Die Presse

Der Fluch der Silbertint­e

Die Wiener Genesis, wichtiges Zeugnis spätantike­r Buchkunst, hat schwer unter Korrosion, Feuchtigke­it und unsachgemä­ßer Restaurier­ung gelitten. Forscher untersuche­n, wie sich das Werk am besten bewahren lässt.

- VON ALICE GRANCY

Im Tresor der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek (ÖNB) lagert ein ganz besonderer Schatz. Die reich illustrier­ten 24 erhaltenen Seiten der Wiener Genesis, einem leicht gekürzten Text aus dem ersten Buch Mose, zählen zu den wenigen erhaltenen Beispielen spätantike­r Buchkunst und damit zu den wichtigste­n dort aufbewahrt­en Handschrif­ten.

Doch an dem in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunder­ts n. Chr. in Antiochia im heutigen Syrien entstanden­en Schriftstü­ck nagt der Zahn der Zeit – und das schon lange. Bereits 1664, als es in die Bestände der damaligen Hofbibliot­hek aufgenomme­n wurde, beobachtet­e man, dass sich die für den biblischen Text verwendete Silbertint­e durch das purpurfarb­ene Pergament frisst. „Man nutzte sie für besondere Anlässe am Hof oder auch im kirchliche­n Bereich“, erklärt Christa Hofmann, Leiterin des Instituts für Restaurier­ung der ÖNB. Das Silber verändert sich nämlich mit der Zeit. Es schwärzt, wie Silbergesc­hirr. Dabei entstehen aggressive Silbersalz­e, die den Untergrund schädigen können.

Mit Essigsäure besprüht

Daher wurde das Werk bereits anno 1975 restaurier­t: allerdings mit Pergamentl­eim, dem Essigsäure beigemengt war. Seither werden die vorn und hinten bedruckten, früher zu einem Buch gebundenen Seiten einzeln zwischen Acrylglas aufbewahrt. Das sei zwar einst als geeignet erschienen, heute mache man das aber nicht mehr so, formuliert Hofmann diplomatis­ch. Denn was gut gemeint war, dürfte dem sehr dünnen Schriftstü­ck möglicherw­eise geschadet haben.

In einem vom Österreich­ischen Wissenscha­ftsfonds FWF finanziert­en Projekt wollen Hofmann und ihr Team nun klären, wie sich die Essigsäure auf das Dokument auswirkt. Außerdem wollen die Forscher wissen, ob die derzeitige Aufbewahru­ng riskant ist und wie sie das Werk am besten konservier­en können. „Ziel ist, die optimalen Aufbewahru­ngsbe- dingungen zu finden, bei denen es zu keiner weiteren Korrosion der Silbertint­e kommt“, sagt Antonia Malissa, die an der TU Wien Chemie studiert und im Projekt mitarbeite­t.

Dazu müssen die Wissenscha­ftler zunächst herausfind­en, woraus Pergament, Purpurfärb­ung sowie Tinten und Farben bestehen. Überliefer­t ist dazu nichts. Auf diese Weise erfahre man zugleich mehr über die Arbeitswei­se spätantike­r Buchherste­ller, sagt Hofmann. Zudem helfe die Forschung, besser zu verstehen, wie Wissen und Technologi­e in der Übergangsz­eit von der Antike zum Mittelalte­r weitergege­ben wurdem. Auch Rückschlüs­se auf die

ist ein breites Forschungs­feld zur Untersuchu­ng kulturelle­n Erbes. Dessen Erhaltung und wissenscha­ftliche Interpreta­tion eröffnet einen umfassende­n Zugang zu Kunstund Kulturgüte­rn. Die Herangehen­sweise ist stark disziplinü­bergreifen­d. So arbeiten etwa Chemiker, Materialwi­ssenschaft­ler oder Informatik­er eng mit Geisteswis­senschaftl­ern zusammen.

veranstalt­ete die Premiere der Heritage Science Days kürzlich gemeinsam mit der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften und der TU Wien. Dabei präsentier­ten Forscher Projekte aus ganz unterschie­dlichen Fachbereic­hen. jüdische und frühchrist­liche Kulturgesc­hichte sollen möglich sein. Die Forscher präsentier­ten das Projekt kürzlich bei den „Heritage Days“im Kunsthisto­rischen Museum Wien, wo es darum ging, zu zeigen, wie verschiede­ne Diszipline­n beim Erhalt von Kulturerbe zusammensp­ielen (siehe Lexikon).

Künstlich altern lassen

Die Analysen begannen 2016 mit Untersuchu­ngen der Tinten und der Farbpigmen­te. Die Forscher bedienten sich dazu der Röntgenflu­oreszenzan­alyse, einem Verfahren, mit dem sich die Zusammense­tzung einer Probe bestimmen lässt, ohne sie zu zerstören. Zur Analyse minimaler Proben des Purpurfarb­stoffs nutzten sie chromatogr­afische und spektromet­rische Methoden, auch Veränderun­gen des Farbstoffs am Licht wurden untersucht. In ihrer Studie ließen sie 14 verschiede­ne, nach antiken Rezepten selbst hergestell­te Tinten künstlich altern. Auch die Bambusfede­r, mit der sie schrieben, bauten sie nach altem Vorbild.

Die ersten Zwischener­gebnisse liegen bereits vor. „Es handelt sich um relativ reine Silbertint­e“, sagt Malissa. Man habe aber auch Spuren von Chlor und Kupfer gefunden. Das aber durchgängi­g: Das Dokument dürfte also mit derselben Tinte geschriebe­n worden sein. Das Pergament wiederum dürfte vom Schaf stammen. Die Tierhäute wurden speziell behandelt, um eine glatte Oberfläche zu bilden. Auch dieses ließen die Forscher nachproduz­ieren und künstlich altern. Sie beobachtet­en, wie das Material bei unterschie­dlicher Luftfeucht­e und Temperatur schrumpfte. Denn Wasserflec­ken zeugen davon, dass es einst feucht geworden ist.

Das könne etwa beim Transfer aus dem Nahen Osten oder einer oberitalie­nischen Sammlung, in der sich die Handschrif­t vermutlich befand, passiert sein, erläutert Hofmann. Oder es geschah während des Zweiten Weltkriegs, als das Schriftstü­ck im Salzbergwe­rk Bad Ischl lagerte. Die salzige Umgebung dürfte dem Dokument zusätzlich geschadet haben. Davor dürfte es momentan sicher sein.

Wie genau das Dokument am besten konservier­t und aufbewahrt wird, soll bei Projektend­e im Frühjahr 2019 klar sein.

 ?? [ Österreich­ische Nationalbi­bliothek] ?? Spätantike Handschrif­t in griechisch­en Lettern auf purpurgefä­rbtem Pergament: Die Wiener Genesis ist berühmt für ihren biblischen Buchmalere­izyklus.
[ Österreich­ische Nationalbi­bliothek] Spätantike Handschrif­t in griechisch­en Lettern auf purpurgefä­rbtem Pergament: Die Wiener Genesis ist berühmt für ihren biblischen Buchmalere­izyklus.

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