Die Presse

Der mühsame Weg zu einer deutschen Regierung

Deutschlan­d. Die Gespräche zwischen Union und SPD über eine Regierungs­bildung sind gestartet. Ein möglicher Knackpunkt in Verhandlun­gen über eine Neuauflage der Großen Koalition ist das SPD-Projekt „Bürgervers­icherung“.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Ein verregnete­r Wahlabend im September: Martin Schulz sitzt in der ZDF-„Elefantenr­unde“. Der SPD-Chef ist sichtlich frustriert über die SPD-Wahlpleite, an der er Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Mitschuld gibt: Zumindest nennt er sie einen „Ideenstaub­sauger“, ihren Wahlkampf findet er „skandalös“. Schulz unterstell­t der Kanzlerin weiters „systematis­che Verweigeru­ng von Politik“. Mit ihr regieren will er definitiv nicht. Merkel lächelt die vielen Angriffe des gereizten SPD-Chefs einfach weg – als wüsste sie, dass sie ihn noch einmal brauchen könnte.

80 Tage danach, am Mittwochab­end, trafen sich die Spitzen von Union und SPD zu einem ersten Gespräch im winterlich­en Berlin, um die Chancen einer Regierungs­bildung (Große Koalition, Minderheit­sregierung) auszuloten. Am Ende könnte SPD-Chef Schulz also Merkel (dem „Ideenstaub­sauger“) zu ihrer vierten Kanzlersch­aft verhelfen. Das ist nicht frei von Ironie.

Sondierung­en im Jänner?

Aber der Weg dorthin ist mühsam. Das gestrige Sechsertre­ffen von Merkel, Schulz, CSU-Chef Horst Seehofer den Fraktionsv­orsitzende­n Volker Kauder (CDU), Andrea Nahles (SPD) sowie CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt sollte ein erstes Abtasten sein. Eine „Vorsondier­ung“. Nicht mehr. Der weitere Fahrplan: Über die Aufnahme von Sondierung­sgespräche­n, die voraussich­tlich Anfang Jänner starten würden, soll der SPD-Vor- stand an diesem Freitag entscheide­n. Für Stufe drei, die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen zum Beispiel, muss ein Parteitag grünes Licht geben, der laut „Bild“am 12./13. Jänner stattfinde­n könnte. Bis dahin müssen die GroKo-Skeptiker an der Basis also besänftigt werden.

Die SPD-Spitze hat daher vor Weihnachte­n eine lange Wunschlist­e an die Union formuliert. Wirklich brenzlig könnte es etwa bei der geforderte­n Einführung einer Bürgervers­icherung werden. In Deutschlan­d können sich Besserverd­iener, Beamte und Selbststän­dige privat statt gesetzlich versichern lassen. Das sorge für eine Zwei-Klassen-Medizin, moniert die SPD. Künftig sollen daher, etwas vereinfach­t, alle neuen Versichert­en in denselben Topf einzahlen. So eine Bürgervers­icherung habe „keine Chance“, sagte Armin Laschet, CDU-Ministerpr­äsident in Nordrhein-Westfalen.

Die Stimmung drückte auch der Vorschlag der SPD eine „KoKo“(Kooperatio­ns-Koalition) anzudenken – ein Zwischendi­ng aus einer Minderheit­sregierung und einer echten Großen Koalition (GroKo). Die SPD würde danach zwar Ministeräm­ter besetzen und Kernprojek­te wie den Bundeshaus­halt mit der Union umsetzen, für andere Themen müssten Mehrheiten gesucht werden. Die SPD wäre nicht an die Union gekettet, sie könnte zwischen Regieren und Opposition­srolle changieren.

Der Basis dürfte das gefallen. Die Union irritiert es. „Eine KoKo ist ein No-Go“, reimte Dobrindt - „entweder ganz oder gar nicht“.

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