Geradeaus schauen geht in Ordnung
Unfall. Eine Frau stürzte auf einem Kreuzfahrtschiff, weil sie eine am Boden stehende Warnung vor Stufen nicht sah. Man müsse aber auch nicht ständig vor die Füße schauen, sagt das Gericht.
Wien. Stürzt jemand, so stellt sich beim Streit um Schmerzengeld immer wieder die Frage, ob die betroffene Person selbst schuld daran ist. Also, ob sie aufmerksam genug war oder ob man sie doch besser vor der Unfallgefahr hätte warnen müssen. Ein solcher Streit entbrannte nun auch nach einem Sturz auf einem Kreuzfahrtschiff. Im Mittelpunkt des Prozesses stand die Frage, ob eine auf dem Boden angebrachte Warnung vor überraschenden Stufen ausreicht.
Nicht zu übersehen war auf dem Schiff jedenfalls die sogenannte Swarovski-Treppe, die die Frau abschritt, um auf dem Schiff von Deck sechs zu Deck fünf zu kommen. Die Stufen sind dort mit Steinen besetzt, durch die Reflexion des Lichts hinterlassen sie bei den Kreuzfahrtgästen einen in vielerlei Hinsicht glänzenden Eindruck. Doch nach dem Ende des Geländers der Treppe folgt ein Spannteppich. Und geht man auf der rechten Seite weiter, kommen nach einigen Schritten zwei weitere Stufen aus rotbraunem Holz. Und diese sind im Vergleich zur glitzernden Treppe schon viel schwerer zu erkennen.
Die Urlauberin hatte mit diesen Stufen nicht mehr gerechnet, auch wenn auf der ersten der beiden ein hellgrünes Warnschild („Watch your step!“) angebracht war. Dieses war allerdings nicht beleuchtet. Die Frau stürzte, verletzte sich und begehrte rund 14.000 Euro vor Gericht.
Der Betreiber des Kreuzfahrtschiffs wandte ein, die Dame sei einfach nur unachtsam gewesen und müsse daher den Schaden selbst tragen. Das Bezirksgericht für Handelssachen Wien wies die Klage dann auch ab. Denn das Kreuzfahrtschiff habe durch das Schild auf dem Boden sogar extra vor den Stufen gewarnt.
Zwar sehe man das Schild und die Stufe nur, wenn man „vor die Füße schaut“. Aber genau das könne man von jedem Menschen erwarten, meinte die erste Instanz. Auch das Argument der Frau, dass ein Handlauf bei der Stufe gefehlt habe, wurde vom Bezirksgericht verworfen. Das Anbringen eines Handlaufs hätte die Verkehrssicherungspflichten überspannt, meinte es.
Gericht: Ohne Lupe gehen
Der Fall ging in die zweite Instanz, und das Handelsgericht Wien machte klar, dass man von Leuten beim Gehen auch nicht zu viel Aufmerksamkeit verlangen darf. „Die Rechtsprechung verlangt zwar von zu Fuß gehenden Verkehrsteilnehmern, ,vor ihre Füße zu schauen‘, was aber nicht bedeuten kann, dass diese fast schon einem Radar gleich und mit einer Lupe ausgestattet den Boden vor ihren Füßen nach Hindernissen oder Warnhinweisen abtasten müssen“, formulierte es das Handelsgericht wörtlich.
Denn wenn man derart aufmerksam durch das Leben schreiten müsste, würde dies „einerseits kein akzeptables und allgemein erwünschtes Fortkommen ermöglichen, andererseits aber auch die Gefahr erhöhen, weitere Hindernisse oder Gefahrenquellen in dem vor ihnen befindlichen Raum oder andere Verkehrsteilnehmer zu übersehen und mit ihnen zusammenzustoßen“.
Ein Fußgänger habe daher in einem sinnvollen Verhältnis sowohl „vor seine Füße zu schauen“als auch den ihn umgebenden Raum zu beachten, meinte die zweite Instanz. Was bedeutet das umgemünzt auf den Unfallsort?
Kommt man von der Swarovski-Treppe, so schaue die Stelle mit den zwei Stufen wie eine einheitliche Ebene aus, betonte das Gericht. Der Eindruck der Ebene werde dadurch verstärkt, dass sich die beige Musterung des Spannteppichs in einem fortzusetzen scheint und erst durch Holzleisten unterbrochen werde. „Solche Holzleisten müssen auch nicht zwingend mit Stufen in Zusammenhang gebracht werden“, meinte das Gericht. Und das unbeleuchtete, nur wenige Zentimeter große Warnschild weise für einen aufrecht gehenden Fußgänger, wenn überhaupt, nur einen sehr geringen Aufmerksamkeitswert auf.
Erst Glitzer, dann unauffällig
„Gerade der Umstand, dass – in Gehrichtung der Frau – zunächst die „Swarovski-Treppe“markant glitzert, die danach folgenden beiden Stufen aber völlig unauffällig ausgestaltet sind, muss geradezu bei dort unterwegs Befindlichen den Eindruck erwecken, sich nach dem Verlassen der ,SwarovskiTreppe‘ auf einheitlichem Niveau zu befinden“, so das Gericht. Als Warnung habe man daher zumindest erwarten können, dass die Stufen am Unfallsort farblich auffälliger gekennzeichnet werden.
Im Ergebnis befand das Handelsgericht (50 R 128/16d) somit, dass der Betreiber des Kreuzfahrtschiffs Schadenersatz leisten muss. Das Urteil ist rechtskräftig.