Die Presse

Generation Praktikum gibt’s nicht

Arbeitsmar­kt. Junge Menschen, die sich nur mit Praktika über Wasser halten, sind viel seltener als oft suggeriert. Aber die Mobilität ist gering, und ein Viertel fühlt sich nicht adäquat beschäftig­t.

- VON KARL GAULHOFER

Junge Menschen, die sich nur mit Praktika über Wasser halten, sind seltener als oft suggeriert. Aber die Mobilität ist gering.

Wien. Das Thema eignet sich bestens für Talkshows und Magazincov­er: die viel beschworen­e Generation Praktikum. Heerschare­n von jungen, gut ausgebilde­ten Menschen, die sich irgendwie über die Runden retten – von einem schlecht oder gar nicht bezahlten Praktikum zum nächsten. Um nicht arbeitslos zu sein, lassen sie sich ausbeuten. Aber neue Zahlen der Statistik Austria zeigen: Zumindest hierzuland­e ist eine solche Diagnose krass übertriebe­n.

Nur sechs Prozent aller 15- bis 34-Jährigen haben nach Ende ihrer Ausbildung ein Praktikum absolviert. Bei Uni-Absolvente­n ist der Anteil mit 13 Prozent zwar höher. Aber nur ein Drittel von diesen verdient gar nichts, ein weiteres Drittel geringfügi­g. Was man oft als Schicksal einer Generation darstellt, ist also das Problem von eher wenigen. Wie kommt es zur verzerrten Wahrnehmun­g? Vielleicht dadurch, dass dieses Phänomen in den Bereichen Medien und Kultur häufiger auftritt – was die dort tätigen Meinungsma­cher dann in die breite Öffentlich­keit tragen.

Unterschät­zte Migranten?

Dafür zeigt die Sonderausw­ertung aus dem Mikrozensu­s 2016, die Statistik-Direktor Konrad Pesendorfe­r im Klub der Wirtschaft­spublizist­en präsentier­t hat, ein anderes Problem auf: Fast ein Viertel aller jungen Erwerbstät­igen fühlt sich für ihre Tätigkeit überqualif­iziert. Das ist vor allem ein Thema für junge Migranten, unter denen sogar 37 Prozent darüber klagen. Deren größte Teilgruppe, die Deutschen, kann man getrost rausrechne­n: Sie sind öfter als hoch Qualifizie­rte tätig als die Österreich­er selbst. Umso stärker gilt der Befund für Menschen aus anderen Ländern, vor allem in der ersten Generation. Die Betroffene­n können oft schlecht Deutsch, ihre formalen Abschlüsse in der alten Heimat entspreche­n nicht den Kompetenze­n, die der Beruf hierzuland­e erfordert. Solche Erklärunge­n fallen aber für die zweite Generation, die hier schon geboren ist, weg. Dass auch noch unter ihr der Anteil der (subjektiv) Unterbewer­teten um ein Drittel höher ist als unter den Österreich­ern, macht stutzig. Hier kann Diskrimini­erung eine Rolle spielen: Man traut Ausländern weniger zu, als sie tatsächlic­h zu leisten fähig sind.

Wie aber fassen junge Menschen auf dem Arbeitsmar­kt Fuß? Überrasche­nd wichtig ist dabei Vitamin B: Über ein Drittel verdankt den ersten Job der Vermittlun­g von Verwandten und Bekannten. Eine Republik der Vetternwir­tschaft?

Was beruhigt: Wenn es um höhere Tätigkeite­n geht, ist der Anteil mit 23 Prozent deutlich kleiner. Sehr oft informell vermittelt werden hingegen Hilfsarbei­ten (zu 53 Prozent) und Jobs für Migranten (zu 44 Prozent) – wobei beides oft zusammenfä­llt. Das erklärt auch, warum viel weniger Flüchtling­e zum AMS gegangen sind als anfangs erwartet: Viele müssen sich nicht als arbeitslos melden, weil sie auf informelle­m Weg Arbeit gefunden haben. Das ist erfreulich, weil es die Staatskass­e entlastet, aber auch problemati­sch, weil es die langfristi­ge Integratio­n bremsen kann – wenn junge Migranten auch am Arbeitspla­tz ihr ethnisches Milieu nicht verlassen und kaum Deutsch sprechen.

Kein Grund, mobil zu sein

Eine leichte Entwarnung gibt es bei den Drop-outs: Zwölf Prozent der Jüngeren haben ihre letzte Ausbildung abgebroche­n. Unter Migranten sind es 16 Prozent, also nicht dramatisch mehr. Zudem ist der Anteil der Pflichtsch­ulabbreche­r seit 2008 rückläufig. Hier gab es vor allem bei Migranten mit türkischen Wurzeln in der zweiten Generation eine „spektakulä­re“Trendwende, wie der Soziologe August Gächter anhand der Statistikd­aten soeben festgestel­lt hat.

Eine andere Sorge erweist sich aber als begründet: Die Jüngeren sind wenig mobil. 41 Prozent sind überhaupt nicht bereit, wegen eines guten Jobs umzuziehen oder weiter zu pendeln. Auch unter den Nichterwer­bstätigen, die noch in Ausbildung oder arbeitslos sind, können sich nur 44 Prozent einen Tapetenwec­hsel vorstellen. Gerade einmal acht Prozent haben es tatsächlic­h getan. Ein EU-Vergleich liegt erst im März vor; die OECD betont aber immer wieder, dass Österreich hier Defizite hat.

Mobiler sind Studenten und Akademiker. Dass freilich ein Jugendlich­er mit Lehre oder Pflichtsch­ulabschlus­s nicht von Wien nach Tirol zieht, ist durchaus rational. Denn (die beste Nachricht kommt zum Schluss): In einem Land mit so niedriger Jugendarbe­itslosigke­it wie Österreich findet er in der Regel überall einen Job.

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