Der Unruhestifter als treibende Kraft
Wer sind die Aufständischen in einer Gruppe? In die Beziehung mit ihnen spricht Jesus den Friedensgruß.
Wieder einmal war die Sitzung mit unseren Erziehern eskaliert. Die Meinungen gingen auseinander, wie Jugendliche, die auf der Straße aufgewachsen waren, wohn- und arbeitsfähig werden könnten. Die meisten glaubten, dass es zu schwer für die labilen Jugendlichen sei, in die Gesellschaft hineinzuwachsen. Sie sollten in einem Heim für Obdachlose Unterschlupf finden und könnten sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser halten. Mehr könne man ihnen nicht zumuten.
Claudiu allerdings war überzeugt, dass seine Schützlinge es schaffen würden, wenn sie allein wohnen könnten. Er argumentierte immer leidenschaftlicher, bis er sagte: „Wenn ihr mir eine Wohnung gebt, ziehe ich mit fünf Kandidaten ein. Ihr werdet sehen, dass sie alle arbeiten werden. Gebt mir die Chance, dass ich es ausprobiere.“
Claudiu bekam die Wohnung, lebte selbst mitten unter den Jugendlichen – und nach turbulenten Anfängen kamen einige aus dem Teufelskreis heraus. Sie begannen zu arbeiten und suchten sich bald schon eine eigene Unterkunft. Andere brauchten mehrere Anläufe. Einen musste er auf die Straße setzen, weil er zu nichts zu bewegen war. Heute sind die betreuten Jugendwohngemeinschaften für uns der wichtigste Schritt, um die Heranwachsenden auf den Weg zur Selbstständigkeit zu bringen.
Claudiu ist ein Typ wie Thomas im Evangelium, dem Unglaube nachgesagt wurde, weil er der Erzählung von der Auferstehung nicht sofort Glauben schenkte. Oft kommt Claudiu nicht zu Besprechungen, weil er auf der Straße seinen Schützlingen nachgeht. Ist er dann doch dabei, stiftet er Unruhe. Kaum hat man eine gemeinsame Meinung gefunden, ist er dagegen. Manchen Fall, der für uns abgeschlossen war, hat er wieder aufgerollt.
Doch schwierigste Kinder, mit denen wir nicht weiterkonnten, gaben ihm recht. Sie waren seine Freunde. Carmen, die mit 16 ihr Kind auf der Straße herumschleppte, betreute die neue Wohngemeinschaft. Sie wurde seine wichtigste Mitarbeiterin. Ich mochte den Unruhestifter nicht mehr missen.
Oft und oft durchbrach er unsere Fantasielosigkeit, wenn die Tore zu einer Lösung verschlossen waren. An das, worüber sich alle so sicher waren, konnte er nicht glauben. Doch wie oft freuten wir uns mit ihm über verlorene Kinder, die uns überraschten – dank seines Widerstandes. Niemand schmiedete unsere Gruppe mehr zusammen als der „ungläubige Claudiu“.
Wie Thomas im Evangelium bewies er uns den stärkeren Glauben, einen kritischen Glauben. In jeder Gemeinschaft gibt es die Kritischen. Wenn man keinen Weg weiß, flüchten sie nicht in Phrasen. In der Bedrohung wollen sie mehr wissen. „Geht nicht, gibt’s nicht“, wie es ein Manager formuliert hat. Wer bringt Spannung in eine Gruppe? Wer sind die Rebellen? In die Beziehung mit ihnen spricht Jesus den Friedensgruß.