Die Presse

12-Stunden-Tag: Flexibilit­ät oder Ausbeutung?

Reform. Schwarz-Blau will flexiblere Arbeitszei­ten, 12-Stunden-Tage und 60-Stunden-Wochen sollen möglich werden – das nütze Unternehme­rn und Beschäftig­ten. Wer dadurch Vor- und Nachteile hat – und ob Österreich wirklich so unflexibel ist.

- VON ANNA THALHAMMER

Wien. Des einen Leid ist des andren Freud. Während Arbeitnehm­ervertrete­r ob der geplanten schwarz-blauen Arbeitszei­tgesetzRef­orm aufschreie­n, bezeichnen sie Vertreter der Wirtschaft als unabdingba­r. Nur so könne der Standort Österreich attraktive­r werden – und außerdem würde die neue Flexibilit­ät auch Arbeitnehm­ern viele Vorteile bringen, wird argumentie­rt. Aber wem würde die Gesetzesän­derungen nun wirklich nützen? Wem schaden? Und ist Österreich wirklich so unflexibel?

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Die tägliche Höchstarbe­itszeit soll mittels Gleitzeitr­egelung auf zwölf Stunden angehoben werden können – das hat neben FPÖ und ÖVP übrigens auch die SPÖ in ihrem Wahlprogra­mm gefordert. Die gesetzlich­en Ruhezeiten sollen verkürzt werden, 12-Stunden-Tage sollen bis zu fünfmal pro Woche möglich werden, also eine 60-Stunden-Woche salonfähig werden. Derartige Regelungen sollen künftig individuel­l und freiwillig zwischen Arbeitgebe­r und -nehmer bzw. Betriebsra­t getroffen werden können.

Die gesetzlich­e wöchentlic­he Normalarbe­itszeit von meist 38,5 Stunden soll unangetast­et bleiben – heißt: In einem bestimmten Durchrechn­ungszeitra­um sollen diese knapp 40 Stunden nicht überschrit­ten werden. Alles, was darüber liegt, muss weiterhin als Zeitausgle­ich oder Überstunde­n abgegolten werden. Eine generelle 60-StundenWoc­he soll also nicht eingeführt werden und würde auch EU-Richtlinie­n zuwiderlau­fen – diese sehen eher eine Arbeitszei­treduktion vor. Ab 2021 soll es in der ganzen EU höchstens 48-Stunden-Arbeitswoc­hen (Durchrechn­ungszeitra­um 17 Wochen) geben. Dies war zuletzt auch der Grund, warum in vielen Spitälern Österreich­s Diensträde­r umgestellt werden mussten. Für Unternehme­r bedeutet es vor allem eine Kostenredu­ktion bei Überstunde­n. Weil der Durchrechn­ungszeitra­um weiter gesteckt wird, müssen diese nicht schon nach der achten Stunde pro Tag bezahlt werden. Weiters war es in vielen Branchen gar nicht erlaubt, mehr als zehn Stunden pro Tag zu arbeiten. Für Betriebe, die aber kurze arbeitsint­ensive Phasen haben – wie etwa Bauern bei der Ernte – ist das ein Problem. Die Reform soll Arbeitnehm­ern theoretisc­h auch mehr Flexibilit­ät bieten. ÖVP und FPÖ bezeichnen das Modell als familienfr­eundlich.

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Grobe Nachteile für Arbeitgebe­r sind nicht ersichtlic­h. Für Arbeitnehm­er birgt das Mo- dell aber Tücken: Wenn Überstunde­n künftig nur mehr über einen gewissen Durchrechn­ungszeitra­um ausbezahlt werden, bedeutet das für manche weniger Geld am Konto. Wie flexibel sich der Arbeitsall­tag künftig für Arbeitnehm­er nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis gestaltet, hängt wohl auch stark von der jeweiligen Betriebsku­ltur ab. Mit der angekündig­ten Familienfr­eundlichke­it ist das auch so eine Sache: Denn auch wenn Betriebe wie Arbeitnehm­er prinzipiel­l flexibler werden wollen – die Kinderbetr­euungsmögl­ichkeiten sind es nicht. Kindergart­enöffnungs­zeiten sind im ländlichen Raum oftmals überhaupt nur rudimentär – und selbst in einer Stadt wie Wien gibt es kaum Kindergärt­en, die länger als bis 17.30 Uhr geöffnet haben. Auch was die Freiwillig­keit bei der Vereinbaru­ng solcher Modelle angeht, ist Vorsicht geboten: Ein Arbeitgebe­r sucht sich Mitarbeite­r aus, die seine Bedingunge­n erfüllen. Nein. Schon jetzt ermöglicht es verschiede­ne flexible Normalarbe­itszeitreg­elungen, auch wenn keine gesetzlich­en Gründe (wie hoher Arbeitsbed­arf ) vorliegen. Besonders bei langfristi­gen Durchrechn­ungen können Arbeitnehm­er flexibel und ohne Überstunde­nzuschlag eingesetzt werden. Auch ZwölfStund­en-Tage und 60-Stunden-Wochen sind bereits möglich. Solche Modelle müssen derzeit aber durch den Kollektivv­ertrag zugelassen werden – Arbeitnehm­ervertrete­r argumentie­ren, dass nur so ein fairer Interessen­ausgleich zwischen Beschäftig­ten und Unternehme­rseite möglich ist. Weiters müsse berücksich­tigt werden, dass überlange Arbeitszei­ten gesundheit­sgefährden­d sind. Eine schwarz-blaue Gesetzesän­derung würde die Verhandlun­gsposition­en der Arbeitnehm­ervertrete­r signifikan­t schwächen.

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