„Verband kann Übergriffe nicht verhindern“
Missbrauchsvorwürfe. ÖSV-Vizepräsidentin Roswitha Stadlober, 54, kann Kritik an der Kommunikation des Skiverbands nachvollziehen. Bei der Aufarbeitung vertraut die Ex-Rennläuferin dem Rechtsstaat und der Durchleuchtung der Mitarbeiter.
Die Presse: Warum sind Sie die einzige Frau im ÖSV-Präsidium? Roswitha Stadlober: Das ist wirklich eine gute Frage. Es bestimmen die Landespräsidenten, sie haben die Macht im ÖSV, weil sie über alles abstimmen. Ich bin 2011 vom Präsidenten gefragt worden, wohl auch wegen meiner Arbeit im Verein Kada (Sport mit Perspektive), bei der ich mich als Sportförderer sehe. Ich war im Salzburger Landtag Sportsprecherin, bin jetzt Geschäftsführerin des Vereins Kada. Also habe ich zugesagt.
Ist es Vor- oder Nachteil, die einzige Frau in dieser Position zu sein? Warum gibt es generell so wenige Frauen in führenden Positionen? Ich war ja nicht die einzige Frau, als ich zum ÖSV gekommen bin. Es gab Herta Mikesch, sie war Landespräsidentin in Niederösterreich. Jetzt ist Michaela Dorfmeister als Vizepräsidentin in Niederösterreich tätig, oder Gitti Obermoser in Salzburg. Es sind einige da. Aber, natürlich nicht in der Anzahl, wie man es sich an vorderster Front schon erhoffen würde. Ich weiß es aber aus eigener Erfahrung: Es ist nicht leicht als Frau. Vor allem dann nicht, wenn man auch eine Familie hat. Es ist wirklich eine Frage der Zeit . . .
. . . oder der Gleichberechtigung. Warum gibt es noch keine ÖSVPräsidentin? Österreich war noch nie bereit für eine Bundespräsidentin, Amerika war es auch nicht, warum sollte es also der österreichische Skiverband sein? (lacht) Die Gesellschaft ist offenbar noch nicht so weit, und der Präsident wird von den Landesvertretern in der Konferenz gewählt. Ich als Vizepräsidentin habe da auch gar kein Stimmrecht.
Die von Nicola Werdenigg ausgelöste Debatte legte die größte Schwäche des ÖSV schonungslos offen: die Kommunikation. Was Nicola Werdenigg widerfahren ist, ist schrecklich. Ich bin sehr betroffen, finde es aber sehr mutig, dass sie den Schritt geschafft hat, auch noch nach so langer Zeit darüber zu sprechen. Man kann über so etwas nicht sofort sprechen. Die Kommunikation des ÖSV war anfangs nicht gut gelaufen, gar keine Frage. Da fehlte es an Einfühlungsvermögen und Sensibilität. Man darf die Kritik aber nicht nur an Peter Schröcksnadel festmachen. Ich selbst hatte 2012 harte Diskussionen, als Teresa (Tochter und Langläuferin, Anm.) ihren eigenen Weg gehen musste. Ich hatte damals zwei Hüte auf: den der Mutter und den der Vizepräsidentin. Es war für uns alle keine einfache Situation, und man musste ganz klar trennen. Da habe ich ihn von einer anderen Seite kennengelernt, er ist eben für den Verband 24 Stunden am Tag im Einsatz. Er ist impulsiv, er polarisiert, gar keine Frage. Aber alles im Dienst des ÖSV, für seinen Verband. Muss Schöcksnadel immer alle Fragen beantworten? Nein, aber er ist als Präsident der erste Ansprechpartner, deckt die meisten Fragen ab. Er wird dabei emotional, weil es ihn wirklich immer im Bauch trifft.
FIS-Präsident Gina Franco Kasper rückte in einem Interview die MeToo-Bewegung einer „Modeerscheinung“nahe. Nimmt man diese Problematik im Skisport wirklich nicht ernst? Ich kenne den Zusammenhang, in dem er dazu gefragt wurde und geantwortet hat, nicht. Nur, wenn man es im 20. Jahrhundert noch immer nicht verstanden hat, welchen Stellenwert unsere Gesellschaft hat, welche Werte zählen, zeigt es, welch Geistes man ist.
Was sagt Ihnen der Begriff „Pastern“? Stellt es der Gesellschaft nicht ein sehr schlechtes Zeugnis aus, solche Riten zu pflegen? An mir, in meiner Zeit als Skifahrerin und Schülerin, ist „Pastern“spurlos vorübergegangen, ich habe es nicht bemerkt. Ich war ein Jahr lang im Internat, bin damit aber nie in Berührung gekommen. In meiner ganzen Karriere habe ich es nicht erlebt, aber: Gehört hatte ich davon.
Was sagen Sie als Mutter dazu? Es muss doch verheerend sein, wenn man jetzt den Entschluss treffen muss, sein Kind in eine dieser Skischulen oder -internate zu schicken? Als meine Kinder mit dem Leistungssport begonnen haben, war diese Thematik so bewusst gar nicht da. Als Elternteil muss man loslassen, man vertraut. Man kann seine Kinder nur so erziehen, dass sie selbstbewusst sind, Nein sagen, sich jemandem anvertrauen, damit solche Vorgänge unterbunden werden können. Aber, es ist jetzt natürlich sehr schwer, diese Argumentation gegenüber anderen Eltern zu führen. Es muss ein Vertrauen gegenüber der Schule oder dem Internat da sein. Ich glaube aber, dass „Pastern“im Skisport nicht mehr gang und gäbe ist, sondern laut Aussagen von Paul Scharner oder Peter Hackmair eher noch vor Kurzem im Fußball zu finden war. Nur ausschließen will und kann ich es auch nicht.
Zuletzt wurden auch Vorwürfe gegen ÖSV-Trainer laut, die sich „Mädchen aufteilten“, ein Servicemann soll 1993 eine Journalistin vergewaltigt haben. Das 54, gewann unter ihrem Mädchennamen Steiner in den 1980erJahren acht Weltcupslaloms und zweimal die Slalomwertung. Seit 2011 fungiert sie als Vizepräsidentin im ÖSV. Sie ist mit ExLangläufer Alois Stadlo\er verheiratet, die Kinder Luis und Teresa sind \eide Langläufer. wirft ein furchtbares Licht auf den ÖSV. Das Irritierende ist, dass so vieles jetzt zutage kommt. Gott sei Dank ist die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, sie muss und wird diese Vorfälle aufarbeiten, es liegt alles auf. Egal, ob es der von Nicola Werdenigg genannte Fall aus dem Jahr 2005 ist oder die zuletzt aufgetauchten Vorwürfe sind. Dem wird hoffentlich nachgegangen. Wenn noch eine dieser Personen im Umfeld des ÖSV arbeiten sollte, gibt es null Toleranz. Ich vertraue dem Rechtsstaat, er wird das aufarbeiten.
Und wie wird der ÖSV weiter vorgehen? Wir werden die Vorfälle intern aufarbeiten und reagieren. Es gibt die Klasnic-Kommission, wir warten ab, wer sich noch aller meldet und welche Hilfe wir stellen können. Petra Kronberger ist als Frauenbeauftragte im Einsatz und widmet sich intensiv der Trainerausbildung. Wie geht man mit Frauen im Rennsport um? Da wird es weitere Maßnahmen geben. Es geht um eine Sensibilisierung der Thematik, es geht um die Zukunft des Verbandes. In einer Arbeitsgruppe wurde beschlossen, dass ausnahmslos alle Mitarbeiter ein Leumundszeugnis bzw. einen Strafregisterauszug vorlegen müssen. Ich finde diese Ansätze sehr gut. Verhindern kann man solche Übergriffe als Verband allerdings auch nicht. Wenn jemand stehlen will, wird er stehlen.