über den Rücken laufen, sind existenzie­ller Natur.

Leintücher sprechen nur untereinan­der

Unter dem Tuch steckt Casey Affleck (meint jedenfalls der Regisseur – überprüfen kann man’s nicht). Er spielt einen Musiker, der mit seiner Frau (Rooney Mara) in der texanische­n Provinz lebte. Tagsüber sphärische Indie-Pop-Songs schreiben, abends kuscheln auf der Couch: Ein glückliche­s Leben voller Liebe, aus dem ihn ein Autounfall riss. Verständli­ch, dass er nach dem Tod wieder in sein geräumiges Haus schleicht.

Aber direkten Kontakt zur Herzensdam­e aufnehmen, wie Patrick Swayze in „Ghost – Nachricht von Sam“: Keine Chance. So sind die Regeln der Geisterwel­t, da braucht man gar nicht viel erklären. Das Leintuch bleibt den ganzen Film über stumm. Nur mit anderen Geistern aus umliegende­n Häusern wechselt es ein paar Worte, die als Untertitel erscheinen – ein witziger Effekt.

Sonst ist an „A Ghost Story“, trotz schrullige­r Prämisse, nur wenig witzig. Der Grundgestu­s ist melancholi­sch – mal bitter, mal wohlig. Und formal nimmt sich Lowery für einen Film, der auch in Multiplex-Kinos gezeigt wird, einiges heraus. Da werden wir stille Zeugen, wie die Hinterblie­bene jäh von Trauerstar­re erfasst wird, sich auf den Küchenbode­n fläzt und einen ganzen Schokokuch­en verspeist. In einer fünfminüti­gen, statischen, ungeschnit­tenen Einstellun­g. Vor allem anfangs sind die seidigen 4:3-Aufnahmen des Films von gewagter Langsamkei­t.

Lowery ist vertraut mit der Ästhetik des internatio­nalen Kunstkinos: Als Einflüsse nennt er Chantal Akerman, Carlos Reygadas und Apichatpon­g Weerasetha­kul. Allerdings hat er auch Großfilm-Erfahrung: „Pete’s Dragon“, das sehenswert­e Remake des DisneyKlas­sikers „Elliot, das Schmunzelm­onster“, hat ihm maßgeblich dabei geholfen, das Budget für sein jüngstes Werk aufzustell­en.

Als Fantasy-Drama würde „A Ghost Story“sogar unters Disney-Dach passen. In der zweiten Hälfte wird der Film weicher, wärmer, wendiger. Und eine weitere Inspiratio­nsquelle schält sich heraus: Terrence Mal- ick. Denn wie dieser Kino-Kosmologe ist auch Lowery an den ganz großen Fragen interessie­rt. Die Uhr geht immer schneller, und das intime Trauer-Kammerspie­l wird vom Winde verweht. Bald ziehen neue Mieter ins Haus des Musikers. Wieder und wieder und wieder. Und irgendwann ist das Haus selbst nicht mehr da. Dann blickt das arme Leintuch zum Sternenhim­mel und fragt sich: Was bleibt? Vom Leben, vom Menschen, von der Welt? Nichts als Asch’ und Bein?

Eine klare Antwort bleibt Lowery schuldig – zum Glück. Seine Meditation über Vergänglic­hkeit will vor allem das sein: eine Meditation. Doch die Stimmung, mit der sie einen zurückläss­t, hat etwas Tröstliche­s. In gewisser Hinsicht ist „A Ghost Story“auch ein Weihnachts­film. Einmal taucht er den Zeh ins Nihilismus-Becken, mit der Rede eines vom Folk-Sänger Will Oldham gespielten Partygaste­s, der von der Vergeblich­keit allen Strebens schwadroni­ert. Doch der Sturz ins Nichts wird abgefangen – nicht zuletzt von Daniel Harts betörender Streicherm­usik.

„Jede Liebesgesc­hichte ist eine Geisterges­chichte“, sagte David Foster Wallace. Vielleicht gilt es auch andersheru­m.

 ?? [ UPI] ?? Steckt unter diesem Tuch wirklich Casey Affleck? Neben ihm sitzt hier jedenfalls Rooney Mara.
[ UPI] Steckt unter diesem Tuch wirklich Casey Affleck? Neben ihm sitzt hier jedenfalls Rooney Mara.

Newspapers in German

Newspapers from Austria