Wenn der Optimismus Sorge macht
Prognosen. Analysten verschätzen sich oft eklatant. Anfang 2017 zeigten sich die Experten dem US-Markt gegenüber vorsichtig. Es folgte ein Boom. Für 2018 überwiegt der Optimismus. Zu Recht?
New York. Warren Buffett hat schon oft gescheite Dinge gesagt, und eines der bekanntesten Zitate des Starinvestors geht so: „Sei ängstlich, wenn die anderen gierig sind, und sei gierig, wenn die anderen ängstlich sind.“Auf die aktuelle Lage umgelegt könnte man fragen: Ist es gerade jetzt, wo die Mehrzahl der Experten geradezu euphorisch ist, an der Zeit zu verkaufen?
US-Aktien sind am Kurs-Gewinn-Verhältnis gemessen so teuer wie seit der Dotcom-Blase nicht mehr, und trotzdem erwartet der Durchschnitt der von Bloomberg befragten Analysten einen Anstieg des S&P-500-Index von 7,5 Prozent für das Jahr 2018. Wohlgemerkt: Die Umfrage wurde durchgeführt, bevor der US-Senat für die Steuerreform gestimmt hat, und manche Experten hoben hervor, dass es im Falle einer erfolgreichen Abgabenreform auch deutlich weiter nach oben gehen könne.
Wann kommt Steuersenkung?
Die UBS etwa geht im Basisszenario von einem Plus von zehn Prozent für 2018 aus, sagt aber einen Anstieg von 25 Prozent für den S&P-500 voraus, falls Präsident Donald Trump die Steuerreform noch heuer unterschreibt und die Unternehmenssteuer bereits 2018 von 35 auf 20 Prozent gekürzt wird. Da soll noch einer sagen, US-Titel sind überbewertet. Freilich: Abgeordnetenhaus und Senat müssen ihre Steuerentwürfe erst konsolidieren, und derzeit sieht der Entwurf des Senats im Gegensatz zu dem des Abgeordnetenhauses die Kürzung der Firmensteuer erst für 2019 vor. Doch ausgeschlossen ist ein Inkrafttreten schon 2018 keineswegs.
Auch was den Zinspfad der Federal Reserve betrifft, zeigen sich viele Analysten bemerkenswert optimistisch. So erwarten Goldman Sachs und JP Morgan, dass die Notenbank nach der bereits eingepreisten Erhöhung beim geplanten Treffen diese Woche im nächsten Jahr den Leitzins wegen der guten Wirtschaftslage noch vier Mal anheben wird. Die Zentralbank selbst geht von drei Mal aus und hat sich in den vergangenen Jahren eher nach oben denn nach unten verschätzt – also die Zinsen nicht so schnell angehoben, wie sie das prophezeit hatte.
Nun ist Optimismus keine schlechte Tugend. Doch darf der Hinweis nicht fehlen, dass die Ex- perten zuletzt zu Beginn der Jahre 2001 und 2009 ähnlich euphorisch waren. In beiden Jahren stürzte der S&P-500 ab, es platzten die Internetblase sowie jene am US-Häusermarkt. Anfang 2017 herrschte hingegen große Skepsis: Den USIndizes wurden leichte Anstiege beziehungsweise ein unveränderter Wert vorhergesagt. Seitdem hat der S&P-500 knapp 20 Prozent zugelegt, der Dow Jones fünf Mal eine Tausender-Schallmauer durchbrochen und der Technologieindex Nasdaq ein Viertel seines Wertes gewonnen.
Am eklatantesten verschätzen sich die Ökonomen von Jahr zu Jahr bei der Rendite von zehnjährigen US-Staatsanleihen. So sagten die Experten im Durchschnitt seit 2009 stets einen Anstieg der Rendite vorher. So auch heuer, doch tatsächlich ist die Rendite leicht gesunken und liegt bei rund 2,35 Prozent, genau in der Gegend von Anfang 2009.
Heißt das nun, dass in US-Aktien investierte Anleger in Panik verfallen und schnellstmöglich zum Ausgang laufen sollen? Nicht unbedingt. Es gibt gute Gründe, dass die Rallye noch einige Zeit weiterläuft: das globale Wachstum, die US-Steuerreform und die Tatsache, dass der Gewinn pro Aktie im weltweiten Schnitt so hoch wie nie zuvor liegt. Die hohen Bewertungen sind durchaus gerechtfertigt, argumentieren optimistische Ökonomen.
Warren Buffett ist vorsichtig
Und doch ist Vorsicht geboten, nicht zuletzt, weil die Expertenschar euphorisch ist und die Geschichte zeigt, dass sie gerade dann oft falsch liegt. Platzt in China die Kreditblase, kann sich das schnell auf die globalen Aktienmärkte auswirken. Dass Aktionäre im aktuellen Umfeld panisch reagieren können, zeigten die vergangenen Wochen. Trotz der starken Zugewinne wegen der USSteuerreform gab es zwischenzeitlich unerwartet deutliche Einbrüche, etwa wegen neuer Enthüllungen rund um Trumps früheren Sicherheitsberater Michael Flynn. Weiten sich die Sonderermittlungen aus, kann die Reise an den Aktienmärkten ebenfalls schnell nach unten gehen, genauso wie im Falle eines Krieges mit Nordkorea.
Berkshire Hathaway, die Investmentgesellschaft von Warren Buffett, sitzt derzeit auf mehr als 100 Mrd. Dollar an Bargeld. Das richtige Investment biete sich momentan nicht an, sagt Buffett. Ist da jemand ein bisschen ängstlich, weil alle anderen gierig sind?