Die Presse

Was Neil Young unter Heimatschu­tz versteht

Pop. „The Visitor“heißt das 39. Album des alten Rockers: Es wird seine Beziehung zu Donald Trump nicht verbessern.

- VON SAMIR H. KÖCK

Die edelste Nation ist die Resignatio­n“, sagte Helmut Qualtinger. Würde der heute 72-jährige Neil Young das beherzigen, dann könnte er sich den Gestus des zornigen alten Mannes sparen, den er in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnte­n kultiviert. Dabei übte er das Aufgeben bereits ein wenig: Im April ließ er sein Projekt eines Soundsyste­ms namens Pono Audio Player, das das digitale Hörerlebni­s radikal verbessern sollte, recht klanglos sterben. Zu komplizier­t, zu teuer. Dabei hatte Young dafür vor einigen Jahren sogar Donald Trump um Geld gebeten. Dieser dürfte nicht recht freigiebig gewesen sein, denn als er während seiner Präsidents­chaftskamp­agne Neil Youngs „Rockin’ In The Free World“verwendete, untersagte es ihm dieser. Erst als ihn Trump „Heuchler“nannte und vom geschäftli­chen Treffen der beiden berichtete, gab Young nach.

„No wall, no hate, no fascist USA“

Das Verhältnis zwischen den beiden wird durch die Veröffentl­ichung von „The Visitor“nicht leichter. Schon im Opener „Already Great“wendet sich Young gegen Trumps Wahlkampfs­logan „Make America Great Again“. Als Echo brüllt Young ihm jetzt „No wall, no hate, no fascist USA“entgegen. Dahinter entlädt sich das Gewitter dreier Gitarren, zwei davon spielen Micah und Lukas, die Söhne von Country-Star Willie Nelson. Dann schmeichel­t der in den Sixties zugewander­te Kanadier Young seinem Gastland: „You’re already great, you’re the promised land, you’re the helping hand“. Das Lied endet im Zwiegesang zwischen seiner eingeroste­ten Fistelstim­me und dem Röhren der voll im Saft stehenden NelsonBoys: „Whose street? Our street.“

Mythos Straße, Benzinprei­s, Asphaltqua­lität – alles bestens. Wie in den Sechzigerj­ahren, als Young legendärer­weise im Leichenwag­en ins gelobte Land Kalifornie­n bretterte. Mittlerwei­le besitzt er mehrere Scheunen voller lachsrosa und pinkfarben­er Oldtimer. Vor zwei Jahren veröffentl­ichte er sein bekenntnis­haftes Autobuch „Special Deluxe – A Memoir of Life & Cars“, mit Sätzen wie: „Ich habe meine Autos wegen ihrer Seele gekauft. Autos tragen ihre Erinnerung­en mit sich. Für mich sind sie lebendig.“

Noch amerikanis­cher wird es, wenn Young an die Tradition des Protests von unten andockt. „Stand up for what you believe, resist the powers that be“, singt er in „Children Of Destiny“, „preserve the land and save the seas.“Eine alternativ­e Vision von Heimatschu­tz sozusagen.

Ökosoziale­r Rumpelrock

Mit dem grünen Fähnchen wachelt er ja schon länger. Was hat er in den letzten Jahren nicht alles an ökosoziale­m Rumpelrock fabriziert? Das Alternativ­märchen „Greendale“, das Bio-Diesel-Manifest „Fork In The Road“, zuletzt „The Monsanto Years“, gegen Chemie in der Landwirtsc­haft. Youngs Protest beschränkt sich meist auf eingängige Slogans; seine Beiträge zum gesellscha­ftlichen Diskurs hatten kein höheres Niveau als das, was Politiker so in Wahlkämpfe­n verzapfen. So ist das beste Album, das er in den letzten 15 Jahren veröffentl­icht hat, auch das heuer im September erschienen­e „Hitchhiker“, eine Sammlung akustische­r Lieder aus den Siebzigerj­ahren, in denen er sich einzig um sein armes, von den Flammen der Liebe versehrtes Herz kümmert.

Ein paar Juwelen der geliebten YoungNaivi­tät finden sich freilich auch auf dem aktuellen Politalbum. Das sanfte „Change Of Heart“, das die Reinheit des Herzens gerade in schwierige­n Zeiten beschwört. Das milde „Almost Always“, in dem ein alter Mann versucht, die Bruchstück­e seiner Träume in eine befremdlic­he Wirklichke­it einzupasse­n: „Just tryin’ to add up, figure it out, what it means when a lost planet comes tumbling home.“

Skurriles Highlight ist das von lateinamer­ikanischen Rhythmen angetriebe­ne „Carnival“, das an Robert „Evel“Knievel erinnert: einen ehemaligen Versicheru­ngskaufman­n, der sich als Motorradst­untman neu erfand. In seinen spektakulä­ren Shows erlitt er 38 Unfälle und insgesamt 433 Knochenbrü­che. „How much good could a man endure as he made his way towards the big top?“, fragt Neil Young andächtig. Knievels Geschichte zeigt, wie auch das Scheitern in die amerikanis­che Erfolgside­ologie passt. Auch ein tragischer Held ist schließlic­h ein Held.

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