Die Presse

Vielleicht wird es jetzt ein bisschen so, wie es früher einmal war

Ein dezenter Retro-Hauch umweht die Pläne der schwarz-blauen Regierung. Die Frage ist nur: Von welcher Vergangenh­eit sprechen wir? Und war es damals besser?

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Im Oktober wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Früher war alles besser, sagen ältere Menschen. Weil sie sich bei „früher“an Zeiten erinnern, in denen sie selbst jünger, gesünder und frischer waren. Wenn man jeden Morgen mit schmerzend­en Gelenken oder einem Hustenanfa­ll aufwacht und schlechte Laune hat, neigt man dazu, die jetzigen gesellscha­ftlichen Umstände (Politik, Nachbarn, Enkel, Ausländer, FacebookFr­eunde) dafür verantwort­lich zu machen und die Vergangenh­eit zu verklären.

Schließlic­h hatte man damals noch keinen Husten! Obwohl man doch überall rauchen durfte! In Lokalen, am Schulhof, in Büros, im Flugzeug, und irgendwann einmal sogar im Kino und in der Straßenbah­n. Und, hat es uns geschadet? Freiheit muss einem etwas wert sein. Hätten die Kellnerinn­en halt etwas besseres gelernt. Hätten sich die Kinder rauchender Eltern halt andere Eltern ausgesucht. Es ist doch jeder seines Glückes Schmied.

Überhaupt war alles fein, als es noch keine „Verbotsges­ellschaft“gab. Man setzte sich ins Auto, ohne Gurte, ohne Kindersitz­e, ohne Bevormundu­ng und fuhr los. Wenn man vorher etwas getrunken hatte, war’s besonders lustig. Es gab kein Tempo 30, keine Parkpicker­ln, Radwege, Fußgängerz­onen oder sonstige Schikanen. Dass es 1972, im schwärzest­en Jahr der österreich­ischen Verkehrsge­schichte, 2948 Unfalltote gab (sechsmal so viele wie heute, obwohl sich die Zahl der Autos mehr als verdoppelt hat)? Egal. Man hat’s ja überlebt.

Auch am Klimawande­l waren wir damals noch nicht schuld – zumindest redete uns niemand deswegen ein schlechtes Gewissen ein. Beim Schnitzel und Schweinsbr­aten durfte man hemmungslo­s reinhauen, ohne dass verhärmte Gouvernant­en tadelnd mit dem Zeigefinge­r wackelten. Nicht eine Sekunde musste man an die Cholesteri­nwerte, an die Massentier­haltung, an die Abholzung der Regenwälde­r oder gar an die religiösen Gefühle irgendwelc­her Muslime denken.

Wie frei, wie ungestüm, wie verwegen fühlte sich das an! Die Kinder von heute sollen dasselbe spüren dürfen. Deswegen machen wir jetzt Schluss mit alternativ­er Pädagogik, mit Projekttag­en, fächerüber­greifendem Lernen – alles Irrwege! Spielerisc­hes Sprachenle­rnen gar: „Guten Tag, wie geht’s“auf Türkisch zu sagen, bis zehn zählen auf Spanisch oder gar ein arabisches Lied einstudier­en – welch verheerend­e Beschädigu­ngen das in kindlichen Gehirnen wahrschein­lich anrichtet!

Als wir klein waren, waren wir vor diesen schädliche­n Einflüssen noch sicher. Nicht einmal in Kärnten traute sich damals ein Kind zuzugeben, dass es außer Deutsch auch Slowenisch sprach. Man war einsprachi­g und stolz drauf. Wie auch auf Frontalunt­erricht, Zweierreih­en, Ziffernnot­en und eine möglichst homogene Sortierung der Kinder. Damit jeder weiß, wo oben und wo unten ist, und wo man selbst hingehört. Höchste Zeit auch, ein paar Eckpfeiler der österreich­ischen Leitkultur in den Boden zu rammen. Heimatschu­tz wird das heißen, und alles vom Katastroph­enschutz (Feuerwehrf­este!) bis zum Sport (Skifahren!) umfassen.

Und wehe allen, die es wagen, an diesen Heiligtüme­rn zu kratzen, indem sie darauf hinweisen, dass dort nicht immer alles lustig ist, speziell für Frauen. Komasaufen, sexuelle Übergriffe – gehörte immer schon dazu.

In der „Heimat“, die wir meinen, gab es keinen Genderwahn. Manderl und Weiberl konnte man noch klar unterschei­den. Wer schwul war, den nannte man pervers. Es gab die Ehe, man kriegte Kinder, man ging fremd, aber blieb immer zusammen, auch wenn es die Hölle war. Denn Alleinerzi­eherin zu sein war eine Schande. Besser also, man reißt sich ein bisserl zusammen. Und alle, die das auch heute schaffen, werden mit einem Familienbo­nus von 1500 Euro belohnt.

Die Selbstmord­raten waren vor 35 Jahren übrigens doppelt so hoch wie heute. Vielleicht, weil früher doch nicht alles besser war? Oder sind auch daran irgendwie die Ausländer schuld?

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VON SIBYLLE HAMANN

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