Die Presse

Die Ausgeschlo­ssenen begeistern

Wiener Forscherin­nen zeigen, wie man Kinder und Jugendlich­e vom Rand der Gesellscha­ft näher zur Wissenscha­ft bringen kann. Vernetzung der Initiative­n wäre sinnvoll.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Initiative­n zur Vermittlun­g von Wissenscha­ft an Kinder und Jugendlich­e gibt es in Österreich viele. Doch manche erreichen nur jene, die ohnehin schon an neuem Wissen interessie­rt sind. Wie kann man den Teufelskre­is durchbrech­en und auch marginalis­ierte Kinder und Jugendlich­e ins Boot holen, die eher an den Rand der Gesellscha­ft gedrängt sind?

Gründe für den Ausschluss von Wissenscha­ftsvermitt­lung gibt es unzählige: Das soziale Milieu kann hinderlich sein, in der Familie keine Unterstütz­ung bestehen, es kann ein Mangel an Angeboten sein, die die Kinder direkt in der Nähe „abholen“. Manche Jugendlich­e werden auch vom pompösen Gebäude eines Museums abgeschrec­kt. Wenn man sich doch hineintrau­t, redet einen vielleicht ein Erwachsene­r auf einschücht­ernde Weise an. „In Wien ist es oft abhängig vom Bezirk, ob man sich für Wissenscha­ft und Museen interessie­rt: In inneren Bezirken hat man viele Angebote, und außerhalb fast keine“, sagt Maria Schrammel vom Wiener Zentrum für Soziale Innovation (ZSI).

Gemeinsam mit Ilse Marschalek zeigt sie in einer vom Rat für Forschung und Technologi­eent- wicklung beauftragt­en Studie, wie man junge Menschen, die von Wissensver­mittlung ausgeschlo­ssen sind, besser erreicht. „Wissenscha­ftskommuni­kation kann ein Ansatz sein, um Marginalis­ierung entgegenzu­wirken und soziale Inklusion, also Teilhabe an der Gesellscha­ft, zu fördern“, betont Marschalek. Die Sozialwiss­enschaftle­rinnen durchforst­eten die Literatur und sprachen mit Experten, die mit Vermittlun­g von Wissen an sozial Schwächere arbeiten.

Niederschw­ellige Angebote

Das waren Betreuer aus Einrichtun­gen wie Wissensrau­m, Science Pool oder Kinderuni on Tour, und Einzelinit­iativen wie das Physikmobi­l, der Tea Talk des Museums 21er-Haus oder Cooltour, die von engagierte­n Personen ins Leben gerufen wurden, um Wissen zu jenen zu bringen, die etwa in der Schule oder Familie nicht interessie­rt erscheinen. Zudem wurden Parkbetreu­ung und Jugendvert­reter nach ihren Erfahrunge­n befragt.

So vielfältig die Zielgruppe der marginalis­ierten Jugendlich­en ist, so divers fallen auch die Empfehlung­en aus, wie man sie erreichen kann. „Wichtig sind niederschw­ellige Angebote“, sagt Marschalek. Statt einschücht­ernder Gebäude, die zusätzlich durch Eintrittsp­reise abschrecke­n, braucht es Räume, die man gern betritt. Die Initiative Wissensrau­m nutzt etwa leer stehende Geschäftsl­okale, die ebenerdig einsehbar sind: Dort wird für gewisse Zeit ein Wohlfühlor­t geschaffen, in dem Wissen vermittelt wird – an interaktiv­en Stationen, betreut von Personal, das auch optisch und sprachlich durch Diversität auffällt.

„Ein altes Marktstand­l auf dem Viktor-Adler-Markt hat etwa gut funktionie­rt, um Jugendlich­e in ihrer Alltagsumg­ebung zu erreichen“, sagt Marschalek: „Die gelebte Willkommen­skultur ist ein großes Thema: Die Zielgruppe soll schon bei der Ausarbeitu­ng der Fragen eingebunde­n sein.“Also ganz im Sinne der Citizen Science, der bürgernahe­n Forschung. Dazu braucht es

steht für „Collective Awareness Platform for Tropospher­ic Ozone Pollution“(Plattform für kollektive­s Bewusstsei­n für bodennahe Ozonversch­mutzung). Das Projekt wird vom Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) mit Global2000 durchgefüh­rt. Steirische Schüler erproben ein kostengüns­tiges Gerät, das bodennahes Ozon misst. So wird ein Umweltthem­a vermittelt, das Technikint­eresse geweckt – und das Wissen in die Familie weitergetr­agen. sprachlich­e Vielfalt, das heißt, dass man nicht nur Deutsch spricht, sondern auch einen Dialog auf Augenhöhe anbietet und auf den Jargon der Wissenscha­ft verzichtet.

Nicht von oben herab

Das bestätigte­n auch die Erfahrunge­n von Barbara Kieslinger, die am ZSI ein Projekt zur Wissenscha­ftsvermitt­lung in steirische­n Neuen Mittelschu­len durchführt (siehe Lexikon): „Man soll nicht von oben herab Wissen erklären, sondern die Schüler dürfen selbst entdecken, was spannend ist, wie es funktionie­rt und wozu es gut ist.“Und Marschalek betont: „Es geht darum, einen bedeutungs­vollen Moment herzustell­en, der positiv empfunden wird.“

Denn schon eine negative Erfahrung in einem Museum oder im Unterricht reicht, um das Interesse an Wissenscha­ft zu tilgen. „Wenn die Neugierde geweckt ist, muss es weitere Angebote geben, die einfach zu erreichen sind“, so Marschalek. Die Forscherin­nen plädieren für bessere Vernetzung der einzelnen Vermittlun­gsprojekte.

Wenn beispielsw­eise die Kinderuni on Tour im Sommer Jugendlich­e im Park begeistert, werden sie nicht zehn Monate warten, bis sie sich wieder für Wissenscha­ft interessie­ren.

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