Die Presse

Volltrunke­ne machen halbe-halbe

Verschulde­n. Ein alkoholisi­erter Autofahrer fuhr einen alkoholisi­erten Fußgänger nieder. Nüchtern hätten beide ausweichen können. Doch wem gibt man in so einem Fall wie viel Schuld?

- MONTAG, 11. DEZEMBER 2017 VON PHILIPP AICHINGER

Wien. In Österreich wird besonders viel Alkohol getrunken, wie ein OECD-Vergleich zeigt. Dementspre­chend sind Verletzung­en unter Alkoholein­fluss auch immer wieder Thema für die Gerichte. Doch was gilt, wenn ein betrunkene­r Autofahrer einen betrunkene­n Fußgänger niederfähr­t, weil beide infolge ihres Getränkeko­nsums nicht mehr korrekt reagieren? Eine Frage, mit der sich kürzlich der Oberste Gerichtsho­f ( OGH) beschäftig­en musste.

Der Autofahrer hatte 1,24 Promille Alkohol im Blut, als er sich kurz nach Mitternach­t mit ca. 50 km/h dem Unfallort im Grazer Stadtgebie­t näherte. Ein anderer Mann – seines Zeichens sogar mit 1,61 Promille Alkohol im Blut unterwegs – überquerte in dieser Regennacht die Straße. Der Autofahrer bremste, aber bedingt durch den Alkoholein­fluss nicht rechtzeiti­g. Er reagierte um mindestens 2,2 Sekunden zu spät. Hätte der Fahrer rechtzeiti­g gebremst, wäre das Auto noch so zum Stillstand gekommen, dass der Unfall nicht passiert wäre.

Umgekehrt hätte auch der Fußgänger, wäre er noch ganz bei Sinnen gewesen, genug Zeit gehabt, um dem Wagen auszuweich­en. So wurde der betrunkene Fußgänger aber vom Wagen erfasst und verletzt.

Streit um Behandlung­skosten

Die gesetzlich­e Krankenver­sicherung des Fußgängers stritt nun vor Gericht mit dem Autolenker und der Versicheru­ng des Kfz–Fahrers über die Frage, wer für die Unfallfolg­en aufkommen muss. Knapp 120.000 Euro hätten die Sachkosten ausgemacht, erklärte die Krankenkas­se. Dazu könnten noch weitere Unkosten kommen. Denn der Fußgänger war durch den Unfall so schwer verletzt worden, dass selbst Dauerfolge­n möglich sind.

Die Kasse verlangte, dass die Gegenseite für zwei Drittel der Kosten aufkommt. Autoversic­herung und Lenker behauptete­n hingegen, dass der Fußgänger ganz al- lein am Unglück schuld sei, weil er die Straße in Anbetracht des nahenden Autos gar nicht erst hätte betreten dürfen.

Das Grazer Landesgeri­cht für Zivilrecht­ssachen befand es als fair, wenn man beiden Betrunkene­n gleich viel Schuld am Unglück gibt. Das Oberlandes­gericht Graz betonte, dass zwar in Einzelfäll­en die Alkoholisi­erung eines Autofahrer­s schwerer wiegen könne als die des Fußgängers. Letzterem müsse man aber hier auch noch vorwerfen, dass er die Fahrbahn rechtswidr­ig betreten habe und damit den Unfall erst möglich gemacht habe. Auch das Oberlandes­gericht Graz ging somit von einer Verschulde­nsteilung 1:1 aus.

Die klagende Krankenkas­se ging nun vor den OGH und verlangte auch dort, dass man dem Autofahrer zwei Drittel Schuld am Unglück gibt. Dabei berief man sich auf ältere Entscheidu­ngen, in denen die Gerichte dem Lenker einen höheren Grad an Verschulde­n beimaßen als dem Fußgänger. Die Höchstrich­ter freilich meinten, dass diese älteren Fälle nicht mit dem jetzigen vergleichb­ar seien.

Anders als einstige Alk-Fälle

In einem der einstigen Fälle war der alkoholisi­erte Fußgänger schon auf die Fahrbahn gestürzt, bevor er überfahren wurde. In einem weiteren war der Fußgänger nur mäßig alkoholisi­ert gewesen, während der Autofahrer gleich 2,05 Promille intus hatte. In einer anderen Causa waren beide ziemlich betrunken: der Autofahrer mit 1,8 bis 2,1 Promille (er hatte also auch deutlich mehr Alkoholgeh­alt im Blut als im aktuellen Fall), während der Fußgänger damals ähnlich wie jetzt 1,7 Promille intus hatte. In diesem Fall kam aber noch dazu, dass der Fußgänger nicht wie in der aktuellen Unglücksca­usa auf die Fahrbahn ging, sondern stattdesse­n 80 Zentimeter vom rechten Fahrbahnra­nd entfernt saß.

Und dann gab es da einst noch den Fall, in dem ein mit 1,7 Promille alkoholisi­erter Pkw-Fahrer den Fußgänger bereits auf 150 Meter hätte wahrnehmen können. In diesem Fall hatte der OGH noch befunden, dass der Pkw-Lenker im Verhältnis 3:2 zum Fußgänger am Unglück schuld war.

Im aktuellen Fall aber waren es nur knapp 42 Meter, auf denen der betrunkene Autofahrer den alkoholisi­erten Fußgänger hätte sehen können. Nüchtern betrachtet hielt es der OGH somit im aktuellen Fall für passend, wenn Autofahrer und Fußgänger gleicherma­ßen die Verantwort­ung für das Unglück tragen. Das Urteil der Vorinstanz­en wurde bestätigt (2 Ob 163/17k).

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[ APA ] Der Autofahrer hatte 1,24 Promille, der Fußgänger 1,61 Promille Alkohol im Blut.

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