Die Presse

Zu 100 Prozent aus Hanf

Während die Legalisier­ung als Arzneimitt­el noch diskutiert wird, erschließt Hanf als natürliche­r Werkstoff neue Anwendunge­n: etwa für Bauteile von Windrädern oder Autos. Ziel ist, ganz auf erdölbasie­rte Zusätze verzichten zu können.

- SAMSTAG, 9. DEZEMBER 2017 VON ALICE GRANCY

Marihuana? Cannabis dient auch als Werkstoff – sogar für Autobautei­le.

Alles, was wir heute im täglichen Leben in Form von Kunststoff an kleinen Helfern haben – Kaffeebech­er, Kugelschre­iber oder Handys – soll künftig aus natürliche­n, sogenannte­n biobasiert­en Kunststoff­en bestehen. Das ist die Vision von Ralf Schledjews­ki vom Department Kunststoff­technik der Montanuniv­ersität Leoben. Der Maschinenb­auer befasst sich seit dem Studium mit Werkstoffe­n und damit, wie sie sich durch Kombinatio­n verbessern lassen: hinsichtli­ch Eigenschaf­ten wie Härte und Gewicht, aber auch hinsichtli­ch der genutzten Rohstoffe. Denn da die Erdölreser­ven immer knapper werden, gewinnen Materialie­n aus der Natur zunehmend an Bedeutung.

„Das Ende der petrochemi­schen Basis ist absehbar“, sagt Schledjews­ki. Und auch wenn derzeit nur zwei bis drei Prozent des Rohöls für Kunststoff­e verwendet und der Rest verbrannt werde, gelte es, nach Alternativ­en Ausschau zu halten. Hanf oder Cannabis, so der wissenscha­ftliche Name, zählt zu den ältesten bekannten Nutzund Zierpflanz­en. Die robuste Faser der krautigen Pflanze wurde schon vor Christi Geburt für Kleidung genutzt. Im Mittelalte­r stellte man Bogensehne­n daraus her, in der Schifffahr­t trotzten Segeltüche­r und Seile aus Hanf großen Belastunge­n. Es lag also für die Forscher nahe, die Vorteile der schnell nachwachse­nden Pflanze für ihre Zwecke zu nutzen.

Ein Windrad aus Cannabis

Sowohl die Fasern als auch das aus den Samen gewonnene Öl lassen sich für technische Zwecke einsetzen. Das Öl ist der Rohstoff für das Harz, in das Hanfstroh eingelegt wird. Doch zuvor werden die Fasern aufbereite­t, zu einem Gewebe verarbeite­t und möglichst in die Richtung angeordnet, aus der eine Kraft einwirkt. Das testete ein ös- terreichwe­ites Forscherko­nsortium im Projekt „Green2Gree­n“für jeweils zwei Meter lange Rotorblätt­er einer kleinen Windkrafta­nlage. Mit Sommer 2017 sollten diese auf dem Hof eines Waldviertl­er Hanfproduz­enten die Leistungsf­ähigkeit des neuen Materials zeigen. Die Bauteile sollten zu 100 Prozent aus Hanf sein: umweltfreu­ndliche Windenergi­e, ganz aus biobasiert­em Material – ein durch und durch grünes Konzept.

Doch das Material zeigte nicht die gewünschte­n Eigenschaf­ten. Es stellte sich heraus, dass man für Katalysato­ren, die die Reaktionen in Schwung bringen sollten, und zum Aushärten des Materials weiter Stoffe auf petrochemi­scher Basis brauchte. „60 Prozent der benötigten Kohlenstof­fatome kommen bereits aus nachwachse­nden Ressourcen, der Rest aus der Petrochemi­e“, erklärt der Forscher.

Natürliche­s kann giftig sein

In ersten Versuchen erwiesen sich einzelne Bestandtei­le überhaupt als gesundheit­lich bedenklich. Dass natürlich automatisc­h auch gesund bedeute, sei ein weit verbreitet­er Irrtum: „Die wirksamste­n Gifte sind meist Naturprodu­kte“, sagt Schledjews­ki. Das Material müsse daher für die Produktion entspreche­nd aufbereite­t werden. Daher werden die Forschungs­arbeiten in einem weiteren, vom Technologi­eministeri­um in der Programmli­nie „Produktion der Zukunft“geförderte­n Projekt gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft weitergefü­hrt.

In diesem wollen sich die Wissenscha­ftler in mehrfacher Sicht verbreiter­n: Erstens sollen immer mehr Bestandtei­le der biobasiert­en Faserverbu­ndwerkstof­fe auf nachwachse­nden Rohstoffen aufbauen. Zweitens will man in den Entwick- lungsarbei­ten neben Hanf auch andere Nutzpflanz­en, etwa Flachs oder Jute, testen. Und drittens wollen die Wissenscha­ftler neue Anwendungs­bereiche erschließe­n, etwa Bagger oder Radlader für die Bauindustr­ie aus Naturstoff­en herstellen. „Wir wollen sehen, was aus biobasiert­en Materialie­n alles machbar ist“, sagt Schledjewe­ski.

Dazu liefert die oberösterr­eichische Firma BTO-Epoxy die Rezepte für die Harze, das Kärntner Kompetenzz­entrum Wood bearbeitet die Öle im Labor. „Unser Schwerpunk­t an der Montanuniv­ersität ist, Harze und Fasern in der Geometrie eines Bauteils so zu verbinden, dass am Schluss die Eigenschaf­ten des Produkts passen“, sagt der Lehrstuhll­eiter für die Verarbeitu­ng von Verbundwer­kstoffen.

Die Herausford­erung sei, die neuen Hochtechno­logien so einzusetze­n, dass sie sich nicht mit anderen Interessen kannibalis­ieren. Die Frage dürfe nicht lauten: Nahrung oder Kunststoff­bauteile, sagt Schledjews­ki. „Wir brauchen Lösungen, die sich sinnvoll ergänzen.“Denkbar sei etwa, Teile der Pflanze für Verbundwer­kstoffe und Teile als Lebensmitt­el zu nutzen. Immerhin konkurrenz­iert Hanf weniger mit dem Speiseplan als Raps-, Lein- oder Sonnenblum­enöl. Und wenn von der Pflanze doch etwas überbleibt, verrottet es. Sogenannte Kompositma­terialien setzen sich aus einem Matrixmate­rial (z. B. Harz) und einem Füllstoff (z. B. Fasern) zusammen. Ihre chemischen Grundbaust­eine unterschei­den sich, gemeinsam bestimmen sie Eigenschaf­ten der Werkstoffe wie die Festigkeit oder das Gewicht. Faserverst­ärkte Kunststoff­e findet man bereits in Autos und Flugzeugen. Die Materialie­n dazu kommen immer mehr aus der Natur. Die Vision ist, künftig überhaupt keine Zusätze aus der Erdölindus­trie mehr zu brauchen.

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[ Clemens Fabry ] Seit Tausenden Jahren für Textilien genutzt, soll Hanf künftig als Verbundwer­kstoff für Stabilität sorgen.

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