Volltrunkene machen halbe-halbe
Verschulden. Ein alkoholisierter Autofahrer fuhr einen alkoholisierten Fußgänger nieder. Nüchtern hätten beide ausweichen können. Doch wem gibt man in so einem Fall wie viel Schuld?
Wien. In Österreich wird besonders viel Alkohol getrunken, wie ein OECD-Vergleich zeigt. Dementsprechend sind Verletzungen unter Alkoholeinfluss auch immer wieder Thema für die Gerichte. Doch was gilt, wenn ein betrunkener Autofahrer einen betrunkenen Fußgänger niederfährt, weil beide infolge ihres Getränkekonsums nicht mehr korrekt reagieren? Eine Frage, mit der sich kürzlich der Oberste Gerichtshof ( OGH) beschäftigen musste.
Der Autofahrer hatte 1,24 Promille Alkohol im Blut, als er sich kurz nach Mitternacht mit ca. 50 km/h dem Unfallort im Grazer Stadtgebiet näherte. Ein anderer Mann – seines Zeichens sogar mit 1,61 Promille Alkohol im Blut unterwegs – überquerte in dieser Regennacht die Straße. Der Autofahrer bremste, aber bedingt durch den Alkoholeinfluss nicht rechtzeitig. Er reagierte um mindestens 2,2 Sekunden zu spät. Hätte der Fahrer rechtzeitig gebremst, wäre das Auto noch so zum Stillstand gekommen, dass der Unfall nicht passiert wäre.
Umgekehrt hätte auch der Fußgänger, wäre er noch ganz bei Sinnen gewesen, genug Zeit gehabt, um dem Wagen auszuweichen. So wurde der betrunkene Fußgänger aber vom Wagen erfasst und verletzt.
Streit um Behandlungskosten
Die gesetzliche Krankenversicherung des Fußgängers stritt nun vor Gericht mit dem Autolenker und der Versicherung des Kfz–Fahrers über die Frage, wer für die Unfallfolgen aufkommen muss. Knapp 120.000 Euro hätten die Sachkosten ausgemacht, erklärte die Krankenkasse. Dazu könnten noch weitere Unkosten kommen. Denn der Fußgänger war durch den Unfall so schwer verletzt worden, dass selbst Dauerfolgen möglich sind.
Die Kasse verlangte, dass die Gegenseite für zwei Drittel der Kosten aufkommt. Autoversicherung und Lenker behaupteten hingegen, dass der Fußgänger ganz al- lein am Unglück schuld sei, weil er die Straße in Anbetracht des nahenden Autos gar nicht erst hätte betreten dürfen.
Das Grazer Landesgericht für Zivilrechtssachen befand es als fair, wenn man beiden Betrunkenen gleich viel Schuld am Unglück gibt. Das Oberlandesgericht Graz betonte, dass zwar in Einzelfällen die Alkoholisierung eines Autofahrers schwerer wiegen könne als die des Fußgängers. Letzterem müsse man aber hier auch noch vorwerfen, dass er die Fahrbahn rechtswidrig betreten habe und damit den Unfall erst möglich gemacht habe. Auch das Oberlandesgericht Graz ging somit von einer Verschuldensteilung 1:1 aus.
Die klagende Krankenkasse ging nun vor den OGH und verlangte auch dort, dass man dem Autofahrer zwei Drittel Schuld am Unglück gibt. Dabei berief man sich auf ältere Entscheidungen, in denen die Gerichte dem Lenker einen höheren Grad an Verschulden beimaßen als dem Fußgänger. Die Höchstrichter freilich meinten, dass diese älteren Fälle nicht mit dem jetzigen vergleichbar seien.
Anders als einstige Alk-Fälle
In einem der einstigen Fälle war der alkoholisierte Fußgänger schon auf die Fahrbahn gestürzt, bevor er überfahren wurde. In einem weiteren war der Fußgänger nur mäßig alkoholisiert gewesen, während der Autofahrer gleich 2,05 Promille intus hatte. In einer anderen Causa waren beide ziemlich betrunken: der Autofahrer mit 1,8 bis 2,1 Promille (er hatte also auch deutlich mehr Alkoholgehalt im Blut als im aktuellen Fall), während der Fußgänger damals ähnlich wie jetzt 1,7 Promille intus hatte. In diesem Fall kam aber noch dazu, dass der Fußgänger nicht wie in der aktuellen Unglückscausa auf die Fahrbahn ging, sondern stattdessen 80 Zentimeter vom rechten Fahrbahnrand entfernt saß.
Und dann gab es da einst noch den Fall, in dem ein mit 1,7 Promille alkoholisierter Pkw-Fahrer den Fußgänger bereits auf 150 Meter hätte wahrnehmen können. In diesem Fall hatte der OGH noch befunden, dass der Pkw-Lenker im Verhältnis 3:2 zum Fußgänger am Unglück schuld war.
Im aktuellen Fall aber waren es nur knapp 42 Meter, auf denen der betrunkene Autofahrer den alkoholisierten Fußgänger hätte sehen können. Nüchtern betrachtet hielt es der OGH somit im aktuellen Fall für passend, wenn Autofahrer und Fußgänger gleichermaßen die Verantwortung für das Unglück tragen. Das Urteil der Vorinstanzen wurde bestätigt (2 Ob 163/17k).