Die Presse

Die vielen Baustellen in Dortmund

Analyse. Peter Stöger soll die Trendwende bei Borussia Dortmund herbeiführ­en. Neben taktischen Fragen ist er vor allem als Psychologe gefragt, die erste Standortbe­stimmung erfolgt heute in Mainz.

- VON SENTA WINTNER

Peter Stöger soll die Trendwende bei Borussia Dortmund herbeiführ­en. Er ist auch als Psychologe gefragt.

Dortmund/Wien. Das Eiltempo in der Karriere von Peter Stöger hält an. Gerade einmal eine Trainingse­inheit im Schneegest­öber am Montag stand dem Wiener nach seiner Bestellung zum Cheftraine­r von Borussia Dortmund zur Verfügung, um heute (20.30 Uhr, live Sky) in Mainz den ersten Schritt aus der Krise zu setzen. Seit neun Pflichtspi­elen wartet die Mannschaft bereits auf einen Sieg. „Niemand wird erwarten, dass man am Dienstag eine Handschrif­t sehen kann“, sagte Stöger, hielt aber fest: „Unser erstes Ziel ist es, bis Weihnachte­n noch Punkte zu holen.“Vorgänger Peter Bosz hat allerdings einige Baustellen hinterlass­en, die es für Stöger nun schnellstm­öglich zu beheben gilt.

Mentale Komponente. Der sportliche Rückfall nach dem Traumstart (sechs Siege in den ersten sieben Spielen), Unstimmigk­eiten mit dem alten Betreuerte­am um Bosz, vielleicht sogar Nachwehen des Terroransc­hlags auf den Mannschaft­sbus im vergangene­n April – das BVB-Team braucht vor allem abseits des Fußballpla­tzes Zuspruch, wie Sportdirek­tor Michael Zorc einräumte: „Es ist ab irgendeine­m Punkt etwas passiert mit der Mannschaft im psychologi­schen Bereich. Wir können es nicht erklären.“Stöger sprach deshalb davon, in den nächsten Tagen und Wochen „kleine Mosaikstei­ne zusammenfü­hren“zu wollen. Mit seiner lockeren, humorvolle­n Art sollte er zu den Profis durchdring­en.

Gruppenbil­dungen. Der extravagan­te Lebensstil von Torjäger PierreEmer­ick Aubameyang sorgt immer wieder für Schlagzeil­en und hat zuletzt sogar eine Suspendier­ung zur Folge gehabt. Bereits unter BoszVorgän­ger Thomas Tuchel sollen sich innerhalb der Mannschaft Gruppen gebildet, Aubameyang sich mit anderen Legionären wie Raphael¨ Guerreiro oder dem inzwischen zu Barcelona gewechselt­en Ousmane Dembel´e´ abgeschott­et haben. In Köln zeichnete Stöger eine enge Verbundenh­eit mit seinen Spielern aus, darauf baut auch Zorc: „Peter kann eine Mannschaft wieder zusammenfü­hren, wenn Ungereimth­eiten da sind.“

System. Der Niederländ­er Bosz ist in Dortmund mit der klaren Vision eines 4-3-3-Systems mit aggressive­m Pressing angetreten und hat viel zu lange stur daran festgehalt­en. Der Überraschu­ngseffekt zu Saisonbegi­nn hatte sich jedoch bald abgenutzt, mit Druck auf den alleinigen Sechser bzw. hohen Bällen gegen die weit aufgerückt­e Mannschaft haben die Gegner das BVB-Spiel bald erfolgreic­h ausge- hebelt. Das Fehlen eines Plan B deckte zuletzt in der Champions League selbst Apoel Nikosia schonungsl­os auf. Stöger hat in seinen fünf Jahren bei Köln trotz bevorzugte­n 4-4-2-Systems mit Doppelsech­s mehr taktische Variabilit­ät gezeigt. Beim BVB steht er nun vor der Herausford­erung, rasch das optimale System für die vorhandene­n Spieler zu finden.

Verteidigu­ng. 23 Gegentore in 15 Bundesliga­runden, davon 21 allein in den jüngsten acht Partien, waren selbst für die beste Offensive der Bundesliga (gleichauf mit Bayern München) nicht zu kompensier­en und sind zu viel für einen Klub mit internatio­nalen Ambitionen. Bosz hat auf statische Innenverte­idiger wie Sokratis gesetzt, zudem auf den Außenposit­ionen teilweise wild rotiert. Dass Stöger einer Mannschaft defensive Stabilität vermitteln kann, hat er in der Vergangenh­eit bewiesen. In Dortmund erwarten sich 80.000 Fans freilich ein Spektakel, gefragt ist also eine ausgewogen­e Abstimmung.

Personalie Tuchel. Im Zuge der sportliche­n Krise verfolgt den BVB-Vorstand wohl auch Extrainer Tuchel. Der 44-Jährige wurde ohne wirkliche Not wegen zwischenme­nschlicher Probleme mit Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke im Sommer entlassen, dabei war er mit einem Schnitt von 2,09 Punkten der erfolgreic­hste Coach der Klubgeschi­chte. Nach dem Bosz-Flop steht mit Stöger (drei Mio. Euro Gehalt) der dritte Trainer auf der Payroll, entspreche­nd groß ist der Erfolgsdru­ck. Ruhe wird erst wieder einkehren, wenn Siege Tuchels Geist endgültig vertrieben haben.

 ??  ??
 ?? [ Imago/Kirchner-Media ] ?? Peter Stöger bleibt wenig Eingewöhnu­ngszeit, nächste Woche steigt das DFB-Cup-Achtelfina­le gegen Bayern München.
[ Imago/Kirchner-Media ] Peter Stöger bleibt wenig Eingewöhnu­ngszeit, nächste Woche steigt das DFB-Cup-Achtelfina­le gegen Bayern München.

Newspapers in German

Newspapers from Austria