Per U-Bahn aus der weißen Sackgasse
Verkehr. Die Angst vor Neuem legte der Skiort Serfaus rasch ab, um den überlebensnotwendigen Tourismus vor dem Aus zu bewahren. Seither nimmt jeder im 1000-Seelen-Dorf die U-Bahn.
Serfaus. Über dem Bahnsteig aus Stahl und Beton schwebt ein Berg aus Swarovski-Kristallen. Die Fahrt ist kostenlos. Es geht vorbei an Stationen mit erdigen Namen wie „Kirche“und „Zentrum“. Bis vor einigen Jahren konnte man auch bei der „Raika“zusteigen. So stellt sich der durchschnittliche Wiener keine U-Bahn vor. Die durchschnittliche U-Bahn liegt aber auch nicht auf 1400 Metern Seehöhe und muss pünktlich zum Start der Skisaison fertig renoviert sein.
Alles begann vor bald 40 Jahren mit einem Scherz. So erzählen es zumindest einige der Bewohner der 1000-Seelen-Gemeinde Serfaus auf dem Hochplateau über dem Inntal noch heute. „Ihr müsst halt unter die Erde, wenn ihr oben nicht drüberkommt“, soll in der verzweifelten Stimmung Anfang der 1980er-Jahre einer im Gemeinderat vorgeschlagen haben, als nach einem Ausweg aus dem Verkehrschaos im Tiroler Dorf gesucht wurde. Im Dezember 1985 nahm die U-Bahn ihren Betrieb auf.
Eigentlich ist es eine Luftkissenbahn, die einen Millimeter über dem Boden und acht Meter unter der Hauptstraße an einem Seil leise durch ihre Röhre gleitet. Und eigentlich wollten in den Achtzigern weder die Wiener Seilbahnbehörde noch Tirols Landeshauptmann Eduard Wallnöfer so genau wissen, was die Gemeinde da auf ihrem Hochplateau treibt. „Westreicher, wenn du moanscht“, sagte Letzterer zum damaligen Nationalratsabgeordneten Hugo Westreicher, als der Serfauser mit der Idee bei ihm vorstellig wurde.
„Könnten das nie mehr bauen“
Ab diesem Herbst wird die „alte Dame“nach 32 Jahren mit 30 Millionen transportieren Fahrgästen renoviert. Barrierefreiheit war Anfang der Achtziger kein Thema, genauso wie Kinderwagen oder unterirdische Designfeinheiten. 25 Mio. Euro investiert das gemeindeeigene Seilbahnunternehmen bis 2019. Sein Chef, Stefan Mangott, ist froh, dass die Bahn längst fährt. „Wir könnten das heute nicht mehr bauen. Wir würden nie alle Bewohner und Anrainer unter einen Hut bekommen.“Damals aber war der Leidensdruck groß genug, erzählt er, während es draußen langsam dunkelt. Die laufenden Schneekanonen vor dem Fenster kündigen den herannahenden Wintersaisonstart an. Schnee – davon lebte Serfaus, seit hier 1954 der erste Schlepplift eröffnet wurde. Doch die Schneesicherheit auf dem Hochplateau brachte das kleine Dorf schon in den Siebzigern an die Grenzen. Die enge Dorfstraße mündet in eine Sackgasse, in der sich mit dem Ausbau des Skigebiets immer mehr Autos stauten. Dort, in der Sackgasse, drohte auch der Tourismus zu enden, nachdem man den gesamten Ort in der Hochsaison zur autofreien Zone erklärt hatte. Am Ende eskalierte die Situation so weit, dass die wütenden Touristen auf die gesteckt vollen Busse einschlugen, die sie zum Lift bringen sollten.
Fotos mit leichtem Orangestich von damals zeigen, wie ein tiefer Graben mitten zwischen den Bauernhäusern hindurchläuft. Dass die Landwirte zwei Sommer lang ihr Heu und Vieh auf unkonventionellen Wegen befördern mussten und die Bahn mit 134 Mio. Schilling 60 Prozent mehr Gemeindegelder als geplant ver- schlang, störte die wenigsten im Ort. 20 Nebenerwerbsbauern zählt Serfaus noch. Sie alle arbeiten im Tourismus. Die Zeit, als jeder Zehnte hier einen rentablen Bauernhof hatte, war lang vor Eintreffen der Skigäste. Serfaus hat auf seine 1000 Einwohner knapp 7000 Betten und 1,2 Millionen Nächtigungen. Als man sich vor rund drei Jahren für die Renovierung entschied, waren bereits wieder die Hälfte der Gäste zu Fuß unterwegs. Die Infrastruktur war abermals an ihre Grenzen gestoßen. Man wusste, worin das gipfeln kann.
Innsbruck ist anders
Serfaus, das ist ein Sonderfall von Einigkeit und Abhängigkeit, konstatiert Thomas Schroll. In der „Hauptstadt der Alpen“, wie sich Innsbruck kokett nennt, liege der Fall anders, sagt der Chef der Nordkettenbahnen fast etwas bedauernd. Dort kommen 7800 Betten auf gut 130.000 Einwohner. Da hängt niemand von einem einzigen Wirtschaftszweig ab.
Als mit Schrolls Bahn vor zehn Jahren auch eine Mischung aus urbanem und alpinem Verkehrsmittel eröffnet wurde, schlug das Wellen. Der Appell der damaligen Bürgermeisterin für das Prestigepro- jekt, das das Stadtzentrum mit der Spitze der Nordkette verband, fand schnell Gegner. Die Skepsis saß tief, seit einige Jahre davor Pläne für eine Seilbahn entlang des Inn und der mittelalterlichen Altstadtfassaden bekannt geworden waren. Gondeln wollten die Innsbrucker genauso wenig wie die Serfauser 20 Jahre zuvor über ihren Häusern haben. Den unterirdischen Weg, den die Bahn daher im ersten Abschnitt nimmt, trug ihr bei Seilbahnern den wenig schmeichelhaften Namen „Grottenbahn“ein. Dass Stararchitektin Zaha Hadid die Stationen designte und Schroll die Bahn als Nahverkehrsmittel für die Bewohner an den Mittelstationen anpries, half anfangs wenig.
Heute hat sich die Aufregung gelegt. Gut 40 Prozent der 620.000 Fahrgäste sind einheimisch. Für das kleine Skigebiet mit zwei Liften auf der Spitze kommen aber nur sechs Prozent. Die Fahrt ist nicht umsonst und der Schnee Nebensache. Da gelten in Serfaus noch andere Regeln. Diese diktiert der Tourismus. Bis im Frühling die Bauarbeiten weitergehen, werden die U-Bahn und ihre Ski fahrenden Gäste wieder das Leben auf dem Hochplateau bestimmen.