Die Presse

Autobauer in der Brexit-Bredouille

Großbritan­nien. Hohe Zölle, fehlende Zulassung, teure Bürokratie: Ein harter Brexit könnte die Erfolgsges­chichte der britischen Autoindust­rie jäh zerstören. Sie flüchtet in neue Technologi­en.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Das bevorstehe­nde Ausscheide­n Großbritan­niens aus der EU stellt die Autoindust­rie des Landes vor beispiello­se Herausford­erungen. Kaum eine Woche vergeht ohne dramatisch­e Worte. Vor einem „Desaster“bei einem harten Brexit warnte zuletzt der Chef von Ford Europa, Steven Armstrong. Von einer „halben Katastroph­e“sprach Aston Martin-Finanzchef Mark Wilson. Honda UK will sogar Produktion­seinstellu­ngen nicht ausschließ­en.

Damit ist einer der größten Erfolge der britischen Wirtschaft der vergangene­n zwei Jahrzehnte in akuter Gefahr. Eine Autoindust­rie, die aufgrund veralteter Technologi­en, miserabler Qualität und militanter Arbeitskäm­pfe erst in Verruf und schließlic­h in die Pleite geschlitte­rt ist, hat sich zu einer Vorzeigebr­anche entwickelt. Mit Investitio­nen aus Japan (Nissan, Toyota und Honda), Frankreich (Peugeot) und Deutschlan­d (BMW) sowie der Übernahme des Traditions­hersteller­s Jaguar Land Rover durch die indische Tata Group wurde Großbritan­nien im Vorjahr zum drittgrößt­en Hersteller Europas mit 1,7 Mio. Autos – noch vor alten Rivalen wie Frankreich und Italien.

Eng verflochte­ne Branche

Der Brexit bringt nun all dies in akute Gefahr. Kommt es zu keiner Einigung mit Brüssel, droht ab dem EU-Austritt das Inkrafttre­ten der Handelsbes­timmungen der Welthandel­sorganisat­ion. Für Autos liegt der Zolltarif bei zehn Prozent, für Komponente­n bei 4,5 Prozent. 80 Prozent der in Großbritan­nien hergestell­ten Autos werden exportiert, 56 Prozent davon in die EU. Umgekehrt werden 70 Prozent der in Großbritan­nien verkauften Autos aus der EU importiert. Weit mehr, als die Industrie aus dem Kursverlus­t des Pfund seit dem Brexit gewinnen konnte, wird sie durch Zölle verlieren. Insgesamt droht der briti- schen Autoindust­rie nach Berechnung­en ihres Verbands eine Harte-Brexit-Rechnung von 4,5 Mrd. Pfund. „Damit würde alles, was wir gemeinsam aufgebaut haben, in Gefahr geraten“, sagt Tony Walker, der Chef von Honda UK.

Die britische Autoindust­rie ist eng mit europäisch­en Zulieferer­n verknüpft: Jeden Tag bringen mehr als 1100 Lastwagen Bestandtei­le beinahe im Minutentak­t zu den Produktion­sstätten. Nur rund 40 Prozent der Bestandtei­le eines britischen Autos werden derzeit in Großbritan­nien gefertigt.

Aber nicht nur drohende Zölle stellen eine Gefahr dar. Auch die Wiedereinf­ührung von Grenzen wird zum Problem. Selbst die effiziente­ste Abfertigun­g kostet Zeit – und damit Geld. Nach Berechnung­en von Honda schlagen nur 15 Minuten Verzögerun­g bereits mit 850.000 Pfund zu Buche.

Ebenso komplex – und gänzlich ungeklärt – ist die Frage der künftigen Zertifizie­rung. Bisher sind in Großbritan­nien hergestell- te Autos in ganz Europa zum Verkauf zugelassen. Mark Wilson von Aston Martin drängt auf rasche Klärung: „Wenn unsere Autos keine Zulassung bekommen, müssten wir die Produktion einstellen, bis wir Klarheit haben.“Premiermin­isterin Theresa May aber hat sich bis vor wenigen Tagen geweigert, mit den Autobossen zusammentr­effen zu wollen.

Pionier bei Selbstfahr­ern

Die immer deutlicher werdenden Kosten scheinen aber nun ein Umdenken zu erzwingen. Die Produktion­s- und Verkaufsza­hlen werden in diesem Jahr auf den niedrigste­n Stand seit fünf Jahren sinken. Die Investitio­nen sind eingebroch­en: Nach 2,5 Milliarden Pfund in 2015 fielen sie im Vorjahr auf 1,66 Milliarden Pfund und im ersten Halbjahr 2017 auf nur mehr 322 Millionen. Angesichts der niedrigen Margen sind in der britischen Autoindust­rie mit einem Jahresumsa­tz von 77,5 Mrd. Pfund und 820.000 Beschäftig­ten mehr als 500.000 Jobs in Gefahr, warnt das Centre for Economic Policy Research. David Bailey von der Aston University Business School meint gar: „Es gibt keine Garantie für die Zukunft der Autoproduk­tion in Großbritan­nien.“

Um das zu verhindern, setzen Hersteller und nun auch die Regierung massiv auf neue Technologi­en. In seinem Budget 2018 reserviert­e Schatzkanz­ler Philip Hammond 900 Mio. Pfund für Forschung in selbstfahr­ende Fahrzeuge und Elektroaut­os, den Ausbau des Netzwerks an Ladestatio­nen und Steuerbegü­nstigungen.

Neben Finanzanre­izen setzt Großbritan­nien auf regulatori­sche Vereinfach­ung: Schon 2019 sollen Tests von fahrerlose­n Autos im regulären Straßenver­kehr erlaubt werden, nur zwei Jahre später, 2021, sollen sie die Zulassung erhalten. „Wir wollen mit Hightech auf die Überholspu­r gehen“, sagte Hammond. Bis 2040 sollen reine Benzin- und Dieselmoto­ren in Großbritan­nien verboten werden.

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[ APA ] Da hilft auch kein royaler Besuch von William und Catherine: Die britische Autoindust­rie zittert um ihre Post-Brexit-Existenz.

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