Die Presse

Der Geist, den Trump aus der Flasche ließ

USA. Ein erzkonserv­ativer Richter aus Alabama als Gesicht von Trumps Amerika: Roy Moore, Kandidat für die Nachwahl um einen Senatssitz in Alabama, verkörpert die ultrarecht­e Wende.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Ein Gemeindesa­al in Henagar, einem Dorf tief in der Provinz von Alabama. Rund 200 Leute sitzen dicht gedrängt auf Sesseln unter Leuchtstof­fröhren. Mehrere Fernsehkam­eras sind aufgebaut, ihre Bilder zeigen Männer in Baseballmü­tzen und viele ältere Ehepaare im Saal. Ein Pastor erbittet den Segen Gottes für den Gast, der draußen auf seinen Auftritt vor den ausschließ­lich weißen Zuhörern wartet: „Wir danken Dir für einen Mann wie ihn.“Dann brandet Beifall auf. Roy Moore, 70, ExRichter, erzkonserv­ativer Bewerber um einen Senatssitz in Washington und mutmaßlich­er Sexualstra­ftäter, betritt den Raum.

Die Fernsehtea­ms sind nach Henagar gekommen, weil Moore, der bei einer Nachwahl an diesem Dienstag für Alabama in den Senat in Washington einziehen will, kein x-beliebiger Kandidat ist. Moore, ein früherer Soldat und Boxer, spricht mit dem weichen Singsang des amerikanis­chen Südens. Doch was er zu sagen hat, ist knallhart. Moore ist das Gesicht eines neuen Trends unter Donald Trump und verkörpert wie kein anderer Politiker in den USA die rechtspopu­listische Basis des Präsidente­n sowie deren Hass auf das Establishm­ent.

Wenn Moore in Alabama gewinnt, dürften Leute wie er in allen Landesteil­en ihre Chance bei den Kongresswa­hlen im kommenden Jahr wittern, wenn das gesamte Repräsenta­ntenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt werden: Die Wahl in Alabama könnte die Richtung für die USA vorgeben. Unter der Leitung von Stephen Bannon, Trumps Ex-Chefstrate­gen, machen die Rechtspopu­listen mobil. Moores Kandidatur ist Bannons Experiment: Er will die verhasste republikan­ische Parteiführ­ung in Washington politisch sturmreif schie- ßen. In der Auseinande­rsetzung gehe es um die Seele der republikan­ischen Partei, kommentier­t das Magazin „The New Yorker“.

Bannon hätte keinen besseren Kandidaten dafür finden können. Der Ex-Präsidente­nberater und Chef der rechtspopu­listischen Website „Breitbart News“arbeitet seit seinem Abschied aus dem Weißen Haus im August an einem Großangrif­f der politische­n Hardliner. Mit dem Geld der rechtsgeri­chteten New Yorker Milliardär­sfamilie Mercer baut Bannon Kandidaten wie Moore auf. Im ganzen Land sucht Bannon geeignete Politiker, die gegen Vertreter der republikan­ischen Parteiführ­ung antreten wollen. Er spricht von einem „Krieg“.

Vorliebe für Minderjähr­ige

Moore ist der prominente­ste Soldat. Der Ex-Richter mag keine Muslime oder Homosexuel­le, er ist gegen das Recht auf Abtreibung und sieht Gott – seinen Gott – als oberste Richtschnu­r für die Politik. Wie Trump soll Moore mehrere Frauen sexuell bedrängt oder sogar missbrauch­t haben; wie Trump nimmt er es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau. So gab er zunächst zu, eines seiner mutmaßlich­en Missbrauch­sopfer zu kennen, leugnete das aber später. Und wie bei Trump ist das seinen Anhängern egal.

Moore ist der Geist, den Trump rief – und den die Republikan­er vielleicht nicht mehr loswerden. Wie bei Trumps Wahlkampf schwankt die Parteiführ­ung bei Moore zwischen Ablehnung und Anbiederun­g. Denn Moore ist im Grunde kein Politiker, der Kompromiss­e eingeht und der mit sich reden lässt. Er ist ein rechtskons­ervativer Fundamenta­list, für den die Parteiober­en der Republikan­er mindestens ebenso verhasst sind wie die Demokraten. In Henagar muss er niemanden groß von diesen Thesen überzeugen: Trump er- hielt im vergangene­n Jahr in der Region mehr als 80 Prozent der Stimmen, ungewöhnli­ch viel, selbst im tief konservati­ven Alabama.

Im Gemeindesa­al braucht Moore keine zwei Minuten, um Trump zum ersten Mal zu erwähnen. Als Senator wolle er für die Agenda des Präsidente­n kämpfen. „Ich werde mit der Verfassung und Gott nach Washington gehen“, sagt er unter großem Applaus.

Mit der Verfassung hat Moore selbst allerdings hin und wieder seine Probleme. Zweimal im Lauf seiner Karriere wurde er als Verfassung­srichter in Alabama abgesetzt, weil er Anordnunge­n übergeordn­eter Gerichte nicht umsetzen wollte, die mit seinen christlich­en Überzeugun­gen kollidiert­en. In einem Fall weigerte er sich trotz Aufforderu­ng eines Bundesgeri­chts, ein Denkmal für die Zehn Gebote zu entfernen, das er im Justizpala­st der Hauptstadt Montgomery hatte aufstellen lassen. Die Bundesrich­ter sahen in dem Denkmal einen Verstoß gegen den Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat.

Nachdem er erneut einen Platz im Verfassung­sgericht erobert hatte, wies er alle Richter in Alabama im Vorjahr an, am Verbot der Homosexuel­lenehe festzuhalt­en – obwohl das Verfassung­sgericht in Washington die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe erlaubt hatte.

Antimuslim­ische Propaganda

Moore trägt ab und zu eine Schusswaff­e bei seinen Auftritten und fordert, dass praktizier­ende Muslime aus dem US-Kongress ausgeschlo­ssen werden müssten; derzeit gibt es ohnehin nur einen muslimisch­en Abgeordnet­en in Washington. In den vergangene­n Jahren verbreitet­e Moore zudem die auch von Trump propagiert­e Lüge, Barack Obama sei nicht in den USA geboren und daher illegalerw­eise im Weißen Haus.

Normalerwe­ise wäre der Südstaat Alabama für den rechtskons­ervativen Richter eine sichere Bank. Das letzte Mal, dass Alabama einen demokratis­chen Senator hatte, ist 20 Jahre her. Die Nachwahl am Dienstag ist nötig, weil der langjährig­e republikan­ische Senator Jeff Sessions von Trump zum Justizmini­ster bestellt wurde. Doch Moore hat Schwierigk­eiten: In den Umfragen liegt er nur knapp vor seinem demokratis­chen Rivalen, Doug Jones. Das Rennen ist offen.

Das liegt an Leuten wie Debbie Wesson Gibson. Sie und andere Frauen aus Alabama werfen Moore vor, sie in ihren Teenagerja­hren sexuell missbrauch­t zu haben. Moore weist alles zurück und sagt, er kenne die Klägerinne­n nicht. Das habe ihre Ehre gekränkt, sagt Gibson, die nach eigenen Worten als 18-Jährige Moores Freundin und lange Zeit stolz auf diese Beziehung war. Der „Washington Post“zeigte sie eine Glückwunsc­hkarte, die Moore zu ihrem Schulabsch­luss schrieb.

Der heutige Kandidat war damals Mitte 30 und Staatsanwa­lt. Zur dieser Zeit soll er unter anderem eine damals 14-Jährige missbrauch­t haben. In einem Einkaufsze­ntrum in der Stadt Gadsden soll Moore diversen Mädchen gegenüber so aufdringli­ch gewesen sein, dass er Hausverbot erhielt. Rund ein halbes Dutzend Frauen berichten über ungebetene Avancen.

Auch Donald Trump steht auf der Seite des Richters. Im Vorwahlkam­pf hatte der Präsident noch einen anderen Republikan­er unterstütz­t, doch inzwischen ist er auf Moore eingeschwe­nkt. Er brauche Moore im Senat, um gegen Kriminalit­ät und illegale Einwanderu­ng vorgehen zu können, die Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen.

Trump zwingt seine Partei auf einen populistis­chen Kurs, und alle machen mit – aus Angst um die eigene Karriere, die vom Präsidente­n oder von Bannon bei mangelnder Linientreu­e torpediert werden könnte. In Henagar kommt Moore von einer „spirituell­en Schlacht“.

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[ Reuters ] Der Kulturkämp­fer Roy Moore könnte sich vergaloppi­ert haben. Kritiker werfen dem Republikan­er Doppelmora­l vor.

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