Die Presse

Mauricio Macris Ritterschl­ag

Argentinie­n. Der WTO-Gipfel startet in Buenos Aires. Als Anerkennun­g für dortige Reformen.

- VON ANDREAS FINK

Buenos Aires. Es wird dieser Tage wieder Schulterkl­opfen geben. Seitdem Mauricio Macri vor zwei Jahren die Regierungs­geschäfte in der Casa Rosada aufgenomme­n hat, bekommt er aus der nördlichen Hemisphäre fast frenetisch­en Zuspruch. Argentinie­ns Präsident will, das wiederholt er stets, sein Land „in die Welt zurückführ­en“.

Dass an diesem Sonntag Minister aus 164 Nationen zum elften Gipfel der Welthandel­sorganisat­ion WTO ins ferne Buenos Aires reisen, ist Ausdruck dieser Wertschätz­ung. Ebenso die Tatsache, dass Mauricio Macri als erster Südamerika­ner das Präsidium der G20-Gruppe übernehmen darf. Der Präsident könnte sich glücklich schätzen, wäre da nicht ein Detail: Bislang sind es vor allem Wolken aus warmen Worten, die über Buenos Aires abregnen. Aber Investitio­nen, die das Land nach jahrelange­m Stillstand so dringend brauchte, bleiben aus.

Hohe Löhne, hohe Kosten

Der Grund dafür liegt in der Logik des Geschäftsl­ebens: Produziere­n in der Pampa ist zu teuer, zu umständlic­h, zu gefährlich. Eine Jeans kostet in Buenos Aires heute siebenmal so viel wie jenseits der Anden in Santiago de Chile. Das liegt nicht nur an den Löhnen der Arbeiter, die mehr als doppelt so hoch sind wie in anderen Ländern der Region. Die aberwitzig­e Differenz erklärt sich auch mit den höchsten Transportk­osten des Kontinents, der massivsten Steuerbela­stung ganz Amerikas, einer Inflations­rate, die immer noch die 20-Prozent-Marke übersteigt und überhöhte Finanzieru­ngskosten verursacht. Dazu kommen exzessive Ladenmiete­n, abenteuerl­iche Gewinnmarg­en im Handel, eine deutlich überbewert­ete Währung.

Dieser toxische Kostencock­tail ist Hauptgrund dafür, dass Macri es sich nicht leisten kann, in seinem Land jene Prinzipien des freien Welthandel­s anzuwenden, die dieser Tage in Buenos Aires gepredigt werden. Argentinie­ns Textilhers­teller könnten nicht konkurrier­en, würde Argentinie­n wie Chile Jeans aus China importiere­n.

Das soll sich ändern, das haben Macri und seine Minister mehrfach bekräftigt. Nachdem die Regierungs­koalition „cambiemos“bei den Parlaments­wahlen Ende Oktober solide zulegen konnte, will sie das wahlfreie 2018 nutzen. Für eine allgemein herbeigese­hnte Steuersenk­ung fehlt der Spielraum bei einem Budgetdefi­zit von wohl über sechs Prozent. Darum sollen Pensions- und Arbeitsrec­ht geändert werden. Vor allem will Macri eine Strategie anwenden, die er schon als Bürgermeis­ter von Buenos Aires erfolgreic­h anwandte: Ausmisten.

Kampf gegen die Mafia

Anfang April ließ der gewöhnlich wenig prägnante Rhetoriker deutliche Worte fallen: „Wir können mafiöses Verhalten in Argentinie­n nicht länger dulden. Die Mafiosi sitzen in Gewerkscha­ften, Unternehme­n, der Politik und der Justiz. Niemand darf hier glauben, der Herr über dieses Land und über unsere Zukunft zu sein.“Macri war Unternehme­r, Fußballbos­s und Bürgermeis­ter. Er hat die Mafia selbst erlebt, erlitten und – womöglich notgedrung­en – auch ernährt. Nun liegt, so berichten Medien, in seiner Schublade eine Liste mit Namen von 581 Figuren, die

der Welthandel­sorganisat­ion WTO startet am Sonntag in Buenos Aires. Minister aus 164 Nationen werden erwartet. Dass der Gipfel in Argentinie­n stattfinde­t, wird als Wertschätz­ung für die Reformbemü­hungen von Präsident Mauricio Macri interpreti­ert. Dieser hat tatsächlic­h schon viele Tabuthemen angepackt. der Präsident am liebsten ins Weltall befördern würde, wie er in kleinem Kreis verlautbar­t haben soll.

Der Wahlsieg im Oktober war ein Fanal: Staatsanwä­lte, die lang taktiert hatten, setzten sich schlagarti­g in Bewegung. Minister und Funktionär­e der Vorgängerr­egierung wurden ebenso verhaftet wie Finanzjong­leure aus deren Umfeld. Ein Richter mit Millionenv­ermögen wurde abgesetzt, mehr als 20.000 Polizisten wurden unehrenhaf­t entlassen. Schwarzmar­ktkönige wanderten hinter Gitter, Produktfäl­scher, Fußballult­ras sowie, vorige Woche, der Vizechef des traditions­reichen Erstligist­en Independie­nte. Verdacht: Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g.

Wem dieser Schlag wirklich galt, wusste das Land im Nu: dem Präsidente­n des Club Independie­nte, dem Unternehme­r, Multimilli­onär, Clanchef Hugo Moyano, jahrzehnte­lang Südamerika­s mächtigste­r Gewerkscha­ftsboss. Er setzte seine Macht stets ein, um den Lastwagenf­ahrern Vorteile zu verschaffe­n. Die Folge: Heute kassieren die argentinis­chen Chauffeure die höchsten Löhne des Kontinents, vom einst 45.000 Kilometer langen Eisenbahnn­etz ist kaum ein Drittel übrig. Lang war Hugo Moyano selbst Teilhaber des Eisenbahnn­etzes – und wachte über dessen fortschrei­tende Fäulnis.

Argentinie­ns Gewerkscha­ften sind ein Sonderfall. 40 Prozent al- ler Arbeitnehm­er sind Mitglied in einem der etwa 3000 „sindicatos“. Diese genießen ein einzigarti­ges Privileg: Sie stellen ihren Mitglieder­n Krankenkas­sen. Aber sie bieten auch Hotels, Rechtsbera­tung, eine Rundumvers­orgung. Für viele Arbeitnehm­er sei das positiv, erklären Soziologen. Am gesündeste­n ist die Administra­tion der Kassenbeit­räge aber offenbar für die Bosse, allesamt millionens­chwer, die ihre Position notfalls auch mit Gewalt verteidige­n.

Reiche Gewerkscha­ftsbosse

Überrascht waren die Argentinie­r weniger über solche perverse Akkumulati­on von Reichtum, sondern eher über die Tatsache, dass der Staat wirklich gegen Gewerkscha­ftsbosse vorgeht. Die MedinaVerh­aftung scheint Eindruck hinterlass­en zu haben. Vor einer Woche stimmte das Triumvirat an der Spitze des Gewerkscha­ftsdachver­bandes CGT tatsächlic­h Macris Arbeitsmar­ktreform zu.

Doch noch hält sich Widerstand, der von den Lkw-Lenkern angeführt wird, deren Boss heute Pablo Moyano heißt, der rabaukenha­fte Sohn Hugos. Nun muss Hugo Moyano abwägen. Sein Firmenimpe­rium, teils verwaltet von der Ehefrau, teils im Namen von Strohleute­n, wackelt unter gewaltigen Steuerford­erungen. Schweizer Finanzbehö­rden registrier­ten schon vor Jahren ungewöhnli­che Geldströme. Will er sein Imperium retten, muss sein Sohn nicht nur den Widerstand gegen die Reformen aufgeben. Die Lastwagenf­ahrer müssen einwillige­n, die ruinösen Transportk­osten zu senken.

Vorige Woche wurde auch Roberto Petrov verhaftet. Er war langjährig­er Bodyguard Hugo Moyanos, er kann sicher viel erzählen.

 ?? [ Imago ] ?? Für Mauricio Macris Vorgängeri­n, Cristina Fernandez,´ gibt es in Argentinie­n immer noch viel Zuspruch.
[ Imago ] Für Mauricio Macris Vorgängeri­n, Cristina Fernandez,´ gibt es in Argentinie­n immer noch viel Zuspruch.

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