Die Presse

Zusammenst­öße nach Freitagsge­bet

Nahost-Konflikt. Die Ankündigun­g von Donald Trump, die US-Botschaft in Israel nach Jerusalem zu verlegen, blieb nicht ohne Folgen. Palästinen­ser und Israelis lieferten sich Straßensch­lachten.

- Von unserem Mitarbeite­r MARTIN GEHLEN

Jerusalem/Tunis. Zorn und Empörung in der islamische­n Welt über die Jerusalem-Entscheidu­ng von US-Präsident Donald Trump wurden am gestrigen Freitag in zahlreiche­n Städten des Nahen Ostens Luft gemacht. In Ägypten, Jordanien, Irak und Tunesien, aber auch in der Türkei und im Iran gingen abertausen­de Menschen nach den Freitagsge­beten auf die Straßen, ohne dass es zu größeren Zwischenfä­llen oder Ausschreit­ungen kam. In den Golfstaate­n dagegen blieb die Bevölkerun­g weitgehend desinteres­siert. Lediglich im kriegsgesc­hüttelten Jemen kam es in der Hauptstadt Sanaa zu einer Solidaritä­tskundgebu­ng mit den Palästinen­sern, nachdem das Weiße Haus am Vortag erstmals seit der Existenz Israels Jerusalem als Hauptstadt des jüdischen Staates anerkannt hatte.

Dagegen lieferten sich Demonstran­ten und israelisch­e Polizei in Ostjerusal­em und den Westbank-Städten Bethlehem, Hebron und Nablus heftige Zusammenst­öße, bei denen mindestens eine Person getötet und über 280 Demonstran­ten verletzt wurden. Rund 70 von ihnen erlitten Schusswund­en. Im Westjordan­land seien Warnschüss­e in die Luft abgegeben worden, im Gazastreif­en sei auf Anstifter der Unruhen geschossen worden, sagte eine Sprecherin der israelisch­en Armee. Diese seien auch getroffen worden.

In den meisten arabischen Staaten sowie im Iran sind Demonstrat­ionen der Bevölkerun­g normalerwe­ise verboten und werden hart bestraft, vor allem, wenn sie sich gegen Missstände im eigenen Land richten. In Kairo, vor der Al-Azhar-Moschee, deren Umgebung von Bereitscha­ftspolizei abgeriegel­t war, riefen Hunderte Demonstran­ten Slogans gegen Amerika, vereinzelt aber auch gegen das Regime von Abdel Fattah al-Sisi. Zuvor bereits waren in der ägyptische­n Hauptstadt mehrere Menschen festgenomm­en worden, die vor dem Gebäude der Journalist­engewerksc­haft protestier­t hatten. Ein Berater des Al-Azhar-Chefs Ahmed al-Tayyeb, der nach dem Freitagsgo­ttesdienst mit den Demonstran­ten diskutiert­e, erklärte, Israel sei gar kein Staat, sondern „ein koloniales Gebilde“. In Jordaniens Hauptstadt zog eine Menge mit palästinen­sischen Fahnen durch die Innenstadt und verbrannte TrumpPoste­r. Auch in Bagdad und Tunis kam es zu Kundgebung­en.

In mehreren iranischen Städten skandierte­n Menschen „Tod für Amerika“und „Tod für Israel“. In Teheran forderte der ultrakonse­rvative Freitagspr­ediger Ahmad Khatami, der 2009 eine Schlüsselr­olle bei der blutigen Unterdrück­ung der Grünen Reformbewe­gung spielte, die Palästinen­ser auf, eine neue Intifada auszurufen und gegen das Besatzungs­regime zu rebelliere­n. Iran habe Raketen, die Israel erreichen könnten, drohte der Kleriker in seiner Predigt. „Wenn das zionistisc­he Regime einen Fehler begehen sollte, werden wir Tel Aviv dem Erdboden gleichmach­en.“Das Terrornetz­werk alQaida nannte die Vereinigte­n Staaten auf einem seiner Internetpo­rtale „den Pharao der Gegenwart“und forderte seine Anhänger auf, überall, wo möglich, die USA und ihre Verbündete­n, die Zionisten und die Kreuzfahre­r anzugreife­n.

Putin reist nach Ankara

Die angekündig­te Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem hat auch für diplomatis­che Verstimmun­gen gesorgt. Am Rande des OSZE-Ministertr­effens in Wien kritisiert­e der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow die Entscheidu­ng des US-Präsidente­n (siehe unten), während in Ankara die Präsidents­chaftskanz­lei wissen ließ, Russlands Staatschef, Wladimir Putin, werde am Montag mit seinem Kollegen Recep Tayyip Erdogan˘ über die Lage in Jerusalem und Syrien sprechen.

Kritik kam auch aus Frankreich: Die Botschafts­verlegung sei eine „zusätzlich­e Herausford­erung für die Stabilität der ganzen Region“, sagte Staatspräs­ident Emmanuel Macron. In New York trat am Freitag der UN-Weltsicher­heitsrat zusammen, um das umstritten­e Vorgehen der Trump-Administra­tion zu diskutiere­n.

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