Autobauer in der Brexit-Bredouille
Großbritannien. Hohe Zölle, fehlende Zulassung, teure Bürokratie: Ein harter Brexit könnte die Erfolgsgeschichte der britischen Autoindustrie jäh zerstören. Sie flüchtet in neue Technologien.
London. Das bevorstehende Ausscheiden Großbritanniens aus der EU stellt die Autoindustrie des Landes vor beispiellose Herausforderungen. Kaum eine Woche vergeht ohne dramatische Worte. Vor einem „Desaster“bei einem harten Brexit warnte zuletzt der Chef von Ford Europa, Steven Armstrong. Von einer „halben Katastrophe“sprach Aston Martin-Finanzchef Mark Wilson. Honda UK will sogar Produktionseinstellungen nicht ausschließen.
Damit ist einer der größten Erfolge der britischen Wirtschaft der vergangenen zwei Jahrzehnte in akuter Gefahr. Eine Autoindustrie, die aufgrund veralteter Technologien, miserabler Qualität und militanter Arbeitskämpfe erst in Verruf und schließlich in die Pleite geschlittert ist, hat sich zu einer Vorzeigebranche entwickelt. Mit Investitionen aus Japan (Nissan, Toyota und Honda), Frankreich (Peugeot) und Deutschland (BMW) sowie der Übernahme des Traditionsherstellers Jaguar Land Rover durch die indische Tata Group wurde Großbritannien im Vorjahr zum drittgrößten Hersteller Europas mit 1,7 Mio. Autos – noch vor alten Rivalen wie Frankreich und Italien.
Eng verflochtene Branche
Der Brexit bringt nun all dies in akute Gefahr. Kommt es zu keiner Einigung mit Brüssel, droht ab dem EU-Austritt das Inkrafttreten der Handelsbestimmungen der Welthandelsorganisation. Für Autos liegt der Zolltarif bei zehn Prozent, für Komponenten bei 4,5 Prozent. 80 Prozent der in Großbritannien hergestellten Autos werden exportiert, 56 Prozent davon in die EU. Umgekehrt werden 70 Prozent der in Großbritannien verkauften Autos aus der EU importiert. Weit mehr, als die Industrie aus dem Kursverlust des Pfund seit dem Brexit gewinnen konnte, wird sie durch Zölle verlieren. Insgesamt droht der briti- schen Autoindustrie nach Berechnungen ihres Verbands eine Harte-Brexit-Rechnung von 4,5 Mrd. Pfund. „Damit würde alles, was wir gemeinsam aufgebaut haben, in Gefahr geraten“, sagt Tony Walker, der Chef von Honda UK.
Die britische Autoindustrie ist eng mit europäischen Zulieferern verknüpft: Jeden Tag bringen mehr als 1100 Lastwagen Bestandteile beinahe im Minutentakt zu den Produktionsstätten. Nur rund 40 Prozent der Bestandteile eines britischen Autos werden derzeit in Großbritannien gefertigt.
Aber nicht nur drohende Zölle stellen eine Gefahr dar. Auch die Wiedereinführung von Grenzen wird zum Problem. Selbst die effizienteste Abfertigung kostet Zeit – und damit Geld. Nach Berechnungen von Honda schlagen nur 15 Minuten Verzögerung bereits mit 850.000 Pfund zu Buche.
Ebenso komplex – und gänzlich ungeklärt – ist die Frage der künftigen Zertifizierung. Bisher sind in Großbritannien hergestell- te Autos in ganz Europa zum Verkauf zugelassen. Mark Wilson von Aston Martin drängt auf rasche Klärung: „Wenn unsere Autos keine Zulassung bekommen, müssten wir die Produktion einstellen, bis wir Klarheit haben.“Premierministerin Theresa May aber hat sich bis vor wenigen Tagen geweigert, mit den Autobossen zusammentreffen zu wollen.
Pionier bei Selbstfahrern
Die immer deutlicher werdenden Kosten scheinen aber nun ein Umdenken zu erzwingen. Die Produktions- und Verkaufszahlen werden in diesem Jahr auf den niedrigsten Stand seit fünf Jahren sinken. Die Investitionen sind eingebrochen: Nach 2,5 Milliarden Pfund in 2015 fielen sie im Vorjahr auf 1,66 Milliarden Pfund und im ersten Halbjahr 2017 auf nur mehr 322 Millionen. Angesichts der niedrigen Margen sind in der britischen Autoindustrie mit einem Jahresumsatz von 77,5 Mrd. Pfund und 820.000 Beschäftigten mehr als 500.000 Jobs in Gefahr, warnt das Centre for Economic Policy Research. David Bailey von der Aston University Business School meint gar: „Es gibt keine Garantie für die Zukunft der Autoproduktion in Großbritannien.“
Um das zu verhindern, setzen Hersteller und nun auch die Regierung massiv auf neue Technologien. In seinem Budget 2018 reservierte Schatzkanzler Philip Hammond 900 Mio. Pfund für Forschung in selbstfahrende Fahrzeuge und Elektroautos, den Ausbau des Netzwerks an Ladestationen und Steuerbegünstigungen.
Neben Finanzanreizen setzt Großbritannien auf regulatorische Vereinfachung: Schon 2019 sollen Tests von fahrerlosen Autos im regulären Straßenverkehr erlaubt werden, nur zwei Jahre später, 2021, sollen sie die Zulassung erhalten. „Wir wollen mit Hightech auf die Überholspur gehen“, sagte Hammond. Bis 2040 sollen reine Benzin- und Dieselmotoren in Großbritannien verboten werden.