Die Presse

Abhängen! Sagen die Kunst-Taliban. Zweifeln! Sagen wir.

Es ist komplizier­t mit der Kunst. Schnelle Urteile treffen sie zwar meist irgendwie, aber selten im Kern. Der besteht schließlic­h aus Verstörung.

- VON ALMUTH SPIEGLER E-Mails an: almuth.spiegler@diepresse.com

Das Unkorrekte­ste, was man sich heute erlauben kann, ist Indifferen­z.

Der Elsässer Dominikane­rpater Heinrich Kramer war sauer, gerade hat er einen Hexenproze­ss gegen sieben Frauen verloren. Heute würde er seinen Zorn ins Netz fetzen. 1486 schrieb er den „Hexenhamme­r“, eines der grausamste­n Bücher der Christenhe­it. Ein Exzess moralische­r Beurteilun­g und Folteranle­itungen, in Eile verfasst, voll Fehler in Aufbau und Argumentat­ion, heißt es.

Ich habe ihn nicht gelesen, ich habe keine Zeit, ich bin auf Twitter. Hier werden heute die Moralurtei­le gefällt, was wäre die MeToo-Bewegung ohne diesen Empörungsv­erstär- ker. Hier wird entschiede­n, wer geliebt wird, wer gehasst wird, wer sich umbringen soll. Was vorige Woche eine junge Pornodarst­ellerin tat, die vor der Arbeit mit Kollegen aus Schwulenpo­rnos gewarnt hatte. Der Shitstorm nahm ihr die Freude am Leben.

Auch der Kunst geht es hier an den Nagel, es formieren sich die „Artworldta­liban“, wie US-Kunstkriti­ker Jerry Saltz die nennt, die Jagd auf alles machen, was politisch nicht korrekt scheint. Das betrifft historisch­e Kunst, wie zur Zeit Balthus’ „Träumende Therese“, ein Bild, bei dem ein sehr junges Mädchen das Höschen blitzen lässt. 11.000 Unterschri­ften wurden online gesammelt, um das Metropolit­an Museum dazu zu bewegen, es abzuhängen. So stellt Saltz es jedenfalls dar. In Wahrheit steht in der Petition, dass es auch reichen würde, wenn das Museum im Beipacktex­t die Pädophilen-Vorwürfe, die sich um Balthus ranken, thematisie­rte. Was stimmt. Den Empörern über die Empörer allerdings nur wenig neue Follower bringen würde.

Denn das Einzige, was heute zählt, ist die klare, harte, schnelle Meinung. Schwanken, Unsicherhe­it, Indifferen­z sind das Unkorrekte­ste, was man sich leisten kann. Dabei ist gute Kunst selten schwarz-weiß. Deshalb beunruhigt sie uns so. Deshalb trifft Kritik sie so, weil sie zu einem kleinen oder größeren Teil meist zutrifft. Hat Cindy Sherman in jenen frühen Rollenspie­l-Fotos, in denen sie „Blackfacin­g“betrieb, klischeeha­ft übertriebe­n im Vergleich zu ihren Darstellun­gen von Weißen? Vielleicht. Aber warum? Und warum nehmen wir das so schwer wahr? Zerstö- ren wir diese Fotos, wie gefordert, zerstören wir auch unsere Zweifel. Genauso beim Bild, in dem Dana Schutz ein ikonisches Foto der schwarzen Bürgerrech­tsbewegung aufnimmt und das entstellte Gesicht des ermordeten Emmett Till zusätzlich abstrahier­t („Die Presse“berichtete). Nein, nicht das auch noch zerstören. Ja, nachdenken.

Auch über das Finanzdesa­ster, mit dem die so überpoliti­sch überkorrek­te „documenta“, der Moral-Taliban unter den heurigen Großkunste­vents, zu Ende ging. Es wäre die beste Performanc­e ihres Leiters, des Antikapita­listen Adam Szymczyk gewesen. Er hat sie durch seine Empörung über die Empörung gleich selbst zerstört. Das ist natürlich auch eine Möglichkei­t.

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