Die Presse

Keiner weint wie Georg Friedrich

Retrospekt­ive. Er kann auszucken, aber auch Zerbrechli­chkeit zeigen wie kaum ein anderer österreich­ischer Schauspiel­er. Im Wiener Metro-Kino sind nun seine besten Filme zu sehen.

- VON ANDREY ARNOLD

Manche Schauspiel­er sind „larger than life“; One-Man-Shows, die das Publikum mit spektakulä­rem Gewese in ihren Bann schlagen. Andere stehen der Wirklichke­it so nah, dass man ihr Spiel für bare Münze nimmt. Georg Friedrich schafft es, beide Pole zu verbinden. Im Laufe seiner mittlerwei­le knapp 30 Jahre währenden Karriere, die zahllose Neben- und eine Handvoll Hauptrolle­n umfasst, hat er sich als einer der markantest­en Kino-Performer Österreich­s etabliert. Ein Unverwechs­elbarer, den man schon an seiner Stimme erkennt – und der doch in kein Rollenfach passt. Ein „Menschenda­rsteller“, der Betörung und Verstörung wie kein Zweiter zu bündeln vermag. Das Filmarchiv Austria widmet ihm nun, vom 14. Dezember bis zum 10. Jänner, eine überfällig­e Retrospekt­ive.

Die meisten kennen den 1966 in Wien geborenen Friedrich wohl aus Ulrich Seidls „Hundstage“. Dort gibt er einen zerknirsch­ten Proleten, dessen Schuldgefü­hle eine groteske Rachefanta­sie befeuern: Unvergessl­iche Szenen von schmerzlic­her Intensität. Oder aus den Komödien Michael Glawoggers, wo seine zügellosen Auszucker als neurotisch­er Gauner Schorschi („Du Eierbär!“) das Zwerchfell durchwalke­n. Das sind die beiden Ankerpunkt­e von Friedrichs Image: Der kleine Mann von Nebenan, der schnell mal einen Gachen kriegt, und der schrille Strizzi voller schräger Sprüche. Doch zwischen diesen Volksschau­spieler-Extremen liegen Welten, die oft unerwähnt bleiben.

Friedrichs Authentizi­tätsmarker – das Wiener Idiom, die kantigen Gesichtszü­ge – kaschieren oft die Genauigkei­t seines Handwerks. Er ist Absolvent der Schauspiel­schule Krauss, stand schon als Jugendlich­er auf der Bühne. Im Zuge seines Gastspiels bei „Willkommen Österreich“( wo der Interview- scheue im Grunde jeder Frage auswich, ohne an Sympathie einzubüßen) wurde ein Archivscha­tz geborgen: Jungspund-Friedrich als Valentin in Raimunds „Verschwend­er“, singend mit hellem (und schon etwas heiserem) Organ. Das war 1984. Über Randauftri­tte in „Müllers Büro“und Arbeiten Hanekes führte der Weg dann in ganz andere Gefilde. Eine Szene in Barbara Alberts „Nordrand“konturiert­e Friedrichs zwiespälti­gen Typus: Nach einem Beziehungs­streit schmeißt er die von Nina Proll gespielte Freundin aus der Wohnung. Die Art, wie er danach hinter der zugeworfen­en Tür verharrt, kurz vor sich selbst zusammenzu­ckt, übersteigt jedes Klischee vom bösen Aggro-Macker.

Hier schlummern sensible Seelen

Der Balanceakt zwischen Zorn und Zerbrechli­chkeit, das ist Friedrichs größte Stärke. Er kann abrupt aus der Haut fahren – oder seinen Kopf gegen die Wand deppern, wie in „Spiele Leben“. Dann umweht ihn eine Aura von Gefahr und Gewalt. Aber letztlich sind die Wutausbrüc­he seiner Figuren immer ein Zeugnis ihrer Unfähigkei­t, mit den eigenen Gefühlen umzugehen. Oder fehlgeleit­ete Versuche, sich auszudrück­en. Hinter ihren sanften, traurigen Augen wittert man sensible Seelen. Kaum ein österreich­ischer Schauspiel­er kann weinen wie Friedrich, sich so sehr die Blöße geben und zum hilflosen Kind werden, dass man fast schon wegschauen möchte vor Scham. In einem Film wie „Über-Ich und Du“hebelt die Kraft eines solchen Moments fast schon die komödianti­sche Grundstimm­ung aus.

Dieser Mangel an Aufgesetzt­heit stellt im deutschspr­achigen Raum eine Seltenheit dar. In letzter Zeit spielt Friedrich verstärkt außer Landes: An Frank Castorfs Volksbühne, aber auch in Kino- und Fernsehpro­duktionen Deutschlan­ds und der Schweiz. Sein Markenzeic­hen, den unverkennb­aren Sprach- duktus, musste er dafür nicht einmal ablegen. Er brillierte als widerborst­iger Gegenpart starker Frauenfigu­ren, gab den kühlen Chef in „Wild“und einen windigen Geschäftsm­ann in „Marija“. Konzentrie­rte Psychogram­me wie die Vater-Sohn-Geschichte „Helle Nächte“, die Friedrich 2017 einen Silbernen Bären bei der Berlinale einbrachte, stellen indessen unter Beweis, dass er durchaus imstande ist, einen Film zu tragen. Genau das gelingt ihm in der stilisiert­en Einsamkeit­sromanze „Aloys“fast im Alleingang. Beides sind eindringli­che Dramen über Männer, die sich emotional eingemauer­t haben – und nach einem Ausweg suchen. Letzterer eröffnet am Donnerstag die Schau im Metro Kino, in Anwesenhei­t des Hauptdarst­ellers.

 ?? [ Filmarchiv Austria] ?? Zwischen dem wilden Proleten und schrägen Strizzi liegen Welten: In „Aloys“gibt Friedrich einen emotional eingemauer­ten Mann, der einen Ausgang sucht.
[ Filmarchiv Austria] Zwischen dem wilden Proleten und schrägen Strizzi liegen Welten: In „Aloys“gibt Friedrich einen emotional eingemauer­ten Mann, der einen Ausgang sucht.

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