Eine Stadt aus Licht, Luft und Beton
Frankreich/Normandie. Le Havre, seit 2005 Unesco-Weltkulturerbe, ist 500 Jahre alt, sieht aber weit jünger aus.
Fünfhundert Jahre Geschichte, das ist die Gelegenheit, der Welt zu sagen, wer wir sind und was wir können.“Selbstbewusst formulierte Le Havres ehemaliger Bürgermeister Edouard Philippe die Idee hinter den Jubiläumsfeierlichkeiten der Stadt an der Seine-Mündung, die im Jahr 1517 vom Renaissance-König Franz I. gegründet wurde. Zwanzig Millionen Euro ließen sich Stadt, Hafen, private Investoren und umliegende Gemeinden das runde Geburtstagsfest kosten. „Wir wollen das Image der Stadt nachhaltig korrigieren“, erklärte Thomas Malgras, Koordinator der Aktivitäten im Jubiläumsjahr, sein ungewöhnlich hohes Budget. Künstler von Weltrang wurden nach Le Havre eingeladen, um die Stadt, die sich als Tourismus- und Wirtschaftsstandort neu positionieren will, ins rechte Licht zu rücken. Gäste erlebten einen aufregenden Sommer. Was bleibt für den Besucher 2018?
In Trümmern
Tatsächlich gilt vielen Franzosen Le Havre nach wie vor als wenig einnehmend, gar trist, und etwas gewöhnungsbedürftig ist das Stadtbild tatsächlich: Der hochseetaugliche Hafen, dem die Stadt ihre Gründung verdankt, wurde ihr auch zum Verhängnis. Die Wehrmacht baute die als „Tor zu Frankreich“geltende größte normannische Stadt zur Festung aus. 10.000 Tonnen Bomben warf die Royal Air Force im September 1944 über ihr ab. 5000 Menschen starben in den Trümmern, vom historischen Zentrum blieb nur ein Teil der Notre-Dame-Kirche stehen. Die Geburtsstätte des Impressionismus, in der Monet sein berühmtes Bild „Impression, soleil levant“malte, war ausgelöscht. Über 80.000 Menschen hatten ihre Wohnungen verloren.
Wohnung als Vorlage
Mit dem Wiederaufbau der 150 zerstörten Hektar des Stadtzentrums wurde Auguste Perret beauftragt, seit den 1920er-Jahren ein Pionier des Bauens mit Beton. „Das Dumme war nur: Der damalige Bürgermeister von Le Havre hasste Beton“, berichtet Francoise¸ Gaste´ über eine der Schwierigkeiten, mit denen der Architekt konfrontiert war. Madame Gaste´ führt durch die „Zeugenwohnung“, eine mit Originalmöbeln ausgestattete typische Wohnung der Wiederaufbauzeit, wie sie zu Tausenden gebaut wurden. Was im Inneren – neben den heute todschicken Nachkriegsmöbeln – sofort auffällt: Es gibt keine dunklen Gänge, bodentiefe Fenster in zwei Himmelsrichtungen sorgen für viel Licht und Frischluft. „Das alte Le Havre war zwar eine schöne, aber auch schmutzige und enge Stadt“, erklärt Francoise¸ Gaste,´ „Perret und seine Mitarbeiter haben die Wohnblocks so angelegt, dass ein Maximum an Licht in großzügige, ruhige Innenhöfe fallen konnte.“
2005 verlieh die Unesco dem von 60 Architekten mit viel „poetischem“Beton wiederaufgebauten Stadtzentrum das Prädikat „Weltkulturerbe“– nicht nur zum Stolz, sondern auch zum Erstaunen mancher Einheimischer: Francoise¸ Gaste´ erzählt amüsiert von Besuchern der Zeugenwohnung, die sich angesichts der Möbel ihrer Kindheit daran erinnern, wie ihre Eltern die hochwertigen Vollholzstücke zu ofengerechten Scheiten zerhackten, als man sich endlich etwas Moderneres beim Möbeldiskonter leisten konnte.
Zum Beton Auguste Perrets gesellt sich in der Stadtmitte der Beton Oscar Niemeyers: Le Volcan heißt das emblematische Kulturzentrum des brasilianischen Meisterarchitekten am alten Hafen, das mit seinen runden Formen einen spannungsreichen Kontrast zu Perrets rechtwinkeliger Architektur darstellt. Heute sind eines der wichtigsten Nationaltheater Frankreichs sowie die neue städtische Bibliothek, ein Musterbeispiel für gleichermaßen spektakuläre wie benutzerfreundliche Innenarchitektur, darin untergebracht.
Vier Kunstspaziergänge empfehlen sich durch die Stadt, alle beginnen sie bei Niemeyers Volcan sowie Stephane´ Thidets Installation, einer Brücke aus zwei Wasserstrahlen, die – sofern kein allzu starker Wind weht – genau in der Mitte des Hafenbeckens aufeinandertreffen und dabei eine stets in Bewegung bleibende Wolke aus Wasserstaub bilden.
Blick in die Vergangenheit
Nur ein Katzensprung ist es zum Rathaus, einem der Wahrzeichen der Stadt. Dort lädt ein entfernt an ein Münzfernrohr erinnerndes Gerät zum Blick in die Vergangenheit ein: „Timescope“nennt sich diese von einem Pariser Start-up entwickelte Zeitmaschine, die ihre Benützer dank Virtual Reality