Der Geist, den Trump aus der Flasche ließ
USA. Ein erzkonservativer Richter aus Alabama als Gesicht von Trumps Amerika: Roy Moore, Kandidat für die Nachwahl um einen Senatssitz in Alabama, verkörpert die ultrarechte Wende.
Ein Gemeindesaal in Henagar, einem Dorf tief in der Provinz von Alabama. Rund 200 Leute sitzen dicht gedrängt auf Sesseln unter Leuchtstoffröhren. Mehrere Fernsehkameras sind aufgebaut, ihre Bilder zeigen Männer in Baseballmützen und viele ältere Ehepaare im Saal. Ein Pastor erbittet den Segen Gottes für den Gast, der draußen auf seinen Auftritt vor den ausschließlich weißen Zuhörern wartet: „Wir danken Dir für einen Mann wie ihn.“Dann brandet Beifall auf. Roy Moore, 70, ExRichter, erzkonservativer Bewerber um einen Senatssitz in Washington und mutmaßlicher Sexualstraftäter, betritt den Raum.
Die Fernsehteams sind nach Henagar gekommen, weil Moore, der bei einer Nachwahl an diesem Dienstag für Alabama in den Senat in Washington einziehen will, kein x-beliebiger Kandidat ist. Moore, ein früherer Soldat und Boxer, spricht mit dem weichen Singsang des amerikanischen Südens. Doch was er zu sagen hat, ist knallhart. Moore ist das Gesicht eines neuen Trends unter Donald Trump und verkörpert wie kein anderer Politiker in den USA die rechtspopulistische Basis des Präsidenten sowie deren Hass auf das Establishment.
Wenn Moore in Alabama gewinnt, dürften Leute wie er in allen Landesteilen ihre Chance bei den Kongresswahlen im kommenden Jahr wittern, wenn das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt werden: Die Wahl in Alabama könnte die Richtung für die USA vorgeben. Unter der Leitung von Stephen Bannon, Trumps Ex-Chefstrategen, machen die Rechtspopulisten mobil. Moores Kandidatur ist Bannons Experiment: Er will die verhasste republikanische Parteiführung in Washington politisch sturmreif schie- ßen. In der Auseinandersetzung gehe es um die Seele der republikanischen Partei, kommentiert das Magazin „The New Yorker“.
Bannon hätte keinen besseren Kandidaten dafür finden können. Der Ex-Präsidentenberater und Chef der rechtspopulistischen Website „Breitbart News“arbeitet seit seinem Abschied aus dem Weißen Haus im August an einem Großangriff der politischen Hardliner. Mit dem Geld der rechtsgerichteten New Yorker Milliardärsfamilie Mercer baut Bannon Kandidaten wie Moore auf. Im ganzen Land sucht Bannon geeignete Politiker, die gegen Vertreter der republikanischen Parteiführung antreten wollen. Er spricht von einem „Krieg“.
Vorliebe für Minderjährige
Moore ist der prominenteste Soldat. Der Ex-Richter mag keine Muslime oder Homosexuelle, er ist gegen das Recht auf Abtreibung und sieht Gott – seinen Gott – als oberste Richtschnur für die Politik. Wie Trump soll Moore mehrere Frauen sexuell bedrängt oder sogar missbraucht haben; wie Trump nimmt er es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau. So gab er zunächst zu, eines seiner mutmaßlichen Missbrauchsopfer zu kennen, leugnete das aber später. Und wie bei Trump ist das seinen Anhängern egal.
Moore ist der Geist, den Trump rief – und den die Republikaner vielleicht nicht mehr loswerden. Wie bei Trumps Wahlkampf schwankt die Parteiführung bei Moore zwischen Ablehnung und Anbiederung. Denn Moore ist im Grunde kein Politiker, der Kompromisse eingeht und der mit sich reden lässt. Er ist ein rechtskonservativer Fundamentalist, für den die Parteioberen der Republikaner mindestens ebenso verhasst sind wie die Demokraten. In Henagar muss er niemanden groß von diesen Thesen überzeugen: Trump er- hielt im vergangenen Jahr in der Region mehr als 80 Prozent der Stimmen, ungewöhnlich viel, selbst im tief konservativen Alabama.
Im Gemeindesaal braucht Moore keine zwei Minuten, um Trump zum ersten Mal zu erwähnen. Als Senator wolle er für die Agenda des Präsidenten kämpfen. „Ich werde mit der Verfassung und Gott nach Washington gehen“, sagt er unter großem Applaus.
Mit der Verfassung hat Moore selbst allerdings hin und wieder seine Probleme. Zweimal im Lauf seiner Karriere wurde er als Verfassungsrichter in Alabama abgesetzt, weil er Anordnungen übergeordneter Gerichte nicht umsetzen wollte, die mit seinen christlichen Überzeugungen kollidierten. In einem Fall weigerte er sich trotz Aufforderung eines Bundesgerichts, ein Denkmal für die Zehn Gebote zu entfernen, das er im Justizpalast der Hauptstadt Montgomery hatte aufstellen lassen. Die Bundesrichter sahen in dem Denkmal einen Verstoß gegen den Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat.
Nachdem er erneut einen Platz im Verfassungsgericht erobert hatte, wies er alle Richter in Alabama im Vorjahr an, am Verbot der Homosexuellenehe festzuhalten – obwohl das Verfassungsgericht in Washington die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt hatte.
Antimuslimische Propaganda
Moore trägt ab und zu eine Schusswaffe bei seinen Auftritten und fordert, dass praktizierende Muslime aus dem US-Kongress ausgeschlossen werden müssten; derzeit gibt es ohnehin nur einen muslimischen Abgeordneten in Washington. In den vergangenen Jahren verbreitete Moore zudem die auch von Trump propagierte Lüge, Barack Obama sei nicht in den USA geboren und daher illegalerweise im Weißen Haus.
Normalerweise wäre der Südstaat Alabama für den rechtskonservativen Richter eine sichere Bank. Das letzte Mal, dass Alabama einen demokratischen Senator hatte, ist 20 Jahre her. Die Nachwahl am Dienstag ist nötig, weil der langjährige republikanische Senator Jeff Sessions von Trump zum Justizminister bestellt wurde. Doch Moore hat Schwierigkeiten: In den Umfragen liegt er nur knapp vor seinem demokratischen Rivalen, Doug Jones. Das Rennen ist offen.
Das liegt an Leuten wie Debbie Wesson Gibson. Sie und andere Frauen aus Alabama werfen Moore vor, sie in ihren Teenagerjahren sexuell missbraucht zu haben. Moore weist alles zurück und sagt, er kenne die Klägerinnen nicht. Das habe ihre Ehre gekränkt, sagt Gibson, die nach eigenen Worten als 18-Jährige Moores Freundin und lange Zeit stolz auf diese Beziehung war. Der „Washington Post“zeigte sie eine Glückwunschkarte, die Moore zu ihrem Schulabschluss schrieb.
Der heutige Kandidat war damals Mitte 30 und Staatsanwalt. Zur dieser Zeit soll er unter anderem eine damals 14-Jährige missbraucht haben. In einem Einkaufszentrum in der Stadt Gadsden soll Moore diversen Mädchen gegenüber so aufdringlich gewesen sein, dass er Hausverbot erhielt. Rund ein halbes Dutzend Frauen berichten über ungebetene Avancen.
Auch Donald Trump steht auf der Seite des Richters. Im Vorwahlkampf hatte der Präsident noch einen anderen Republikaner unterstützt, doch inzwischen ist er auf Moore eingeschwenkt. Er brauche Moore im Senat, um gegen Kriminalität und illegale Einwanderung vorgehen zu können, die Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen.
Trump zwingt seine Partei auf einen populistischen Kurs, und alle machen mit – aus Angst um die eigene Karriere, die vom Präsidenten oder von Bannon bei mangelnder Linientreue torpediert werden könnte. In Henagar kommt Moore von einer „spirituellen Schlacht“.