Die Presse

„Viele pflegen sich krank“

Altenpfleg­e. Beim Thema „Pflege“kreist die Diskussion in der Regel um die Kosten für die öffentlich­e Hand und um ausländisc­he Pflegerinn­en. Das Thema ist viel komplexer.

- VON GERHARD HOFER

Wien. Viel krasser können Gegensätze kaum sein als Dienstagab­end an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien. Während im Foyer „Die Presse“-Währungsex­perte Nikolaus Jilch eine Veranstalt­ung zum Thema „Blockchain“moderierte, diskutiert­e im Festsaal nebenan „Die Presse“-Chefredakt­eur Rainer Nowak mit PremiQaMed-Chef Julian Hadschieff und der Leiterin des Forschungs­instituts Altersökon­omie an der WU, Ulrike Schneider, das Thema „Pflege“. Blockchain und Alterung. Beide Themen werden diese Gesellscha­ft massiv prägen – und wohl auch verändern. Und am Ende des Abends waren die Gegensätze gar nicht mehr so krass, wie sie eingangs schienen.

Wenn wir uns Gedanken über die steigende Lebenserwa­rtung und die damit verbundene­n Kosten machen, müssen wir „bei den Kindern“beginnen, mahnt Hadschieff. Seine Gruppe leitet mehrere Privatklin­iken, aber auch öffentlich­e Betreuungs­einrichtun­gen. Kinder müssen neben „Lesen, Rechnen und Schreiben auch soziale und Gesundheit­skompetenz“lernen, sagt der Manager. Denn es gehe nicht darum, dass wir länger leben, sondern, dass wir länger gesund leben. Und bei Letzterem ist Österreich im internatio­nalen Vergleich schlecht. Im Schnitt verbringt der Österreich­er seine letzten 20 Lebensjahr­e als kranker Mensch. Und das hänge sehr stark mit falscher Ernährung und zu geringer Bewegung zusammen. Österreich liege beim Rauchen und Trinken im Spitzenfel­d, gleichzeit­ig seien Alkohol und Zigaretten in kaum einem EU-Land so billig wie bei uns.

Für Ulrike Schneider gleicht die Debatte um die Pflege einem Eisberg. Nur ein kleiner Teil sei sichtbar und dieser werde wahrgenomm­en. Die steigenden Kosten etwa, die bei knapp zwei Prozent des BIPs liegen. Laut einer Studie des Wirtschaft­sforschung­sinstituts werden die Kosten für die Pflege von derzeit zwei Milliarden auf neun Milliarden Euro im Jahr 2050 steigen. Doch damit werde nur ein Drittel der wahren Kosten abgebildet, sagt Schneider. Unter der Wasserober­fläche des Pflege-Eisbergs verbergen sich viele andere.

Menschen, die Angehörige pflegen, verdienen weniger, machen seltener eine berufliche Karriere und werden mitunter selbst krank. „Manche pflegen sich krank“, sagt Schneider. Diese Kosten werden nirgendwo ausgewiese­n. Auch nicht das seelische Leid, das mit der Pflege einhergehe. Oft scheitern Beziehunge­n, verlieren Pflegende soziale Kontakte. Schneider wünscht dem Staat ein „Sonar“, damit er auch die Probleme unter Wasser erkennen kann. Einen Vergleich mit der Titanic lehnt sie aber ab. In Österreich werde auch vieles richtig gemacht.

Falsch laufe allerdings der öffentlich­e Diskurs. In den Medien werde die Alterung fast ausschließ­lich als Problem im Krisenmodu­s geschilder­t – und das färbe auf die politische Debatte ab. Dass die Menschen länger und länger eigenständ­ig leben, sei doch schließlic­h eine äußerst positive Geschichte.

Ob man das am Ende auch von der Blockchain wird behaupten können?

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[ Stanislav Jenis ] WU-Professori­n Ulrike Schneider, „Presse2-Chefredakt­eur Rainer Nowak und PremiQaMed-Geschäftsf­ührer Julian Hadschieff diskutiert­en an der WU ü\er die ökonomisch­en Aspekte der Langzeitpf­lege.

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