Den Bogen überspannt: Wenn Beratung kostet
Handel. Im Wettkampf mit der Onlinekonkurrenz spielen Fachhändler ihren letzten Trumpf aus: Beratung. Aber auch sie gibt es immer seltener gratis. Branchenvertreter sehen die Gebühren kritisch. Faire Steuern brächten den Einzelkämpfern mehr.
Wien. Ein professioneller Sportbogen kostet schnell tausend Euro. Bevor der Kunde ein bestimmtes Modell kauft, will er einiges testen. Welche Hand, welches Auge ist dominant, wie hoch ist die Zugkraft im Arm? Der Test in Helmuth Traxlers Liesinger Fachgeschäft dauert eine Stunde – mindestens. Der anschließende Kauf blieb jedoch ein paar Mal zu oft aus. Die Kundschaft dankte, ging und bestellte den Bogen günstiger online.
Beratungsklau nennt sich das Phänomen, das fast so alt ist wie das Internet. Manche wie der Wiener Tauchsporthändler Lorenc wehren sich subtil mit einem Schild: Man sei keine eBay-Beratungsstelle. Andere wie Traxler werden in ihrer Botschaft deutlicher: Beratung kostet. 35 Euro, um genau zu sein. Diese bekommt der Kunde erstattet, sobald er den Bogen tatsächlich erwirbt.
„Gebühr ist nachvollziehbar“
Iris Thalbauer versteht den Unmut. Im Wettbewerb mit der oft günstigeren Konkurrenz im Internet spielt der Fachhandel seinen verbliebenen Trumpf aus: Fachwissen und Service. Als Traxlers 35-EuroGebühr am Wochenende medial aufschlug, berief die Geschäftsführerin der Bundessparte Handel eine Sitzung ein. Im Anschluss formulierte es die Wirtschaftskammer-Funktionärin gegenüber der „Presse“diplomatisch: „Wir geben keine generelle Empfehlung ab. Die Gebühr ist aber nachvollziehbar und rechtlich möglich.“
Und: „Der Trend geht grundsätzlich in die andere Richtung.“Aktuelle Daten der KMU Forschung Austria zeigten, dass sich vier von zehn Kunden online informieren, bevor sie im Geschäft kaufen. Dagegen lasse sich nur einer von zehn vom Händler aus Fleisch und Blut beraten, um anschließend im Internet zu bestellen. „Der Beratungsklau ist ein überschätztes Phänomen“, sagt Stefan Hertel, der Sprecher des deutschen Handelsverbands (HDE). 51 Prozent der deutschen Handelsumsätze – also 135 Mrd. Euro – geht eine Internetrecherche voraus. Umgekehrt machen Onlinegrößen wie Amazon nur 19,5 Prozent ihres Umsatzes (8,3 Mrd. Euro) mit Ware, die davor beim Fachhändler befühlt wurde. „Wir halten Beratungsgebühren nicht für zielführend“, sagt Hertel. Das sei vielleicht eine Idee für kleine, spezialisierte Läden, „für die breite Masse wird es nicht der Lösungsweg sein“. Hertel legt den Unternehmern stattdessen ans Herz, das Netz als zweiten Absatzkanal zu nutzen und Dienstleistungen anzubieten, bei denen ein reiner Onlineshop nicht mithalten kann. Ein Beispiel sei Click & Collect, bei dem der Artikel online bestellt und im Geschäft abgeholten wird.
So weit sind Traxler und Lorenc auch. Beide betreiben selbst einen Onlineshop. Beide merken, dass die Kunden immer besser informiert zu ihnen kommen. Und in beiden Geschäften ist man sensibilisiert auf den Kundentypus, der „nur“beraten werden will. Nicht jeder würde den Neoprenanzug anziehen und zugleich das Smartphone zücken, um die Preise zu vergleichen, sagt Gerfried Kleisner, der bei Lorenc arbeitet. Aber er bekomme schnell ein Gefühl, welchen gut informierten Tauchern er beim Preis entgegenkommen sollte. „Da muss man schauen, ob man zu einem gewissen Grad mitgehen kann.“
Kaum Verhandlungsspielraum
Ein finanzielles Entgegenkommen sei aber immer seltener möglich, sagt Traxler. „Als das Internet noch nicht war, hatten wir andere Spannen bei den Produkten. Wenn ich bei den Preisen heute immer mitgehe, muss ich das Geschäft zusperren.“Das sieht auch Willi Fleischmann so. Er betreibt ein Elektrofachgeschäft in Döbling und warb früher stets damit, die Preise der Konkurrenz bieten zu können – „als noch eine Spanne da war“betont er. Heute, wenn er den Backofen vom Hersteller für 840 Euro kaufe, der um 200 Euro günstiger im Netz gehandelt wird, sei das unmöglich geworden. Das Problem „Beratungsklau“habe er dennoch nicht, weil bei ihm an der Stadtgrenze fast nur Stammkundschaft einkauft, sagt Fleischmann.
Helmuth Traxlers 35-Euro-Gebühr ist übrigens nicht neu. Diese hat er „vor einigen Jahren“eingeführt. Die Kundschaft hätte das verstanden. Wieso jetzt die Aufregung? Das sei wohl über die Wirtschaftskammer an die Öffentlichkeit gelangt. Das trifft sich zeitlich mit den Signalen der Regierungsverhandler von ÖVP und FPÖ. Sie einigten sich auf die Einführung sogenannter digitaler Betriebsstätten. Damit sollen Gewinne von Onlineriesen wie Amazon oder Facebook in Österreich versteuert werden können, ohne dass diese hier einen physischen Sitz haben.
Handelsverband und Wirtschaftskammer begrüßen das. Beide würden eine Einigung auf EUoder OECD–Ebene aber dem von ÖVP-Chef Sebastian Kurz im Notfall angekündigten österreichischen Alleingang vorziehen. Dieser könnte dem exportorientierten, kleinen Österreich schaden, warnt Thalbauer. Traxler würde so oder so eine „Onlinesteuer von 15 Prozent“begrüßen. „Dann ist die Spanne wieder da, mit der ich mithalten kann.“