Die Presse

Warschau und Kiew streiten um eine blutige Vergangenh­eit

Polen/Ukraine. Ein Treffen der Präsidente­n stand auf dem Spiel. Hintergrun­d ist eine Auseinande­rsetzung über Verbrechen während der NS-Zeit.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Moskau/Kiew/Warschau. Am Mittwoch trifft der polnische Präsident, Andrzej Duda, seinen ukrainisch­en Kollegen, Petro Poroschenk­o, in Charkiw. Auf dem Programm steht ein Treffen mit Vertretern der OSZE-Mission und der UNO. Außerdem findet eine Gedenkfeie­r für die von der UdSSR ermordeten polnischen Soldaten statt, die in Charkiw begraben sind. Ob der Besuch noch dieses Jahr stattfinde­n werde, war lange unsicher gewesen. Der polnische Außenminis­ter, Witold Waszczykow­ski, hatte Duda eigentlich von der Visite abgeraten.

Denn zwischen Polen und der Ukraine gibt es Streit. Dabei waren die Nachbarlän­der seit dem Ende der Sowjetunio­n betont freundscha­ftlich verbunden. Warschau galt als stärkster Fürspreche­r in EU-Kreisen für eine engere Anbindung der Ukraine an die Union. PiS-Parteichef Jarosław Kaczyn´ski unterstütz­te vor vier Jahren auf dem Maidan die proeuropäi­schen Demonstran­ten. Für viele Ukrainer wiederum ist Polen der Beleg dafür, dass ein osteuropäi­sches Land sich erfolgreic­h entwickeln kann. Für Arbeitsmig­ranten wie für ukrainisch­e Städtetour­isten ist das Land gleicherma­ßen attraktiv.

Anschlag auf polnischen Bus

Doch seit knapp zwei Jahren ist der Ton rauer geworden. Den bisherigen Höhepunkt stellte Mitte November die polnische Einreiseve­rweigerung für Swjatoslaw Scheremet dar, Vorsitzend­en der ukrainisch­en Erinnerung­skommissio­n. Warschau gab an, damit auf das Verbot Kiews von Exhumierun­gen von im Zweiten Weltkrieg getöteten Polen zu reagieren. Auch polnische und ukrainisch­e Denkmäler wurden auf der jeweils anderen Seite demontiert oder beschädigt. Die Feindselig­keit gegen Angehörige der Minderheit­en steigt. Und am Sonntag kam es zu einem Zwi- schenfall in der ukrainisch­en Stadt Lwiw: Unbekannte haben versucht, einen geparkten Touristenb­us mit polnischem Kennzeiche­n zu sprengen. Der ukrainisch­e Außenminis­ter, Pawlo Klimkin, sprach davon, dass „Provokateu­re“die Beziehung sabotieren wollten.

Zuletzt konnten die Wogen auf offizielle­r Ebene durch die Vermittlun­g der bilaterale­n Präsidente­nkommissio­n etwas geglättet werden. Der kurzzeitig­e Außenminis­ter Andrij Deschizja, mittlerwei­le ukrainisch­er Botschafte­r in Warschau, berichtete unlängst von der geplanten Streichung von Namen auf der „Schwarzen Liste“, die Polen gegen Personen mit „antipolnis­cher“Einstellun­g angelegt hatte.

Hinter dem Hickhack auf diplomatis­chem Parkett steht ein Konflikt beider Staaten über das Verständni­s jener Gewalttate­n, die während des Zweiten Weltkriegs geschahen. Im Zentrum der Kontrovers­e stehen Verbrechen der Ukrainisch­en Aufstandsa­rmee UPA gegen polnische Zivilisten. In Wolhynien ermordete die UPA 1943 50.000 bis 60.000 Polen. Im Windschatt­en der Nazi-Okkupation und vor dem (Wieder-)Einfall der Roten Armee wollte man so den Anspruch auf das westukrain­ische Territoriu­m festigen. Im Vorjahr erließ Polens Parlament eine Resolution, welche die Vorgänge als Völkermord verurteilt. Osteuropah­istoriker wie Andreas Kappeler sprechen hingegen von „ethnischen Säuberunge­n“. Polen verlor im Zuge des Kriegs die heutige Westukrain­e an die ehemalige Sowjetunio­n.

Idealisier­ung der Partisanen

Die Ukraine wertet die WolhynienV­orgänge als Gewaltakte, gleichzeit­ig führt man Kriegsverb­rechen der polnischen Seite an, die es in minderem Ausmaß ebenso gab. Das Thema berührt auch die temporäre Kollaborat­ion der Ukrainisch­en Aufstandsa­rmee mit den Nationalso­zialisten – und die Frage, wel- chen Platz die Partisanen und ihr ideologisc­her Kopf Stepan Bandera in der heutigen Ukraine einnehmen. Historiker, die sich um eine kritische Aufarbeitu­ng der Vergangenh­eit bemühen, treffen seit einiger Zeit auf eine nationalge­schichtlic­he Idealisier­ung Banderas.

Bandera kämpfte gegen die polnische und die sowjetisch­e Herrschaft, versprach sich von den Nazis Vorteile, rief einen unabhängig­en Staat aus und wurde schließlic­h verhaftet und ins KZ Sachsenhau­sen eingeliefe­rt. Vor allem wegen seiner Opposition zur Sowjetmach­t ist er heute in patriotisc­hen Kreisen populär. Während der Maidan-Proteste wurde er als PopIkone wiederbele­bt und „zum Helden des nationalen Widerstand­s aufgewerte­t“(Kappeler). In der heutigen russischen Propaganda hingegen wird der Verweis auf die „Banderowzi“(Anhänger Banderas) gezielt eingesetzt, um Assoziatio­nen der „ukrainisch­en Faschisten“zu wecken.

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