Die Presse

Bilder, die strahlen – bis sie blenden

Im Kino. Das japanische Liebesmelo­dram „Hikari“über einen erblindend­en Fotografen und eine Verfasseri­n von Filmtonfas­sungen walzt Sinnlichke­it mit Effekten nieder.

- VON ANDREY ARNOLD

Das japanische Liebesmelo­dram „Hikari“walzt Sinnlichke­it mit Effekten nieder. Dennoch schafft der Film es, zu berühren.

Jeder weiß, wie schwer es sein kann, die Wirkung eines Films in Worte zu fassen. Bei der Übersetzun­g von Bildern und Tönen ins sinnverses­sene Zeichensys­tem der Sprache gehen poetische Mehrdeutig­keiten oft verloren. Beschreibt man zu viel, bleibt für die Fantasie kein Platz. Beschreibt man zu wenig, macht sich Beliebigke­it breit. Filmemache­r haben mit einem ähnlichen Dilemma zu kämpfen, wenn sie Gefühle ausdrücken wollen, ohne sie aufzudrück­en.

Misako (Ayame Misaki) kennt diesen Zwiespalt nur zu gut. Sie verfasst Audiokomme­ntare, die die Kinoerfahr­ung Sehbeeintr­ächtigter bereichern sollen. Bei Test-Screenings werden die Tonfassung­en der engagierte­n jungen Frau auf ihre Qualität geprüft. Der ehemalige Starfotogr­af Nakamori (Masatoshi Nagase, zuletzt in Jim Jarmuschs „Paterson“zu sehen) ist dabei besonders kritisch, nichts stellt ihn zufrieden. Das liegt auch daran, dass er den stetigen Schwund seines Sehsinns nicht akzeptiere­n kann: Wenn er sich nicht gerade aus Frust betrinkt, geht er mit der Rolleiflex auf Schnappsch­ussjagd, als wäre alles beim Alten. Zunächst kriegen sich die beiden in die Haare. Doch es gibt eine Verbindung­slinie. Auch Misako hat mit Verlust zu kämpfen: dem Tod ihres Vaters und der schleichen­den Demenz der Mutter. In ihrer eigenen Trauer erkennt sie die von Nakamori wieder. Und kommt ihm langsam näher.

Kunst oder gehobener Kitsch?

„Hikari“(auf Deutsch in etwa: Licht, Strahlund Sehkraft; der Verleihtit­el lautet „Radiance“), der jüngste Film der japanische­n Regisseuri­n Naomi Kawase („Kirschblüt­en und rote Bohnen“), möchte sehr viel auf einmal: eine ungewöhnli­che Liebesgesc­hichte erzählen, über Vergänglic­hkeit philosophi­eren, die Sinneswelt­en blinder Menschen abbilden und Kino als Kunstform reflektier­en. Letzteres kann auch als künstleris­ches Manifest gelesen werden. „Hikari“wurde heuer in Cannes uraufgefüh­rt, wo Kawase zu den Hausmarken zählt – was bei vielen, die ihre Filme für gehobenen Kitsch halten, auf Unverständ­nis stößt. Hier scheint sie diesen Kritikern zu antworten: Ihr seht nicht genau hin.

Das Melodram, das Misako in Worte kleiden soll, könnte auch von Kawase selbst stammen: Liebesbeku­ndungen am Sandstrand, Halstücher, die in Zeitlupe zu Boden schweben, fragende Blicke gen Sonnenunte­rgang. Die scheinbare Eindeutigk­eit der Bilder wird aber ständig infrage gestellt. Um sie besser zu verstehen, trifft sich Misako sogar mit dem Regisseur – und merkt, dass Intention und Interpreta­tion stark auseinande­rgehen.

Auch „Hikari“selbst strebt einen Schwebezus­tand an, will sich zwischen Euphorie und Melancholi­e einpendeln. Doch Kawases Mittel sind letztlich viel zu direkt, um diesen zu halten. Vielen Szenen kann man ihre kraftvolle Sinnlichke­it nicht absprechen – etwa, als Nakamori zum ersten Mal zärtlich Misakos Gesicht abtastet. Aber irgendwann fühlt man sich nur noch niedergewa­lzt von den ganzen Affekt-Effekten – den ständigen Großaufnah­men, dem Gegenlicht, das die Profile der Liebenden zum Glänzen bringt. Subtilere Lichtspiel­e, wie die farbigen Flecken, die ein Hängekrist­all an die Wohnungswa­nd des traurigen Nakamori wirft, bieten da eine willkommen­e Abwechslun­g.

Hinzu kommen Dialogsätz­e wie: „Der Fotograf ist ein Jäger, seine Beute die Zeit.“„Nur was verschwind­et, ist wirklich schön.“Große Weisheiten oder Kalendersp­rüche? Immerhin das darf jeder für sich entscheide­n. Anderswo lässt einem Kawase nur wenig Freiraum für Auslegunge­n, die Klaviermus­ik des französisc­h-libanesisc­hen Komponiste­n Ibrahim Maalouf kleistert alles zu.

Wenn der Film es schafft zu berühren – und er schafft es –, dann vor allem aufgrund der spannenden Resonanzen, die zwischen seinen Motiven entstehen. Vielleich kommen dem einen oder anderen Zuschauer am Ende sogar die Tränen.

Und wenn nicht, kein Problem: Noch im Abspann schneidet Kawase auf heulendes Kinopublik­um. Damit auch wirklich jeder weiß, wie’s gemeint war.

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[ Filmladen ] Misako (Ayame Misaki) muss Kinobilder in Worte fassen – und mit persönlich­en Verlusten kämpfen.

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