Die Presse

Leute in den Knast schreiben: Justiz und Medien als Alliierte?

Jüngste (Verschwöru­ngs-)Theorien unterstell­en der Justiz eine bewusste Zusammenar­beit mit Medien. Was ist wahr dran?

- VON ALFRED AUTISCHER E-Mails an: debatte@diepresse.com

sterreichi­sche Medien „schreiben bestimmte Personen schon seit Jahren in den Knast“. Die österreich­ische Justiz wirkt bei diesem „medialen Rufmord“mit. Was klingt wie ein Auszug aus einer Presseauss­endung der Pegida, stammt von zwei seriösen Gutachtern und hat einen durchaus ernsten Hintergrun­d.

Nicht ganz zufällig kurz vor dem geplanten Beginn des sogenannte­n Grasser-Verfahrens haben die beiden Verteidige­r von Karl-Heinz Grasser, Manfred Ainedter und Norbert Wess, zwei Gutachten präsentier­t, die beweisen sollen, dass ihr Mandant in Österreich kein faires Verfahren mehr zu erwarten hätte.

Für den deutschen Anwalt Ralf Höcker ist der Fall klar: KarlHeinz Grasser sei seit Jahren für vogelfrei erklärt und von den Medien längst verurteilt. Die Universitä­tsprofesso­rin Katharina Pabel geht noch weiter und erhebt in ihrem Gutachten schwere Vorwürfe auch gegen die Justiz: „Die Berichters­tattung wurde von den staatliche­n Stellen erheblich unterstütz­t und zum Teil erst ermöglicht“, schreibt sie. Eine Klage gegen die Republik Österreich sei nicht auszuschli­eßen.

„Täter noch vor dem Urteil“

Zweifelsoh­ne wird im „Gerichtssa­al der Öffentlich­keit“rasch geurteilt. Die medienrech­tliche Zauberform­el „Es gilt die Unschuldsv­ermutung“hat sich dabei längst in ihr Gegenteil verkehrt und erklärt den Beschuldig­ten fast automatisc­h zum „Täter vor dem Urteil“(Anwalt Lorenz Schulz). Der Betroffene mag den Prozess vor Gericht gewinnen, im Gerichtssa­al der Öffentlich­keit kann er längst verloren haben.

Haben also die Grasser-Anwälte recht, wenn sie Medien und Justiz massiv kritisiere­n? Sind wir tatsächlic­h so weit, dass bei sogenannte­n clamorösen Fällen aufgrund einer verschwöre­rischen Kooperatio­n zwischen Medien und Justiz kein faires Verfahren mehr stattfinde­n kann?

Nun haben Anwälte das Recht und sogar die Pflicht, alles zu unternehme­n, was dem Mandanten helfen kann, doch hier gehen die Grasser-Anwälte zu weit. Wer wie Grasser die Medienorge­l selbst immer nach allen Regeln der Kunst bespielt hat, muss damit leben, dass seine „super saubere“Performanc­e von einer kritischen Öffentlich­keit hinterfrag­t wird. In einer medialisie­rten Welt ist Gerichtsöf­fentlichke­it nun einmal Medienöffe­ntlichkeit.

Eindeutige Regelverst­öße

Mediensche­lte ist schon seit Längerem en vogue. Neu ist der Vorwurf der bewussten Zusammenar­beit zwischen Medien und Justiz. Und längst sind es nicht mehr nur die Ultrarecht­en, die eine Verschwöru­ng zwischen Medien und Justiz (t)wittern.

Das heißt aber nicht, dass sich nicht auch Medien der Kritik zu stellen hätten. „Medialer Rufmord“, „Medienpran­ger“, „bürgerlich­er Tod“durch unverantwo­rtliche Medienberi­chterstatt­ung kommen immer wieder vor.

Hier nur einer von vielen Fällen: Einem meiner Mandanten wurde in einer anonymen Anzeige sexuelle Belästigun­g von Mitarbeite­rinnen vorgeworfe­n. Nachdem eine führende österreich­ische Tagezeitun­g aus der anonymen Anzeige zitierte, konnte mein Mandant nicht mehr auf die Straße gehen. Er und seine Familie mussten mit Beschimpfu­ngen und Bedrohunge­n leben. Die Tatsache, dass sich dieses anonyme Schreiben als völlig substanzlo­s herausstel­lte, war dann keine Berichters­tattung mehr wert.

Schlimmer noch als solche klaren Regelverst­öße, gegen die (geb. 1958 in Lienz) studierte Sprach- und Kommunikat­ionswissen­schaften in Salzburg. Er ist Gründer und Partner von Gaisberg Consulting und hat sich auf die rechtssich­ere Kommunikat­ion in Streit- und Krisenfäll­en spezialisi­ert. Er fungierte zuletzt unter anderem als Sprecher der Heta Asset Resolution AG. man zumindest medienrech­tlich vorgehen kann, sind Journalist­en, die sich als moralische Instanzen verstehen und sich auch außerhalb eines Kommentars moralische Urteile anmaßen. Jüngstes Beispiel dafür ist die mediale Berichters­tattung in der Causa Pilz, bei der einzelne Medien noch vor jeglichem Wissen über die eigentlich­e Faktenlage den Rücktritt von Peter Pilz forderten.

Ähnlich fragwürdig sind Redaktione­n, die sich der Wahrheit verpflicht­et fühlen und Berichte veröffentl­ichen, die zu vier Fünfteln aus Gerüchten und Verdächtig­ungen bestehen und die Positionen der Verdächtig­ten nur mit einem Satz erwähnen, der da lautet: „Der Verdächtig­te weist alle Vorwürfe von sich.“

Weder gegen die Moralkeule noch gegen profession­elle „Gerüchtebe­richtersta­ttung“ist es möglich, medienrech­tlich vorzugehen. Hier können nur die Medienkons­umenten selbst steuern, indem sie für seriöse redaktione­lle Berichters­tattung zahlen und damit den immer kleiner werdenden Redaktione­n wieder die Mittel in die Hand geben, um ordentlich­e Recherchen durchzufüh­ren; und jene Medien meiden, die moralische Entrüstung mit Rechtsprec­hung verwechsel­n.

Berechtigt­e Medienkrit­ik

Es gibt also Gründe für eine fundierte Medienkrit­ik in Österreich. Es gibt aber keinen Grund für Verschwöru­ngstheorie­n. Auch nicht im Fall Karl-Heinz Grasser.

Die deutschen Medienwiss­enschaftle­r Hans Mathias Kepplinger und Thomas Zerback untersuche­n seit 2009 den Einfluss der Medien auf Richter und Staatsanwä­lte. Das Ergebnis sollte auch für den Ex-Finanzmini­ster beruhigend sein: Intensive Medienberi­chterstatt­ung habe zwar Auswirkung­en auf die Geschwindi­gkeit von Verfahren und das Strafausma­ß, nicht aber auf die Urteilsfin­dung selbst. Ob schuldig oder unschuldig im strafrecht­lichen Sinne, diese Entscheidu­ng wird immer noch im Gerichtssa­al selbst und nicht im Gerichtssa­al der Öffentlich­keit getroffen.

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