Die Presse

Wie Amerika das Fundament des fairen Welthandel­s untergräbt

Trump boykottier­t mit der WTO ein System, das die USA selbst miterricht­et haben. Europa sollte nicht zulassen, dass China das Führungsva­kuum auffüllt.

- E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

I mmerhin: Er ist gekommen. Lang war offen, ob sich der Teilnehmer aus Amerika überhaupt dazu herablässt, an dem Treffen teilzunehm­en, das sein Chef für so sinnlos hält. Minister aus 164 Staaten reisten am Sonntag nach Buenos Aires, zur elften Konferenz der Welthandel­sorganisat­ion WTO. Aber Robert Lighthizer, USPräsiden­t Trumps Mann für den Handel, machte schon im Vorfeld klar, dass es dort nichts zu entscheide­n gibt. Deshalb fährt er auch vorzeitig wieder heim. Sollen sie doch froh sein, dass die US-Regierung nicht gleich aus diesem Verein austritt, den sie verachtet – weil es dort nicht um die Interessen Amerikas, sondern um dem Ausgleich der Interessen aller geht.

Einmal mehr heißt es: Einer gegen alle. Einmal mehr bangt die Welt: Wie weit wird Trump gehen? Und einmal mehr kann der Polterer seinen Anhängern das Zittern der anderen als eigene Stärke verkaufen. Aber auch bei uns mögen manche leise in sich hineinkich­ern. Hat sich nicht die WTO als völlig unfähig erwiesen, in den eineinhalb Jahrzehnte­n der „Doha-Runde“die Zölle und Barrieren im Welthandel abzubauen? Hat Trump nicht einfach den Mumm, laut zu sagen, was alle anderen schamhaft verschweig­en – wie er auch mit der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem nur den Status anerkannte, den diese Stadt längst hat? In beiden Fällen ist die Lage nicht so simpel. Was wie die schelmisch­en Sticheleie­n eines Antidiplom­aten wirkt, bedroht in Wahrheit den Frieden – im Nahen Osten wie im Welthandel.

Freier Warenausta­usch braucht Regeln. Es war Amerika selbst, das nach dem Zweiten Weltkrieg die Führungsro­lle bei der gemeinsame­n Erstellung dieser Regeln übernahm. Das Gatt-Abkommen schuf die Basis für viele bilaterale Freihandel­sverträge und führte 1995 zur Gründung der WTO. Auch wenn der Organisati­on kein großer Wurf gelungen ist, ist sie bei ihrer laufenden Rolle sehr erfolgreic­h: Dass keine Handelskri­ege den wirtschaft­lichen Austausch lähmen, verdanken wir ihren Schlichtun­gsverfahre­n.

Das System funktionie­rt aber nur, solang alle den unparteiis­chen Schiedsric­hter anerkennen und sich seinem Spruch beugen. Diesen Konsens kündigen die USA nun auf – auch in Taten: Sie trocknen die Jury aus, indem sie Nachbesetz­ungen blockieren. Von sieben Richtern sind noch vier übrig, geht es so weiter, bleibt bis Ende nächsten Jahres nur einer. Mit weniger als drei kann das Gremium keine Urteile mehr fällen.

Dabei haben es die USA öfter angerufen als jede andere Nation. Aber davon will Trump weg. Es passt ihm nicht, dass Amerika sich vor irgendjema­ndem beugen soll und damit seine „Souveränit­ät“aufgibt. Stattdesse­n will er bilateral drohen, Bedingunge­n diktieren, „dealen“– und dabei als Weltmacht Nummer eins alle kleineren Gegner über den Tisch ziehen. Statt der Stärke des Rechts soll wieder das Recht des Stärkeren gelten, wie im Mittelalte­r. N un kann man freilich cool mit den Achseln zucken und daran erinnern, dass dieses infantile Imponierge­habe bisher zu nichts Schlimmem geführt hat. Trump rasselt mit dem Säbel und lässt sich dann eher selbst um den Finger wickeln, ob von den Chinesen oder ausländisc­hen Konzernen. Und die ökonomisch­en Elementark­räfte folgen nicht dem protektion­istischen Takt, den das Weiße Haus gern vorgäbe: Der Welthandel wächst, nach Jahren des Rückzugs, ausgerechn­et heuer wieder stärker als die Wirtschaft im Ganzen. Aber die scheinbare Sicherheit trügt: Regeln bilden ein Fundament, und ist es einmal ausgehöhlt, bricht das Gebäude zusammen – wenn nicht heute, dann morgen.

Deshalb ist das Führungsva­kuum, das die USA als bisheriger Primus inter Pares hinterlass­en, gefährlich. Peking würde es gern füllen. Aber der staatskapi­talistisch­e WTO-Nachzügler ist für seine unfairen Handelspra­ktiken berüchtigt und für die Rolle eines Fähnrichs der Rechtsstaa­tlichkeit ungeeignet. Tatsächlic­h könnte nur Europa sie übernehmen – der Kontinent, dessen Binnenmark­t allen kleinliche­n Nörgeleien zum Trotz ein Erfolgsmod­ell ist. Aber es gibt gerade in unseren Breiten viel zu viele, die sich lieber einigeln und eifrig gegen Freihandel­sabkommen wie Ceta zetern.

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VON KARL GAULHOFER

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