Bilder, die strahlen – bis sie blenden
Im Kino. Das japanische Liebesmelodram „Hikari“über einen erblindenden Fotografen und eine Verfasserin von Filmtonfassungen walzt Sinnlichkeit mit Effekten nieder.
Das japanische Liebesmelodram „Hikari“walzt Sinnlichkeit mit Effekten nieder. Dennoch schafft der Film es, zu berühren.
Jeder weiß, wie schwer es sein kann, die Wirkung eines Films in Worte zu fassen. Bei der Übersetzung von Bildern und Tönen ins sinnversessene Zeichensystem der Sprache gehen poetische Mehrdeutigkeiten oft verloren. Beschreibt man zu viel, bleibt für die Fantasie kein Platz. Beschreibt man zu wenig, macht sich Beliebigkeit breit. Filmemacher haben mit einem ähnlichen Dilemma zu kämpfen, wenn sie Gefühle ausdrücken wollen, ohne sie aufzudrücken.
Misako (Ayame Misaki) kennt diesen Zwiespalt nur zu gut. Sie verfasst Audiokommentare, die die Kinoerfahrung Sehbeeinträchtigter bereichern sollen. Bei Test-Screenings werden die Tonfassungen der engagierten jungen Frau auf ihre Qualität geprüft. Der ehemalige Starfotograf Nakamori (Masatoshi Nagase, zuletzt in Jim Jarmuschs „Paterson“zu sehen) ist dabei besonders kritisch, nichts stellt ihn zufrieden. Das liegt auch daran, dass er den stetigen Schwund seines Sehsinns nicht akzeptieren kann: Wenn er sich nicht gerade aus Frust betrinkt, geht er mit der Rolleiflex auf Schnappschussjagd, als wäre alles beim Alten. Zunächst kriegen sich die beiden in die Haare. Doch es gibt eine Verbindungslinie. Auch Misako hat mit Verlust zu kämpfen: dem Tod ihres Vaters und der schleichenden Demenz der Mutter. In ihrer eigenen Trauer erkennt sie die von Nakamori wieder. Und kommt ihm langsam näher.
Kunst oder gehobener Kitsch?
„Hikari“(auf Deutsch in etwa: Licht, Strahlund Sehkraft; der Verleihtitel lautet „Radiance“), der jüngste Film der japanischen Regisseurin Naomi Kawase („Kirschblüten und rote Bohnen“), möchte sehr viel auf einmal: eine ungewöhnliche Liebesgeschichte erzählen, über Vergänglichkeit philosophieren, die Sinneswelten blinder Menschen abbilden und Kino als Kunstform reflektieren. Letzteres kann auch als künstlerisches Manifest gelesen werden. „Hikari“wurde heuer in Cannes uraufgeführt, wo Kawase zu den Hausmarken zählt – was bei vielen, die ihre Filme für gehobenen Kitsch halten, auf Unverständnis stößt. Hier scheint sie diesen Kritikern zu antworten: Ihr seht nicht genau hin.
Das Melodram, das Misako in Worte kleiden soll, könnte auch von Kawase selbst stammen: Liebesbekundungen am Sandstrand, Halstücher, die in Zeitlupe zu Boden schweben, fragende Blicke gen Sonnenuntergang. Die scheinbare Eindeutigkeit der Bilder wird aber ständig infrage gestellt. Um sie besser zu verstehen, trifft sich Misako sogar mit dem Regisseur – und merkt, dass Intention und Interpretation stark auseinandergehen.
Auch „Hikari“selbst strebt einen Schwebezustand an, will sich zwischen Euphorie und Melancholie einpendeln. Doch Kawases Mittel sind letztlich viel zu direkt, um diesen zu halten. Vielen Szenen kann man ihre kraftvolle Sinnlichkeit nicht absprechen – etwa, als Nakamori zum ersten Mal zärtlich Misakos Gesicht abtastet. Aber irgendwann fühlt man sich nur noch niedergewalzt von den ganzen Affekt-Effekten – den ständigen Großaufnahmen, dem Gegenlicht, das die Profile der Liebenden zum Glänzen bringt. Subtilere Lichtspiele, wie die farbigen Flecken, die ein Hängekristall an die Wohnungswand des traurigen Nakamori wirft, bieten da eine willkommene Abwechslung.
Hinzu kommen Dialogsätze wie: „Der Fotograf ist ein Jäger, seine Beute die Zeit.“„Nur was verschwindet, ist wirklich schön.“Große Weisheiten oder Kalendersprüche? Immerhin das darf jeder für sich entscheiden. Anderswo lässt einem Kawase nur wenig Freiraum für Auslegungen, die Klaviermusik des französisch-libanesischen Komponisten Ibrahim Maalouf kleistert alles zu.
Wenn der Film es schafft zu berühren – und er schafft es –, dann vor allem aufgrund der spannenden Resonanzen, die zwischen seinen Motiven entstehen. Vielleich kommen dem einen oder anderen Zuschauer am Ende sogar die Tränen.
Und wenn nicht, kein Problem: Noch im Abspann schneidet Kawase auf heulendes Kinopublikum. Damit auch wirklich jeder weiß, wie’s gemeint war.