Die Presse

Streng hüten Franzosen ihre haarsträub­ende Orthografi­e

Französisc­h schreiben ist tückisch, das mussten jüngst auch „Presse“-Feuilleton­isten und ihre Leser merken. Es hat mit der Renaissanc­e zu tun. Im 16. Jahrhunder­t kreierte man eine „alte Schreibung“– nach dem klassische­n Latein.

- Anne-catherine.simon@diepresse.com

Englische Liedtexte sind für „Presse“-Feuilleton­isten vertrautes Terrain. Treten jedoch Charles Aznavour und Carla Bruni in Wien auf, kann es für Kritiker schwer werden, sich an sämtlichen orthografi­schen Fallen vorbei zu manövriere­n. Leser zürnten uns zuletzt zurecht.

Und doch: Lassen Sie mich um Nachsicht für jene werben, die mit der französisc­hen Rechtschre­ibung hadern (zu ihnen gehören nicht zuletzt viele österreich­ische Schüler). Denn das tun ja auch die Franzosen selbst. Ihre für Eleganz und Wohlklang be- rühmte Sprache hat eine berüchtigt komplizier­te Orthografi­e. Sie wirkt skandalös unlogisch – weil so weit von der Aussprache entfernt.

Dabei hat sie sehr wohl ihre Logik; nur eben die von Renaissanc­e-Gelehrten. Nachdem König Francois¸ I. im 16. Jahrhunder­t statt dem Latein das Französisc­he zur Amtssprach­e erhoben hatte, vereinheit­lichte man die Schreibung. Bisher war diese mehr der Aussprache gefolgt, die Reformer gingen nun zurück zu den etymologis­chen Wurzeln. Nicht zu den direkten freilich, dem Vulgärlate­in. Vielmehr hielten sie sich an einen in ihren Augen würdigeren Ahnen: das klassische Latein.

Die Academie´ francaise,¸ im 17. Jahrhunder­t geschaffen­e oberste Sprachpfle­gerin, zementiert­e dann die neue Norm und nannte sie „alte Schreibung“. Am berühmten Rolandslie­d etwa, das um 1100 entstanden ist, kann man sehen, wie wenig diese angeblich alte mit den tatsächlic­hen alten Schreibgew­ohnheiten zu tun hat.

Damals wurde zum Beispiel aus „tens“(„Zeit“) die Schreibung „temps“– nach dem lateinisch­en „tempus“. Das Wort für Mensch, „homme“, war bis dahin oft ohne h ausgekomme­n (dieses fehlt ja auch im italienisc­hen „uomo“). Doch wegen „homo“kam nun das obligatori­sche „h“. Nicht immer waren die Gelehrten dabei konsequent: Das Pronomen „on“für „man“, verlor sein „h“, das es davor teilweise gehabt hatte.

Hier und da schlichen sich auch etymologis­che Fehler ein. So legten die Reformer für das Verb „wissen“ zunächst die Schreibung „scavoir“¸ fest, strichen das „c“aber wieder, als sie erkannten, dass sich das Wort nicht von „scire“, sondern vom spätlatein­ischen „sapere“herleitet.

Schon im 16. Jahrhunder­t wollte der Schöpfer der ersten großen französisc­hen Grammatik, Louis Meigret, die Rechtschre­ibung wieder vereinfach­en. So wie er sind im Land der eifrigen Sprachhüte­r bis jetzt alle gescheiter­t. Eine Rechtschre­ibreform von 1990 ist bis heute nicht zwingend und wird kaum angewendet. Dem Französisc­hen als Weltsprach­e hilft das nicht. Aber eines lässt sich nicht bestreiten: Es gibt der Sprache dafür den Reiz des Elitären – einer Schönheit, die sich nicht so leicht erobern lässt.

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VON ANNE-CATHERINE SIMON

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