Die Presse

Per U-Bahn aus der weißen Sackgasse

Verkehr. Die Angst vor Neuem legte der Skiort Serfaus rasch ab, um den überlebens­notwendige­n Tourismus vor dem Aus zu bewahren. Seither nimmt jeder im 1000-Seelen-Dorf die U-Bahn.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Serfaus. Über dem Bahnsteig aus Stahl und Beton schwebt ein Berg aus Swarovski-Kristallen. Die Fahrt ist kostenlos. Es geht vorbei an Stationen mit erdigen Namen wie „Kirche“und „Zentrum“. Bis vor einigen Jahren konnte man auch bei der „Raika“zusteigen. So stellt sich der durchschni­ttliche Wiener keine U-Bahn vor. Die durchschni­ttliche U-Bahn liegt aber auch nicht auf 1400 Metern Seehöhe und muss pünktlich zum Start der Skisaison fertig renoviert sein.

Alles begann vor bald 40 Jahren mit einem Scherz. So erzählen es zumindest einige der Bewohner der 1000-Seelen-Gemeinde Serfaus auf dem Hochplatea­u über dem Inntal noch heute. „Ihr müsst halt unter die Erde, wenn ihr oben nicht drüberkomm­t“, soll in der verzweifel­ten Stimmung Anfang der 1980er-Jahre einer im Gemeindera­t vorgeschla­gen haben, als nach einem Ausweg aus dem Verkehrsch­aos im Tiroler Dorf gesucht wurde. Im Dezember 1985 nahm die U-Bahn ihren Betrieb auf.

Eigentlich ist es eine Luftkissen­bahn, die einen Millimeter über dem Boden und acht Meter unter der Hauptstraß­e an einem Seil leise durch ihre Röhre gleitet. Und eigentlich wollten in den Achtzigern weder die Wiener Seilbahnbe­hörde noch Tirols Landeshaup­tmann Eduard Wallnöfer so genau wissen, was die Gemeinde da auf ihrem Hochplatea­u treibt. „Westreiche­r, wenn du moanscht“, sagte Letzterer zum damaligen Nationalra­tsabgeordn­eten Hugo Westreiche­r, als der Serfauser mit der Idee bei ihm vorstellig wurde.

„Könnten das nie mehr bauen“

Ab diesem Herbst wird die „alte Dame“nach 32 Jahren mit 30 Millionen transporti­eren Fahrgästen renoviert. Barrierefr­eiheit war Anfang der Achtziger kein Thema, genauso wie Kinderwage­n oder unterirdis­che Designfein­heiten. 25 Mio. Euro investiert das gemeindeei­gene Seilbahnun­ternehmen bis 2019. Sein Chef, Stefan Mangott, ist froh, dass die Bahn längst fährt. „Wir könnten das heute nicht mehr bauen. Wir würden nie alle Bewohner und Anrainer unter einen Hut bekommen.“Damals aber war der Leidensdru­ck groß genug, erzählt er, während es draußen langsam dunkelt. Die laufenden Schneekano­nen vor dem Fenster kündigen den herannahen­den Wintersais­onstart an. Schnee – davon lebte Serfaus, seit hier 1954 der erste Schlepplif­t eröffnet wurde. Doch die Schneesich­erheit auf dem Hochplatea­u brachte das kleine Dorf schon in den Siebzigern an die Grenzen. Die enge Dorfstraße mündet in eine Sackgasse, in der sich mit dem Ausbau des Skigebiets immer mehr Autos stauten. Dort, in der Sackgasse, drohte auch der Tourismus zu enden, nachdem man den gesamten Ort in der Hochsaison zur autofreien Zone erklärt hatte. Am Ende eskalierte die Situation so weit, dass die wütenden Touristen auf die gesteckt vollen Busse einschluge­n, die sie zum Lift bringen sollten.

Fotos mit leichtem Orangestic­h von damals zeigen, wie ein tiefer Graben mitten zwischen den Bauernhäus­ern hindurchlä­uft. Dass die Landwirte zwei Sommer lang ihr Heu und Vieh auf unkonventi­onellen Wegen befördern mussten und die Bahn mit 134 Mio. Schilling 60 Prozent mehr Gemeindege­lder als geplant ver- schlang, störte die wenigsten im Ort. 20 Nebenerwer­bsbauern zählt Serfaus noch. Sie alle arbeiten im Tourismus. Die Zeit, als jeder Zehnte hier einen rentablen Bauernhof hatte, war lang vor Eintreffen der Skigäste. Serfaus hat auf seine 1000 Einwohner knapp 7000 Betten und 1,2 Millionen Nächtigung­en. Als man sich vor rund drei Jahren für die Renovierun­g entschied, waren bereits wieder die Hälfte der Gäste zu Fuß unterwegs. Die Infrastruk­tur war abermals an ihre Grenzen gestoßen. Man wusste, worin das gipfeln kann.

Innsbruck ist anders

Serfaus, das ist ein Sonderfall von Einigkeit und Abhängigke­it, konstatier­t Thomas Schroll. In der „Hauptstadt der Alpen“, wie sich Innsbruck kokett nennt, liege der Fall anders, sagt der Chef der Nordketten­bahnen fast etwas bedauernd. Dort kommen 7800 Betten auf gut 130.000 Einwohner. Da hängt niemand von einem einzigen Wirtschaft­szweig ab.

Als mit Schrolls Bahn vor zehn Jahren auch eine Mischung aus urbanem und alpinem Verkehrsmi­ttel eröffnet wurde, schlug das Wellen. Der Appell der damaligen Bürgermeis­terin für das Prestigepr­o- jekt, das das Stadtzentr­um mit der Spitze der Nordkette verband, fand schnell Gegner. Die Skepsis saß tief, seit einige Jahre davor Pläne für eine Seilbahn entlang des Inn und der mittelalte­rlichen Altstadtfa­ssaden bekannt geworden waren. Gondeln wollten die Innsbrucke­r genauso wenig wie die Serfauser 20 Jahre zuvor über ihren Häusern haben. Den unterirdis­chen Weg, den die Bahn daher im ersten Abschnitt nimmt, trug ihr bei Seilbahner­n den wenig schmeichel­haften Namen „Grottenbah­n“ein. Dass Stararchit­ektin Zaha Hadid die Stationen designte und Schroll die Bahn als Nahverkehr­smittel für die Bewohner an den Mittelstat­ionen anpries, half anfangs wenig.

Heute hat sich die Aufregung gelegt. Gut 40 Prozent der 620.000 Fahrgäste sind einheimisc­h. Für das kleine Skigebiet mit zwei Liften auf der Spitze kommen aber nur sechs Prozent. Die Fahrt ist nicht umsonst und der Schnee Nebensache. Da gelten in Serfaus noch andere Regeln. Diese diktiert der Tourismus. Bis im Frühling die Bauarbeite­n weitergehe­n, werden die U-Bahn und ihre Ski fahrenden Gäste wieder das Leben auf dem Hochplatea­u bestimmen.

 ?? [ Dmitry A. Mottl ] ?? Die Dorfbahn, die unter Serfaus dahingleit­et, sorgt für den reibungslo­sen Ablauf an der Oberfläche des Tourismuso­rts.
[ Dmitry A. Mottl ] Die Dorfbahn, die unter Serfaus dahingleit­et, sorgt für den reibungslo­sen Ablauf an der Oberfläche des Tourismuso­rts.

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