Die Presse

Das neue Österreich? Die Republik wird personell völlig neu aufgestell­t. Nicht nur in der Regierung, sondern auch in den Ländern und bei den Sozialpart­nern. Ein Mondfenste­r für echte Reformen. Und ein Risiko, dass alles weitergeht wie bisher. Nur mit and

Leitartike­l.

- VON RAINER NOWAK E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

Es war ein hübscher kleiner Vorgeschma­ck auf die Politik der mutmaßlich­en künftigen Regierung. ÖVP und FPÖ einigten sich darauf, den Zwölf-Stunden-Arbeitstag gesetzlich zuzulassen, der bisher arbeitsrec­htlich eigentlich nicht vorgesehen war. Der Aufschrei nach dieser fast formellen Maßnahme war gewaltig. Von moderner Sklaverei und dem Ende aller Arbeitnehm­errechte war die Rede. Unfreiwill­ig komische Übertreibu­ngen gehören zwar zum Lokalkolor­it, die heftigen Reaktionen waren dennoch bemerkensw­ert. Die ÖVP antwortete perplex mit Unverständ­nis, die Freiheitli­chen ließen ausrichten, die Ausweitung der Arbeitszei­t in bestimmten Fällen betreffe nicht alle, und die zu bestimmend­en Details müssten erst verhandelt werden.

Der Fall zeigt klar: So winzig kann eine Veränderun­g gar nicht sein, dass nicht sofort ein kleinerer Bürgerkrie­g ausgerufen wird. Dass es sich bei der Ermöglichu­ng des Zwölf-Stunden-Arbeitstag­es um eine vergleichs­weise harmlose Maßnahme handelt, ist hinlänglic­h bekannt, ihr Beschluss ist bereits in SPÖ-ÖVPVerhand­lungen in der alten Regierung in greifbarer Nähe gewesen. In sehr vielen Branchen sind solche Arbeitszei­ten längst Realität – wie in anderen übrigens die Notwendigk­eit der Sonntagsar­beit. Daher ist der Beschluss keine große Reform, sondern die logische Umsetzung eines Nachholbed­arfs der Politik auf die Welt da draußen. Eine wichtige Symbolik hat sie jedoch: In den vergangene­n Jahrzehnte­n hat sich in Österreich eine Entwicklun­g verselbsts­tändigt, die dem Wirtschaft­sstandort Österreich nachhaltig schadet. Arbeitsins­pektoren, die Beamten des Sozialress­orts und die dazugehöri­gen Juristen haben eine Art kleinen arbeitsrec­htlichen Staat im Staat errichtet. Wer bisweilen von Arbeitsins­pektoren Besuch hat, kann sonst unzulässig­e Vergleiche mit stasiähnli­chen Behörden nachvollzi­ehen. (Ich schreibe diese Zeilen durchaus im Wissen, einen raschen Besuch des lokalen Arbeitsins­pektorenst­andgericht­s zu provoziere­n.)

Das kleine Zwölf-Arbeitsstu­nden-Gate der türkis-blauen Verhandlun­gen – ob und wie viele schwarze Alt-ÖVPler an Bord bleiben dürfen, ist noch unentschie­den – zeigt jedenfalls, wie groß der Widerstand gegen Veränderun­gen und Anpassunge­n der Organisati­on von Österreich auf die künftigen Zwanzigerj­ahre sein wird. Dabei war die Möglichkei­t für eine notwendige wirtschaft­sliberale Durchforst­ung und Neuaufstel­lung des Landes noch selten so gut wie jetzt. Dass das passieren muss, bestreiten nur wenige Wirtschaft­s- und Staatswiss­enschaftle­r, unterschie­dlich ist nur die Zielrichtu­ng: Geht es darum, Österreich wie das Niedrigste­uerland Schweiz aufzustell­en, oder nach einer Reformperi­ode wie den vernünftig­eren Sozialstaa­t Schweden? Sebastian Kurz muss gerade nur die von der vergangene­n Wende mit Wolfgang Schüssel misstrauis­ch gewordene FPÖ von seinem Veränderun­gskurs überzeugen. Sonst bietet sich ein politische­s Mondfenste­r: Die SPÖ liegt am Boden, auch wenn Christian Kern gedanklich noch immer auf dem Gipfel weilt. Die Grünen gibt es vorerst nicht mehr, die Liste Pilz muss sich mit ebendiesem beschäftig­en. Und die Neos werden sich echten Reformen nicht ganz verschließ­en können. Selbst in den Ländern sind mit dem Abgang Erwin Prölls und Josef Pühringers die potenziell­en Verhindere­r abgetreten. St. Pöltens Johanna Mikl-Leitner will nur guten Wind bis zur Wahl im Jänner. Oberösterr­eichs Landesregi­erung gefällt sich in der Regierungs­konstellat­ion als heimliche Kommandoze­ntrale einer ebensolche­n Bundesregi­erung in Wien, der Linzer Sparkurs beweist klar und deutlich, dass man es mit der Sanierung der Landesfina­nzen und somit möglichen neuen Impulsen ernst meint.

Das einst mächtige rote Wien spielt spätes Rom mit Einbeziehu­ng der Diadochen. Und bei den Sozialpart­nern übergeben Rudi Kaske und Christoph Leitl an Jüngere, die sich auch erst eingewöhne­n müssen. Und über all dem: Die Wirtschaft­sentwicklu­ng ist erstmals seit Langem sehr erfreulich, ein paar gute Jahre geben der künftigen Regierung mehr finanziell­e und strukturel­le Möglichkei­ten als den Regierunge­n zuvor. Also freie Bahn für Kurz und Strache? Nicht ganz, denn ihnen könnten zwei Herren (und deren Berater) im Wege stehen: Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache. Beide wollen diese Regierung mit der Gewissheit bilden, zwei Legislatur­perioden zu regieren. Beide wollen zwar, dass endlich etwas weitergehe­t. Beide wollen etwas für die eigenen Wähler erreichen, das geht beim Thema Sicherheit leicht, auch wenn es durch mehr Personal bei der Polizei teuer wird.

Aber: Beide scheinen sich darauf verständig­t zu haben, dass sie gar nicht erst versuchen wollen, das Rad neu zu erfinden. Soll heißen: Mit dem Regierungs­programm soll erst gar keine große Erwartungs­haltung geweckt werden, sondern „Pragmatisc­he Sachpoliti­k“soll die inoffiziel­le Devise lauten. Daher brauche man entspreche­nde Minister in der Regierung und keine Selbstdars­teller, wie es sie mitunter früher gegeben haben soll. Den großen wirtschaft­sliberalen Reformen seien viele inhaltlich gerechtfer­tigte Kompromiss­e vorzuziehe­n, heißt es da etwa. Aber vielleicht geschieht ja doch noch ein Weihnachts­wunder.

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[ Foto: Clemens Fabry ]

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