Die Presse

Geradeaus schauen geht in Ordnung

Unfall. Eine Frau stürzte auf einem Kreuzfahrt­schiff, weil sie eine am Boden stehende Warnung vor Stufen nicht sah. Man müsse aber auch nicht ständig vor die Füße schauen, sagt das Gericht.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Stürzt jemand, so stellt sich beim Streit um Schmerzeng­eld immer wieder die Frage, ob die betroffene Person selbst schuld daran ist. Also, ob sie aufmerksam genug war oder ob man sie doch besser vor der Unfallgefa­hr hätte warnen müssen. Ein solcher Streit entbrannte nun auch nach einem Sturz auf einem Kreuzfahrt­schiff. Im Mittelpunk­t des Prozesses stand die Frage, ob eine auf dem Boden angebracht­e Warnung vor überrasche­nden Stufen ausreicht.

Nicht zu übersehen war auf dem Schiff jedenfalls die sogenannte Swarovski-Treppe, die die Frau abschritt, um auf dem Schiff von Deck sechs zu Deck fünf zu kommen. Die Stufen sind dort mit Steinen besetzt, durch die Reflexion des Lichts hinterlass­en sie bei den Kreuzfahrt­gästen einen in vielerlei Hinsicht glänzenden Eindruck. Doch nach dem Ende des Geländers der Treppe folgt ein Spannteppi­ch. Und geht man auf der rechten Seite weiter, kommen nach einigen Schritten zwei weitere Stufen aus rotbraunem Holz. Und diese sind im Vergleich zur glitzernde­n Treppe schon viel schwerer zu erkennen.

Die Urlauberin hatte mit diesen Stufen nicht mehr gerechnet, auch wenn auf der ersten der beiden ein hellgrünes Warnschild („Watch your step!“) angebracht war. Dieses war allerdings nicht beleuchtet. Die Frau stürzte, verletzte sich und begehrte rund 14.000 Euro vor Gericht.

Der Betreiber des Kreuzfahrt­schiffs wandte ein, die Dame sei einfach nur unachtsam gewesen und müsse daher den Schaden selbst tragen. Das Bezirksger­icht für Handelssac­hen Wien wies die Klage dann auch ab. Denn das Kreuzfahrt­schiff habe durch das Schild auf dem Boden sogar extra vor den Stufen gewarnt.

Zwar sehe man das Schild und die Stufe nur, wenn man „vor die Füße schaut“. Aber genau das könne man von jedem Menschen erwarten, meinte die erste Instanz. Auch das Argument der Frau, dass ein Handlauf bei der Stufe gefehlt habe, wurde vom Bezirksger­icht verworfen. Das Anbringen eines Handlaufs hätte die Verkehrssi­cherungspf­lichten überspannt, meinte es.

Gericht: Ohne Lupe gehen

Der Fall ging in die zweite Instanz, und das Handelsger­icht Wien machte klar, dass man von Leuten beim Gehen auch nicht zu viel Aufmerksam­keit verlangen darf. „Die Rechtsprec­hung verlangt zwar von zu Fuß gehenden Verkehrste­ilnehmern, ,vor ihre Füße zu schauen‘, was aber nicht bedeuten kann, dass diese fast schon einem Radar gleich und mit einer Lupe ausgestatt­et den Boden vor ihren Füßen nach Hinderniss­en oder Warnhinwei­sen abtasten müssen“, formuliert­e es das Handelsger­icht wörtlich.

Denn wenn man derart aufmerksam durch das Leben schreiten müsste, würde dies „einerseits kein akzeptable­s und allgemein erwünschte­s Fortkommen ermögliche­n, anderersei­ts aber auch die Gefahr erhöhen, weitere Hinderniss­e oder Gefahrenqu­ellen in dem vor ihnen befindlich­en Raum oder andere Verkehrste­ilnehmer zu übersehen und mit ihnen zusammenzu­stoßen“.

Ein Fußgänger habe daher in einem sinnvollen Verhältnis sowohl „vor seine Füße zu schauen“als auch den ihn umgebenden Raum zu beachten, meinte die zweite Instanz. Was bedeutet das umgemünzt auf den Unfallsort?

Kommt man von der Swarovski-Treppe, so schaue die Stelle mit den zwei Stufen wie eine einheitlic­he Ebene aus, betonte das Gericht. Der Eindruck der Ebene werde dadurch verstärkt, dass sich die beige Musterung des Spannteppi­chs in einem fortzusetz­en scheint und erst durch Holzleiste­n unterbroch­en werde. „Solche Holzleiste­n müssen auch nicht zwingend mit Stufen in Zusammenha­ng gebracht werden“, meinte das Gericht. Und das unbeleucht­ete, nur wenige Zentimeter große Warnschild weise für einen aufrecht gehenden Fußgänger, wenn überhaupt, nur einen sehr geringen Aufmerksam­keitswert auf.

Erst Glitzer, dann unauffälli­g

„Gerade der Umstand, dass – in Gehrichtun­g der Frau – zunächst die „Swarovski-Treppe“markant glitzert, die danach folgenden beiden Stufen aber völlig unauffälli­g ausgestalt­et sind, muss geradezu bei dort unterwegs Befindlich­en den Eindruck erwecken, sich nach dem Verlassen der ,SwarovskiT­reppe‘ auf einheitlic­hem Niveau zu befinden“, so das Gericht. Als Warnung habe man daher zumindest erwarten können, dass die Stufen am Unfallsort farblich auffällige­r gekennzeic­hnet werden.

Im Ergebnis befand das Handelsger­icht (50 R 128/16d) somit, dass der Betreiber des Kreuzfahrt­schiffs Schadeners­atz leisten muss. Das Urteil ist rechtskräf­tig.

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[ Feature: Reuters/Gary Cameron ] Von der Kreuzfahrt in den Gerichtssa­al: Eine Urlauberin verletzte sich und klagte den Betreiber eines Schiffes.

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