Die Presse

Israels Premier wirft Europa Doppelmora­l vor

Nahost-Konflikt. Die Europa-Visite des Premiers Israels, Netanjahu, könnte zu keinem brisantere­n Zeitpunkt erfolgen. In der islamische­n Welt gingen indes die Proteste gegen die Anerkennun­g Jerusalems als Israels Hauptstadt weiter.

- Von RUDOLF BALMER (PARIS) UND SUSANNE KNAUL (JERUSALEM)

Paris/Jerusalem. Schon seit Wochen war die Reise des israelisch­en Premiers, Benjamin Netanjahu, nach Paris fixiert. Sein Besuch bei einem Mittagesse­n mit dem Präsidente­n Frankreich­s, Emmanuel Macron, im E´lyse´ePalast bekam jedoch eine unverhofft größere Aktualität: Die Anerkennun­g von Jerusalem als Israels Hauptstadt durch US-Präsident Donald Trump hat die ursprüngli­ch vorgesehen­en Themen verdrängt.

In der Hauptstadt­frage kann Benjamin Netanjahu in Frankreich nicht mit Verständni­s oder sogar Entgegenko­mmen rechnen. Zwar hat im Vorfeld des Besuchs der Repräsenta­tive Rat der Jüdischen Institutio­nen Frankreich­s (Crif ), der Trumps Schritt als „historisch­en Entscheid“begrüßt hat, den französisc­hen Staatschef ersucht, Frankreich „auf dieselbe mutige Richtung zu verpflicht­en“. Macron aber hat bei einem Besuch in Algier unzweideut­ig Trumps Ankündigun­g als „bedauernsw­ert“bezeichnet, da sie dem Völkerrech­t und den UNO-Resolution­en entgegenla­ufen. Auf Twitter hatte Macron das noch ausgeführt: „Bezüglich Jerusalem unterstütz­t Frankreich den Entscheid der Vereinigte­n Staaten nicht. Frankreich steht zur Zweistaate­nlösung, dank der Israel und Palästina in Frieden und Sicherheit zusammenle­ben, und mit Jerusalem als Hauptstadt der beiden Staaten.“

Macron hat zuvor angekündig­t, Frankreich sei bereit, „zusammen mit seinen Partnern alle zweckdienl­ichen Initiative­n zu ergreifen“, die es erlauben, „Gewalt zu vermeiden und den Dialog zu fördern“. Damit spielt die Pariser Staatsführ­ung den Ball der diplomatis­chen Friedensbe­mühungen an die EU weiter. Netanjahu reist von Paris aus nach Brüssel weiter, wo er am heutigen Montag mit den EU-Außenminis­tern zusammentr­ifft. Auch dieser Besuch ist vereinbart worden, lang bevor es zum Streit um Jerusalems Status gekommen ist.

Keine Verurteilu­ngen wegen Raketen

Mit Europa geht der israelisch­e Premier hart ins Gericht: Er wirft den Europäern „Scheinheil­igkeit“vor. Während die Europäer den US-Präsidente­n kritisiert­en, weil er Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt habe, seien ihm keine „Verurteilu­ngen“aus Europa von palästinen­sischen Raketenabs­chüssen auf israelisch­es Gebiet bekannt geworden, erklärte Netanjahu in der Nacht zum Sonntag. „Obwohl ich Europa respektier­e, bin ich nicht bereit, von dieser Seite Doppelmora­l hinzunehme­n“, sagte Netanjahu.

Die Proteste gegen die Entscheidu­ng der USA ebben nicht ab: In Indonesien­s Hauptstadt, Jakarta, demonstrie­rten am Sonntag Tausende Menschen vor der US-Botschaft. In der libanesisc­hen Hauptstadt, Beirut, kam es zu Ausschreit­ungen. Sicherheit­skräfte setzten Tränengas und Wasserwerf­er gegen Demonstran­ten ein, die in der Nähe der US-Botschaft Feuer entzündete­n, die palästinen­sische Flagge schwenkten und versuchten, die Straße zur diplomatis­chen Vertretung zu blockieren.

Auch in Israel kam es am Wochenende zu heftigen Protesten. Die Fatah, die Partei von Palästinen­serpräside­nt Mahmoud Abbas, hatte noch am Samstagabe­nd dazu aufgerufen, die Proteste in den Palästinen­sergebiete­n fortzusetz­en. Zwar blieb die Lage am Wochenende angespannt, insgesamt gingen die Krawalle aber zurück. Nur ein

paar Tausend Demonstran­ten versammelt­en sich in verschiede­nen Städten im Westjordan­land, steckten Reifen, US-Flaggen und Plakate mit dem Bild Trumps in Brand. Besonders folgenschw­er blieben die Auseinande­rsetzungen im Gazastreif­en, wo vier Menschen bei den Luftangrif­fen der israelisch­en Kampfpilot­en und bei Feuergefec­hten im Grenzgebie­t zu Tode kamen. Zuvor hatten Hamas-Kämpfer Raketen auf die israelisch­e Stadt Sderot abgefeuert. Am Sonntag brachten israelisch­e Soldaten einen Tunnel zum Einsturz, durch den die Hamas wahrschein­lich Terroriste­n nach Israel einschleus­en wollte. Israels Verteidigu­ngsministe­r, Avigdor Lieberman, hat zu einem Boykott arabischer Ortschafte­n im Norden des Landes aufgerufen. In Jerusalem selbst ist am Sonntag bei einem Messeratte­ntat im Zentralen Busbahnhof ein israelisch­er Sicherheit­smann schwer verletzt worden.

Anstrengun­gen gegen den unilateral­en Beschluss des US-Präsidente­n verlagerte­n sich unterdesse­n auf internatio­nale Bühnen. In einer Dringlichk­eitssitzun­g der Arabischen Liga, die am Samstagabe­nd in Kairo stattfand, stellten sich die Außenminis­ter der Mitgliedss­taaten einstimmig gegen die Ankündigun­g Trumps und erklärten sie als nichtig. Die Anerkennun­g Jerusalems als israelisch­e Hauptstadt habe keinerlei rechtliche Bedeutung, hieß es in einer gemeinsame­n Erklärung.

Werbung für Anerkennun­g Palästinas

Für die Palästinen­ser gilt es jetzt, sich die internatio­nal günstige Stimmung zunutze zu machen und vor allem in Europa für eine Anerkennun­g Palästinas zu wirken. Im Vorfeld der Reise von Israels Regierungs­chef unterzeich­neten 56 Mitglieder des EU-Parlaments einen direkt an Benjamin Netanjahu adressiert­en Aufruf zur Kompensati­onszahlung in Höhe von 1,2 Millionen Euro für die Zerstörung von EU-finanziert­en humanitäre­n Projekten. Dazu gehörten Schulen, Wasserleit­ungen und Zisternen sowie Energiegew­innungsanl­agen.

 ??  ?? Krawalle nahe der US-Botschaft in Beirut: In der libane tadt setzte die Polizei Wasserwerf­er und Tränengas gegen die Demonstran­ten ein.
Krawalle nahe der US-Botschaft in Beirut: In der libane tadt setzte die Polizei Wasserwerf­er und Tränengas gegen die Demonstran­ten ein.
 ?? [ Reuters] ??
[ Reuters]

Newspapers in German

Newspapers from Austria