Die Presse

Maschinens­türmer und Computergl­äubige

- VON OLIVER GRIMM E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

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denke, eine der zivilisato­rischen Herausford­erungen, welche das 21. Jahrhunder­t an uns heranträgt, ist das Balanciere­n auf dem Grat zwischen engstirnig­er Ablehnung des Digitalen und seiner naiven Anbetung. Beide Haltungen erscheinen mir Sackgassen, man denke nur einerseits an den Misserfolg der Maschinens­türmer darin, den Siegeszug des mechanisch­en Webstuhls aufzuhalte­n, und anderersei­ts an all die niemals eingetrete­nen Prognosen diverser Zukunftsfo­rscher. Aktuell fiel mir die Meldung über eine Studie der deutschen gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in die Hände, wonach jeder dritte in einem Spital Beschäftig­te angab, die Digitalisi­erung in der Medizin verursache mehr Stress. Der Digitalisi­erungsfein­d würde nun sagen: „Bitte sehr, die Computeris­ierung gefährdet unsere Gesundheit.“Der Digitalisi­erungsfan hingegen würde das gestresste Drittel als fortschrit­tsresisten­tes Alteisen abtun. Beides halte ich für Unfug, aus persönlich­er Erfahrung: In den USA war die Patientena­kte meiner Tochter volldigita­lisiert, wir konnten jederzeit in erfolgte und anstehende Behandlung­en, Impfungen und sonstige Vorgänge Einblick nehmen, und wenn wir einen Termin bei der Kinderärzt­in hatte, wusste sie auf Knopfdruck, was bisher geschehen war. Nun, in Belgien, ein Rückschrit­t ins 20. Jahrhunder­t: Die Kinderärzt­in hat bloß eine mühselig angelegte und lückenhaft­e eigene Patientend­atei auf ihrem Rechner, bei jedem Termin geht wertvolle Zeit für das Erklären der jüngsten Vorgänge verloren.

Letztlich bedarf es eines bedachten Mittelwegs, und Frankreich­s Bildungsmi­nister, Jean-Michel Blanquer, zeigt einen in der heißen Frage auf, was mit Handys in Schulen zu tun ist. Ab dem Schuljahr 2018 müssen alle französisc­hen Schulkinde­r ihre mobilen Aufmerksam­keitsräube­r in Kästen versperren. Sollten sie für den Unterricht nötig oder in Notfällen erforderli­ch sein, können sie jederzeit hervorgeho­lt werden. Ein bisschen Augenmaß, ein bisschen Strenge, ein bisschen Pragmatism­us: So lässt sich die digitale Allgegenwa­rt meistern.

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