Die Ausgeschlossenen begeistern
Wiener Forscherinnen zeigen, wie man Kinder und Jugendliche vom Rand der Gesellschaft näher zur Wissenschaft bringen kann. Vernetzung der Initiativen wäre sinnvoll.
Initiativen zur Vermittlung von Wissenschaft an Kinder und Jugendliche gibt es in Österreich viele. Doch manche erreichen nur jene, die ohnehin schon an neuem Wissen interessiert sind. Wie kann man den Teufelskreis durchbrechen und auch marginalisierte Kinder und Jugendliche ins Boot holen, die eher an den Rand der Gesellschaft gedrängt sind?
Gründe für den Ausschluss von Wissenschaftsvermittlung gibt es unzählige: Das soziale Milieu kann hinderlich sein, in der Familie keine Unterstützung bestehen, es kann ein Mangel an Angeboten sein, die die Kinder direkt in der Nähe „abholen“. Manche Jugendliche werden auch vom pompösen Gebäude eines Museums abgeschreckt. Wenn man sich doch hineintraut, redet einen vielleicht ein Erwachsener auf einschüchternde Weise an. „In Wien ist es oft abhängig vom Bezirk, ob man sich für Wissenschaft und Museen interessiert: In inneren Bezirken hat man viele Angebote, und außerhalb fast keine“, sagt Maria Schrammel vom Wiener Zentrum für Soziale Innovation (ZSI).
Gemeinsam mit Ilse Marschalek zeigt sie in einer vom Rat für Forschung und Technologieent- wicklung beauftragten Studie, wie man junge Menschen, die von Wissensvermittlung ausgeschlossen sind, besser erreicht. „Wissenschaftskommunikation kann ein Ansatz sein, um Marginalisierung entgegenzuwirken und soziale Inklusion, also Teilhabe an der Gesellschaft, zu fördern“, betont Marschalek. Die Sozialwissenschaftlerinnen durchforsteten die Literatur und sprachen mit Experten, die mit Vermittlung von Wissen an sozial Schwächere arbeiten.
Niederschwellige Angebote
Das waren Betreuer aus Einrichtungen wie Wissensraum, Science Pool oder Kinderuni on Tour, und Einzelinitiativen wie das Physikmobil, der Tea Talk des Museums 21er-Haus oder Cooltour, die von engagierten Personen ins Leben gerufen wurden, um Wissen zu jenen zu bringen, die etwa in der Schule oder Familie nicht interessiert erscheinen. Zudem wurden Parkbetreuung und Jugendvertreter nach ihren Erfahrungen befragt.
So vielfältig die Zielgruppe der marginalisierten Jugendlichen ist, so divers fallen auch die Empfehlungen aus, wie man sie erreichen kann. „Wichtig sind niederschwellige Angebote“, sagt Marschalek. Statt einschüchternder Gebäude, die zusätzlich durch Eintrittspreise abschrecken, braucht es Räume, die man gern betritt. Die Initiative Wissensraum nutzt etwa leer stehende Geschäftslokale, die ebenerdig einsehbar sind: Dort wird für gewisse Zeit ein Wohlfühlort geschaffen, in dem Wissen vermittelt wird – an interaktiven Stationen, betreut von Personal, das auch optisch und sprachlich durch Diversität auffällt.
„Ein altes Marktstandl auf dem Viktor-Adler-Markt hat etwa gut funktioniert, um Jugendliche in ihrer Alltagsumgebung zu erreichen“, sagt Marschalek: „Die gelebte Willkommenskultur ist ein großes Thema: Die Zielgruppe soll schon bei der Ausarbeitung der Fragen eingebunden sein.“Also ganz im Sinne der Citizen Science, der bürgernahen Forschung. Dazu braucht es
steht für „Collective Awareness Platform for Tropospheric Ozone Pollution“(Plattform für kollektives Bewusstsein für bodennahe Ozonverschmutzung). Das Projekt wird vom Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) mit Global2000 durchgeführt. Steirische Schüler erproben ein kostengünstiges Gerät, das bodennahes Ozon misst. So wird ein Umweltthema vermittelt, das Technikinteresse geweckt – und das Wissen in die Familie weitergetragen. sprachliche Vielfalt, das heißt, dass man nicht nur Deutsch spricht, sondern auch einen Dialog auf Augenhöhe anbietet und auf den Jargon der Wissenschaft verzichtet.
Nicht von oben herab
Das bestätigten auch die Erfahrungen von Barbara Kieslinger, die am ZSI ein Projekt zur Wissenschaftsvermittlung in steirischen Neuen Mittelschulen durchführt (siehe Lexikon): „Man soll nicht von oben herab Wissen erklären, sondern die Schüler dürfen selbst entdecken, was spannend ist, wie es funktioniert und wozu es gut ist.“Und Marschalek betont: „Es geht darum, einen bedeutungsvollen Moment herzustellen, der positiv empfunden wird.“
Denn schon eine negative Erfahrung in einem Museum oder im Unterricht reicht, um das Interesse an Wissenschaft zu tilgen. „Wenn die Neugierde geweckt ist, muss es weitere Angebote geben, die einfach zu erreichen sind“, so Marschalek. Die Forscherinnen plädieren für bessere Vernetzung der einzelnen Vermittlungsprojekte.
Wenn beispielsweise die Kinderuni on Tour im Sommer Jugendliche im Park begeistert, werden sie nicht zehn Monate warten, bis sie sich wieder für Wissenschaft interessieren.