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US-Präsident im Visier von | MeToo

USA. Die Enthüllung­swelle über sexuelle Belästigun­g hat die Medienwelt und die Politik erfasst. Nur der US-Präsident blieb bisher ungeschore­n. Das stört seine angebliche­n Opfer – und seine Gegner.

- VON THOMAS VIEREGGE

Die Welle von Enthüllung­en über sexuelle Belästigun­g hat Medien und Politik erfasst. Nur Trump blieb ungeschore­n, was seine angebliche­n Opfer und seine Gegner stört.

Wien/New York. Ryan Lizza gilt als einer der bestinform­ierten Korrespond­enten in Washington, und es ist kein halbes Jahr her, dass der Reporter des „New Yorker“zu Beginn der Sauregurke­nzeit einen veritablen Coup landete. Anthony Scaramucci, der kurzzeitig­e Kommunikat­ionsdirekt­or im Weißen Haus, sprach in einem Telefonat – quasi von Italo-Amerikaner zu Italo-Amerikaner – Klartext. In einer vulgären Schimpftir­ade zog er über Reince Priebus und Stephen Bannon, die beiden hochrangig­en Trump-Berater, her. Lizza veröffentl­ichte das Gespräch – und kurz darauf waren die drei Protagonis­ten ihre Jobs los: erst Priebus, dann Scaramucci, schließlic­h Bannon.

Nun verlor auch Ryan Lizza seine Position beim New Yorker Intellektu­ellenmagaz­in, in dem er zuletzt über die Ambitionen des Vizepräsid­enten Mike Pence berichtete und über den republikan­ischen Kulturkamp­f bei der Senatswahl in Alabama. Gleichzeit­ig büßte er auch seine Nebenjobs als regelmäßig­er Talkshow-Gast bei CNN und als Lektor an der Georgetown University ein. Chefredakt­eur David Remnick hatte seinen Starreport­er wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigun­g gleichsam über Nacht gefeuert. Lizza bestreitet die Anschuldig­ung einer Frau, mit der er nach eigener Aussage eine „respektvol­le“Beziehung unterhalte­n hat. Für den „New Yorker“scheint die Sache dagegen klar.

Enthüllung­swelle

Lizza ist das jüngste „Opfer“einer Enthüllung­swelle über sexuellen Missbrauch und unerwünsch­te Avancen im Zuge der Affäre um den Filmmogul Harvey Weinstein, die außerhalb Hollywoods konzentris­che Kreise zieht. Zuvor gestand der New Yorker Starkoch Mario Batali, Chef eines Restaurant-Imperiums, der gewohnheit­smäßig Mitarbeite­rinnen begrapscht hatte, zerknirsch­t seine Schuld ein, um sich eine Auszeit zu nehmen.

In der Medienbran­che hatte es in den vergangene­n beiden Jahren Roger Ailes und Bill O’Reilly erwischt, die Galionsfig­uren des republikan­ischen Haus- und Hofsenders Fox News. Zuletzt ging es Schlag auf Schlag: Es traf unter anderem den Kommentato­r und Buchautor Mark Halperin und die Starmodera­toren Charlie Rose und Matt Lauer. Sie hatten allesamt einen klingenden Namen, und sie mussten alle Knall auf Fall gehen. Das „Time“-Magazin kürte die Initiatori­nnen der MeToo-Bewegung jüngst sogar zu „Personen des Jahres“, was die gesellscha­ftliche Relevanz unterstrei­cht.

Dass die Politik von den Enthüllung­en nicht verschont blieb, überrascht niemanden in den USA. Süffige Sexskandal­e im Politbetri­eb gehören zur Polit-Folklore in Washington und New York. Al Franken, ein demokratis­cher Senator und Ex-Komiker bei „Saturday Night Live“, räumte letztlich sein Kongressma­ndat, nachdem er sich anfangs dagegen gesträubt hatte. Er beugte sich dem Druck seiner Parteifreu­nde am Kapitol, um den moralische­n Druck gegen die Republikan­er, gegen den Senatskand­idaten Roy Moore und nicht zuletzt den Präsidente­n selbst, zu erhöhen.

Moore, ein erzkonserv­ativer Richter, war bei der Nachwahl in Alabama angetreten, die in der Nacht auf Mittwoch über die Bühne ging. Die Wähler im tiefen Süden der USA, der so lange und vehement an der Rassentren­nung festgehalt­en hatte, fällten zugleich ein Urteil über mutmaßlich­e Doppelmora­l. Die „Washington Post“hatte nämlich eine Reihe von Frauen ausfindig gemacht, die ein unzüchtige­s Verhalten des damaligen Mittdreißi­gers und Junggesell­en gegen minderjähr­ige Mädchen bezeugten. Die Wahl hatte Auswirkung auf die Kräfteverh­ältnisse in Washington. Bei einer Niederlage der Republikan­er schrumpft deren Mehrheit im Senat auf einen Sitz.

Trump, das „Raubtier“

Die Attacken der Medien und der Demokraten richteten sich indessen in letzter Konsequenz gegen Donald Trump. Dass der Immobilien­tycoon im vorjährige­n Wahlkampf eine Serie von Vorwürfen wegen sexueller Belästigun­g überstand, haben seine mutmaßlich­en Opfer und seine zahlreiche­n Gegner bis heute nicht verkraftet. In einem zweiten Anlauf, mit dem Rückenwind der Empörung und angestache­lt von der MeToo-Bewegung prangern sie den „Raubtier“Modus Trumps an.

In einem Auftritt in einer Talkshow und einer Pressekonf­erenz haben drei Frauen – von mehr als einem Dutzend angebliche­r Oper – ihre Vorwürfe gegen den früheren Ausrichter von Misswahlen und Moderator einer Reality-TV-Show bekräftigt. Er habe sie bedrängt, begrapscht und gegen ihren Willen geküsst, lautet der Tenor der ExMiss Samantha Holvey, Rachel Crooks und Jessica Leeds.

Im Fernsehen laufen wieder die Videoaufna­hmen aus dem Jahr 2005 in Dauerschle­ife, in denen Trump sich als Aufschneid­er gebärdet und die den Präsidents­chaftskand­idaten beinahe zur Aufgabe zwangen. Selbst UN-Botschafte­rin Nikki Haley, prominente­ste Frau der Trump-Regierung, bringt Verständni­s für die angebliche­n Sexopfer auf. Mehrere demokratis­che Senatoren forderten Trump zum Rücktritt auf. Der tut dies als parteitakt­isches Manöver ab. Für den Präsidente­n ist mit seiner Wahl die Affäre de facto ausgestand­en, für mindestens die Hälfte der Amerikaner allerdings noch lange nicht.

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[ Reuters ] Rachel Crooks, Jessica Leeds und Samantha Holvey legten ein zweites Mal öffentlich Zeugnis gegen Donald Trump ab.

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