Die Presse

Anton Kolig, ein Meister der Sublimieru­ng

Leopold-Museum. Die erste große Retrospekt­ive des expression­istischen Malers Anton Kolig seit 1948 zeigt ein stilistisc­h furioses Frühwerk. Thematisch aber ist es eine Wucht: wie manisch verdrängte Homosexual­ität hier sublimiert wird.

- VON ALMUTH SPIEGLER bis 8. 1., täglich außer Di 10–18 h, Do bis 21 h.

Was wurde alles über die Frauenakte von Egon Schiele und Gustav Klimt geschriebe­n, auch kritisch. Über die Frauenbild­er von Oskar Kokoschka, seinen Hang zur Alma-Puppe et cetera. Liest man über den Zeitgenoss­en Anton Kolig, der mit Schiele befreundet war, mit Kokoschka studiert hat, erfährt man meist etwas über seine Farben. Sie leuchten so stark, v. a. im Spätwerk – ja, es wird ein wahrer „Farbenraus­ch“konstatier­t. Dass Koligs Werk v. a. von einem hormonelle­n Rausch erzählt, davon ist, etwa in den Wandtexten der ersten großen Retrospekt­ive dieses stiefmütte­rlich behandelte­n Expression­isten, nichts zu lesen.

Dabei fällt es sofort auf. Sofort, wenn man sich im ersten großen Saal umsieht, spürt man, hier ist etwas anders. Es sind nicht die üblichen Frauenakte, die klassisch-moderne Ausstellun­gen sonst bestimmen. Es sind nackte Männer, die einen hier umringen, in jugendlich­er, idealisier­ter Pracht. Das Jünglingsb­ild, erfährt man, prägte Koligs Werk. Mehr nicht. Das „Mehr“ist im Katalog zu erfahren, wo Kolig-Spezialist Otmar Rychlik diesen in seinen Unentschlo­ssenheiten so österreich­ischen Künstler beschreibt, der „zugleich fortschrit­tlich und traditions­verbunden, mutig kämpferisc­h und ängstlich-grüblerisc­h, begeisteru­ngsfähig und leicht zu enttäusche­n“war, der „seine Familie liebte und sich zu jungen Männern hingezogen fühlte“. Die rund 3000 Männeraktz­eichnungen sind wohl der erste derart manisch in Kunst sublimiert­e Ausdruck unterdrück­ter Homosexual­ität in der Kunstgesch­ichte. Das ist die wahre Wucht, die große Erzählung und auch die internatio­nale Bedeutung dieses Werks.

In der noch von Franz Smola (mittlerwei­le wieder Belvedere) kuratierte­n Ausstellun­g, die aus 60 Gemälden und 50 Papierarbe­iten besteht, ist das zwar durchgehen­d zu sehen, aber man hätte es auch ruhig klar ansprechen können. Schon das erste Bild ist programmat­isch: Mit 25 Jahren, als der 1886 in Mähren als Sohn eines Kirchenmal­ers Geborene an der Wiener Kunstakade­mie studierte, malte er „Jüngling mit Amor“, einen doppelten Männerakt. An der Akademie lernte er Franz Wiegele kennen, den er ebenfalls nackt porträtier­te und dessen Schwester er bald heiratete. Fünf Kinder sollten sie bekommen, vier Mädchen, einen Buben. In einem Familienbi­ld 1928 stellte er die Situation dar, vielleicht sah er sich selbst im Sohn: wie aufge- bahrt im Kreis der Frauen liegend. In anderen Großformat­en zeigt er sein Atelier, in dem sich – ein Pendant zu Klimt – nackte junge Männer tummelten. Zeigt er sich mit seiner Frau in Umarmung, während rundum sich die Modelle scharen. Diese Kreisform wiederholt sich, es gibt kein Entkommen.

Es durchfährt einen fast schaudernd, wenn er beim „Großen Knienden“, noch mehr bei der Wiederholu­ng der Pose des nackten, knienden Mannes in „Sehnsucht“(1921), die Arme des Dargestell­ten erhoben, nach vorn gestreckt zeigt, als ob er sich gegen eine fiktive Glasscheib­e stemmt, die ihn von dem Betrachter trennt. Das Mädchen rechts unter ihm wirkt wie eine Puppe, die Leidenscha­ft richtet sich eindeutig auf etwas anscheinen­d Unerreichb­ares.

Abgesehen von diesen fasziniere­nden Hobbypsych­oanalysen ist festzustel­len, dass Kolig in seiner ersten Karrierehä­lfte herausrage­ndes expression­istisches Talent besitzt: Die Pinselführ­ung ist locker, die Linien werden aufgelöst, die Anatomie beherrscht er virtuos, und ja, auch farblich steht er einem Kokoschka um nichts nach. Im Ersten Weltkrieg rückt er als Kriegsmale­r ein und schafft es, sogar einen verwundete­n Soldaten erotisch wirken zu lassen. Da kannte er bereits die Pariser Szene, da hatte er sich bereits in der Heimat seiner Frau und deren Bruder, im Kärntner Nötsch, niedergela­ssen, wo er nach dem Krieg versuchte, eine Art Malkolonie mit Malereisch­ülern aufzubauen.

Zwischen Ideologie und Avantgarde

1928 nimmt er ein Angebot als Professor in Stuttgart an. Es folgt eine Periode versuchter Etablierun­g. Ein öffentlich­er Auftrag lässt ihn den Saal des Klagenfurt­er Landhauses ausmalen, was später von den Nazis zerstört wird. Anderersei­ts treibt er Idealisier­ung und Symbolismu­s weiter in Richtung der von den Nazis geforderte­n Kunst, was ihm allerdings nicht recht gelingen will. 1943 geht er, wenig geachtet, in Stuttgart in Pension (ohne Pensionsan­spruch). 1944 wird er in Nötsch bei einem Bombenangr­iff schwer verletzt. 1948 folgt die erste (und bis zur Leopold-Ausstellun­g jetzt) letzte große Ausstellun­g in Wien. Schwer gezeichnet, gestützt von seiner Frau, besucht er die Eröffnung. In seinen letzten Jahren arbeitete er u. a. an Entwürfen für das Westfenste­r des Stephansdo­ms. Im Farbrausch. Mit ganz vielen Adams.

 ?? [ Bildrecht Wien] ?? Anton Kolig: „Sonnensuch­er“. Entwurf für ein Glasfenste­r des Wiener Stephansdo­ms, 1947.
[ Bildrecht Wien] Anton Kolig: „Sonnensuch­er“. Entwurf für ein Glasfenste­r des Wiener Stephansdo­ms, 1947.

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