Die Presse

Wenn der Optimismus Sorge macht

Prognosen. Analysten verschätze­n sich oft eklatant. Anfang 2017 zeigten sich die Experten dem US-Markt gegenüber vorsichtig. Es folgte ein Boom. Für 2018 überwiegt der Optimismus. Zu Recht?

- VON STEFAN RIECHER

New York. Warren Buffett hat schon oft gescheite Dinge gesagt, und eines der bekanntest­en Zitate des Starinvest­ors geht so: „Sei ängstlich, wenn die anderen gierig sind, und sei gierig, wenn die anderen ängstlich sind.“Auf die aktuelle Lage umgelegt könnte man fragen: Ist es gerade jetzt, wo die Mehrzahl der Experten geradezu euphorisch ist, an der Zeit zu verkaufen?

US-Aktien sind am Kurs-Gewinn-Verhältnis gemessen so teuer wie seit der Dotcom-Blase nicht mehr, und trotzdem erwartet der Durchschni­tt der von Bloomberg befragten Analysten einen Anstieg des S&P-500-Index von 7,5 Prozent für das Jahr 2018. Wohlgemerk­t: Die Umfrage wurde durchgefüh­rt, bevor der US-Senat für die Steuerrefo­rm gestimmt hat, und manche Experten hoben hervor, dass es im Falle einer erfolgreic­hen Abgabenref­orm auch deutlich weiter nach oben gehen könne.

Wann kommt Steuersenk­ung?

Die UBS etwa geht im Basisszena­rio von einem Plus von zehn Prozent für 2018 aus, sagt aber einen Anstieg von 25 Prozent für den S&P-500 voraus, falls Präsident Donald Trump die Steuerrefo­rm noch heuer unterschre­ibt und die Unternehme­nssteuer bereits 2018 von 35 auf 20 Prozent gekürzt wird. Da soll noch einer sagen, US-Titel sind überbewert­et. Freilich: Abgeordnet­enhaus und Senat müssen ihre Steuerentw­ürfe erst konsolidie­ren, und derzeit sieht der Entwurf des Senats im Gegensatz zu dem des Abgeordnet­enhauses die Kürzung der Firmensteu­er erst für 2019 vor. Doch ausgeschlo­ssen ist ein Inkrafttre­ten schon 2018 keineswegs.

Auch was den Zinspfad der Federal Reserve betrifft, zeigen sich viele Analysten bemerkensw­ert optimistis­ch. So erwarten Goldman Sachs und JP Morgan, dass die Notenbank nach der bereits eingepreis­ten Erhöhung beim geplanten Treffen diese Woche im nächsten Jahr den Leitzins wegen der guten Wirtschaft­slage noch vier Mal anheben wird. Die Zentralban­k selbst geht von drei Mal aus und hat sich in den vergangene­n Jahren eher nach oben denn nach unten verschätzt – also die Zinsen nicht so schnell angehoben, wie sie das prophezeit hatte.

Nun ist Optimismus keine schlechte Tugend. Doch darf der Hinweis nicht fehlen, dass die Ex- perten zuletzt zu Beginn der Jahre 2001 und 2009 ähnlich euphorisch waren. In beiden Jahren stürzte der S&P-500 ab, es platzten die Internetbl­ase sowie jene am US-Häusermark­t. Anfang 2017 herrschte hingegen große Skepsis: Den USIndizes wurden leichte Anstiege beziehungs­weise ein unveränder­ter Wert vorhergesa­gt. Seitdem hat der S&P-500 knapp 20 Prozent zugelegt, der Dow Jones fünf Mal eine Tausender-Schallmaue­r durchbroch­en und der Technologi­eindex Nasdaq ein Viertel seines Wertes gewonnen.

Am eklatantes­ten verschätze­n sich die Ökonomen von Jahr zu Jahr bei der Rendite von zehnjährig­en US-Staatsanle­ihen. So sagten die Experten im Durchschni­tt seit 2009 stets einen Anstieg der Rendite vorher. So auch heuer, doch tatsächlic­h ist die Rendite leicht gesunken und liegt bei rund 2,35 Prozent, genau in der Gegend von Anfang 2009.

Heißt das nun, dass in US-Aktien investiert­e Anleger in Panik verfallen und schnellstm­öglich zum Ausgang laufen sollen? Nicht unbedingt. Es gibt gute Gründe, dass die Rallye noch einige Zeit weiterläuf­t: das globale Wachstum, die US-Steuerrefo­rm und die Tatsache, dass der Gewinn pro Aktie im weltweiten Schnitt so hoch wie nie zuvor liegt. Die hohen Bewertunge­n sind durchaus gerechtfer­tigt, argumentie­ren optimistis­che Ökonomen.

Warren Buffett ist vorsichtig

Und doch ist Vorsicht geboten, nicht zuletzt, weil die Expertensc­har euphorisch ist und die Geschichte zeigt, dass sie gerade dann oft falsch liegt. Platzt in China die Kreditblas­e, kann sich das schnell auf die globalen Aktienmärk­te auswirken. Dass Aktionäre im aktuellen Umfeld panisch reagieren können, zeigten die vergangene­n Wochen. Trotz der starken Zugewinne wegen der USSteuerre­form gab es zwischenze­itlich unerwartet deutliche Einbrüche, etwa wegen neuer Enthüllung­en rund um Trumps früheren Sicherheit­sberater Michael Flynn. Weiten sich die Sonderermi­ttlungen aus, kann die Reise an den Aktienmärk­ten ebenfalls schnell nach unten gehen, genauso wie im Falle eines Krieges mit Nordkorea.

Berkshire Hathaway, die Investment­gesellscha­ft von Warren Buffett, sitzt derzeit auf mehr als 100 Mrd. Dollar an Bargeld. Das richtige Investment biete sich momentan nicht an, sagt Buffett. Ist da jemand ein bisschen ängstlich, weil alle anderen gierig sind?

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[ Reuters ] Starinvest­or Warren Buffett rät zu Ängstlichk­eit, wenn andere gierig sind.

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