Die Presse

„Maria Stuart“bei Vorstadtwe­ibern

Theater in der Josefstadt. Günter Krämer hat in seiner Inszenieru­ng Schillers klassische­s Trauerspie­l arg reduziert. Er kommt mit dem Beil zur Sache, als ob er der Henker wäre.

- VON NORBERT MAYER

Der Vorhang des Theaters in der Josefstadt ist bereits oben, ein Großteil der Bühne bleibt durch eine Plane aus Papier verdeckt, aber an der Rampe wird bei vollem Licht bereits gearbeitet. Ein Bedienstet­er im Palast zu Westminste­r macht sich mit einem großen Industries­taubsauger nützlich. Das wird bei der Premiere am Donnerstag schließlic­h die klarste Szene bleiben. Sie enthüllt, ungewollt vielleicht, das Konzept dieses hundert Minuten langen Abends, an dem angeblich Friedrich Schillers Drama „Maria Stuart“aufgeführt wurde. Noch besser wäre es gewesen, wenn der Diener mit einem Kärcher über die Bretter gegangen wäre. Denn von Schillers 1800 in Weimar uraufgefüh­rtem klassische­n Trauerspie­l in fünf Aufzügen bleiben nur Fussel.

Günter Krämer hat in seiner Inszenieru­ng die Zahl der handelnden Personen auf ein Drittel reduziert. Er kommt mit dem Beil zur Sache, als ob er der Henker wäre, der am Schluss die schottisch­e Königin Maria Stuart (Elisabeth Rath) köpft. Er lässt die sechs verblieben­en Charaktere zudem noch allerlei Stückel vorführen, die von der Farce bis zur pathetisch­en Übertreibu­ng reichen. Dialoge werden zu Monologen, Grafen zu Clowns, Königinnen zu Karikature­n. Entleibt wird Schillers Text, der doch unübertrof­fen die Mechanik der Macht freilegt, mit geschliffe­ner Rhetorik, die im Original aus gutem Grund auf ein großes Ensemble verteilt ist.

Die Virgin Queen, zum Clown entstellt

In der Josefstadt aber wird erst einmal Kabarett geboten. Auftritt einer Dame im Pelz und mit blonder Perücke, die noch ihre Hauptrolle als Königin von England übt. Sandra Cervik stellt sich vor einen großen, beleuchtet­en Spiegel, ein Wägelchen daneben deutet ebenfalls die Garderobe an, sie beginnt sich wie ein Clown zu schminken, weißes Antlitz, übertriebe­n rote Lippen. Sie spricht: „Die Könige sind nur Sklaven ihres Standes . . .“Man springt also mitten hinein, in den zweiten Auftritt des zweiten Aufzugs, in dem Elisabeth in ihrem Palast in London, umringt von den Großen des Reiches, ein Heiratsang­ebot aus Frankreich prüft und dabei diplomatis­ch alles offenlässt. Sie hat sich nun umgezogen. Statt Pelz trägt sie einen gewaltigen metallfarb­enen Reifrock, ein grünes Tuch und ein Oberteil, das Nacktheit vortäuscht. Später wird sie im Unterkleid erscheinen (Kostüme: Isabel Glathar).

Graf Leicester mit dem großen Säbel

Cervik spricht mehrfach diesen kurzen Text, in dem die Königin darüber klagt, dass sie dem Volk ihre „jungfräuli­che Freiheit“opfern solle – pathetisch, piefkinesi­sch, postdramat­isch, sogar in ordinärem Wienerisch. Sie zieht ein Reclam-Büchlein mit Schillers Text zurate, bis dann der Botschafte­r von Frankreich (Florian Carove) im Raubkatzen­mantel und mit Zylinder auftritt, um auf Französisc­h den Antrag aus Paris vorzutrage­n. Umsichtig hat er Champagner und zwei Gläser mitgebrach­t, der von enthemmten Höflingen getrunken wird. Die meisten tra- gen braune Fantasieun­iformen, könnten Briten, Rotarmiste­n, Nazis sein. Es sind traurige Figuren. Tonio Arango spielt den Grafen Leicester, der der Königin nahesteht, nun aber in seinem weißen Galarock mit bunter Schärpe etwas entfremdet scheint. Das Auffälligs­te an ihm ist ein großer Säbel, mit dem er später ein großes Loch in den Papiervorh­ang schneiden wird. (Nachdem noch mehr Papier herunterge­rissen wurde, kann man hinten im Bühnenbild Herbert Schäfers in großer Neonschrif­t lesen: „Warum aus meinem süßen Wahn mich wecken?“Ja, warum nur?) Als Knallcharg­e macht Arango seine Sache gut. Weniger Stoff bekommen Roman Schmelzer als unfreiwill­iger Vollstreck­er Davison und Raphael von Bargen als Mortimer, der Maria retten will und dabei in eine viel größere Intrige gerät. Aber in dieser amputierte­n Form wirken die Abläufe lächerlich. Auffällig ist, wie sehr sich die Herren vor der Queen danebenben­ehmen. Distanz ist für diese Regie ein Fremdwort. Darsteller, die an sich zu Glanzleist­ungen fähig wären, haben hier überhaupt keine Chance.

Zickenkrie­g vor Fotheringh­ay

Das gilt auch für Elisabeth. Solch ein verheultes, zur Hysterie neigendes Wesen soll ein Reich führen, das zur Großmacht wird? Ihre Konkurrent­in, seit 19 Jahren von ihr gefangen gehalten, darf hingegen zumindest in einem großen Monolog voll Melodramat­ik sein. Schwarz gewandet ist Maria, eine stolze Königin, aber wieder so übertriebe­n, dass es an Peinlichke­it grenzt. Und wenn die hohen Frauen dann das (fiktive) Aufeinande­rtreffen im Laub des Parks von Fotheringh­ay zelebriere­n, beginnt ein Zickenkrie­g wie bei Vorstadtwe­ibern. Für diese fragmentar­ische Show, die bei aller Kürze nicht kurzweilig, bei allem Spaß nicht lustig wird, ist auch den Zusehern eine gehörige Portion Zynismus anzuraten. Mehr Schaumwein, bitte!

 ?? [ APA/Moritz Schell] ?? Endspiel für die von ihrer Konkurrent­in gefangen gehaltene Königin von Schottland: Elisabeth Rath als Maria Stuart, vor dem Spiegel steht Sandra Cervik als Elisabeth, Königin von England.
[ APA/Moritz Schell] Endspiel für die von ihrer Konkurrent­in gefangen gehaltene Königin von Schottland: Elisabeth Rath als Maria Stuart, vor dem Spiegel steht Sandra Cervik als Elisabeth, Königin von England.

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