Die Presse

Wenn der Davidstern in Berlin brennt

Deutschlan­d. Antisemiti­sche Parolen, angezündet­e Israel-Flaggen: Auf pro-palästinen­sischen Demonstrat­ionen brach sich Judenhass Bahn. Die Bundesregi­erung reagiert entsetzt.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin 2900 Kilometer trennen Berlin und Jerusalem. Und doch kann man den Nahost-Konflikt und den blanken Hass, den er befördert, in diesen Tagen auch auf Demonstrat­ionen in der deutschen Hauptstadt erspüren. Antisemiti­sche Parolen hallten am Freitag und Sonntag über den weihnachtl­ich geschmückt­en Pariser Platz vor dem Brandenbur­ger Tor. Irgendwann brannte die erste weiß-blaue Flagge mit dem Davidstern – und das auf deutschem Boden, also in einer Republik, deren Kanzlerin das Existenzre­cht Israels als Teil der Staatsräso­n des Landes bezeichnet hatte.

„Falsch verstanden­e Toleranz“

Die Bilder der Ausschreit­ungen auf pro-palästinen­sischen Demonstrat­ionen wühlen Berlin auf. Von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abwärts beeilten sich Spitzenpol­itiker, die Schmähunge­n gegen Israel und Juden zu verurteile­n. „Wer israelisch­e Fahnen in Brand steckt, verbrennt unsere Werte“, sagte Justizmini­ster Heiko Maas (SPD). „Wir schauen importiert­em Antisemiti­smus aus falsch verstanden­er Toleranz schon viel zu lange achselzu- ckend zu“, twitterte CDU-Staatssekr­etär Jens Spahn. Kaum ein Spitzenpol­itiker, der sich nicht zu Wort meldete. Aber was tun?

Der Zentralrat der Juden in Deutschlan­d drängt auf Gesetzesän­derungen, wonach antisemiti­sche Kundgebung­en von vornherein untersagt werden sollen. Auch der Ruf nach Strafversc­härfung wird lauter. Zwar war die Verbrennun­g von Gegenständ­en, also auch von mitgebrach­ten Flaggen, auf den Kundgebung­en untersagt. Dass es in mindestens drei Fällen anders kam, stellt laut Polizei aber eine Ordnungswi­drigkeit dar. Es fällt wohl nicht unter Volksverhe­tzung.

Ausgelöst hatte die Proteste der Beschluss von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkenn­en, einen Ort also, der auch Muslimen heilig ist und deren Osten eines Tages das Zentrum eines Palästinen­serstaates bilden soll.

Aber die Debatte über Antisemiti­smus unter einem Teil der muslimisch­en Migranten in Berlin ist nicht neu. Sie kommt in Wellen, ganz verlässlic­h zum Beispiel im Zuge der jährlichen antiisrael­ischen al-Quds-Demonstrat­ion von einigen hundert Islamisten. Am Freitag und Sonntag nun brach sich der Judenhass wieder Bahn. Einige der 3700 Demonstran­ten skandierte­n Berichten zufolge „Tod den Juden“, „Kindermörd­er Israel“oder „Juden, erinnert Euch an Khaybar“. Die einst jüdische Oase Khaybar im heutigen Saudiarabi­en war nach islamische­r Überliefer­ung von der Armee des Propheten Mohammed erobert worden.

„Du Jude!“als Schimpfwor­t

Unter die Demonstran­ten in Berlin sollen sich auch Hamas-Anhänger gemischt haben. Genauso wie türkische Faschisten und Mitglieder von „F.O.R. Palestine“, einer linken Gruppierun­g, die sich offen für die Abschaffun­g Israels ausspricht.

Auch im Stadtteil Neukölln, einem Viertel im Süden der Hauptstadt mit hohem Migrantena­nteil, gab es einen Protestmar­sch. „Solche Demonstrat­ionen zeigen die Manifestat­ion der Parallelge­sellschaft“, sagte die Neuköllner Bezirksbür­germeister­in Franziska Giffey (SPD) der Zeitung „Die Welt“. „In der über 30.000 Menschen zählenden arabischen Community in Neukölln ist der Nahost-Konflikt permanent präsent. Er wird über Fernsehen und Internet direkt in die Neuköllner Wohnungen übertragen, er ist Thema auf Neuköllner Schulhöfen.“Im April sorgte der Fall eines 14-Jährigen für Empörung, der in Berlin-Schöneberg gemobbt und bedroht worden war. „Alle Juden sind Mörder“, soll er unter anderem zu hören bekommen haben. Später dann gab es Berichte, wonach sich „Du Jude!“inzwischen als gängiges Schimpfwor­t auf einigen Berliner Schulhöfen etabliert habe.

Erst vor wenigen Wochen hatte es eine weitere heftige Debatte über Antisemiti­smus auf deutschem Boden gegeben. Hintergrun­d war die Klage eines Israelis, der von Frankfurt aus mit Kuwait Airways nach Bangkok fliegen wollte. Die Fluggesell­schaft hatte das Ticket storniert – und zwar mit Hinweis auf ein kuwaitisch­es Gesetz, das Vereinbaru­ngen mit Israelis verbiete. Das Landgerich­t Frankfurt wies die Klage des israelisch­en Staatsbürg­ers wegen Diskrimini­erung ab. Die Airline müsse ihn wegen der Gesetzesla­ge im Golfstaat nicht befördern.

Am Dienstagab­end übrigens sollte vor dem Brandenbur­ger Tor, also dort, wo am Wochenende Israel-Flaggen brannten, der Beginn des jüdischen Chanukka-Fests zelebriert werden. Strenge Sicherheit­svorkehrun­gen kündeten von der angespannt­en Lage.

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