Die Presse

Tartuffe ist ein fescher Aufsteiger

Schauspiel­haus Graz. Kurz, flott und auch richtig böse inszeniert­e Markus Bothe Moli`eres fantastisc­he Komödie über heuchleris­chen Betrug. Kaum ein Charakter bleibt unbeschädi­gt.

- VON NORBERT MAYER

Am Schluss, nach hundert Minuten, als der König durch einen Beamten wie ein Deus ex Machina von oben verlauten lässt, dass alles angeblich doch noch gut ausgeht für die dem Betrüger Tartuffe aufgesesse­ne Familie des verblendet­en, neureichen Großbürger­s Orgon, da wird im Schauspiel­haus Graz die Tafel sprichwört­lich aufgehoben. In der entzückend­en Inszenieru­ng von Markus Bothe wurde ein Esstisch mit weißem Tuch und noblem Geschirr auf die Bühne gestellt, der fast die ganze Breite ausfüllt und von Anfang an eine herausford­ernde schiefe Ebene ist.

Auf ihr bewegen sich die Darsteller mehr oder weniger elegant, sie ziehen sich von hinten für ihre Auftritte hoch oder lassen sich für ihre Abgänge plump bis spektakulä­r runterfall­en. Am Ende aber wird diese Tafel nach vorn geklappt, sodass die liebe Familie sich an die fixierten Teller und Gloschen klammern muss, um nicht ins Parkett zu fallen. Ja, der König hat Gnade gezeigt, aber so nah am Abgrund klingt das Lachen dieser Figuren gar nicht befreit, sondern ängstlich.

Der Sonnenköni­g darf der Retter sein

Moli`ere hatte bei dieser Komödie mit härtestem Widerstand von konservati­ver katholisch­er Seite zu kämpfen. Der Dreiakter wurde 1664 nach nur einer Vorstellun­g von Ludwig XIV. verboten. Ein Abbe´ drohte dem Dichter sogar mit dem Scheiterha­ufen. Erst 1669 – der Sonnenköni­g war als Retter eingebaut worden – durfte die endgültige Fassung in fünf Aufzügen gespielt werden, zum Groll jener, die sich als Heuchler erkannten. Praktisch jeden konnte das treffen. Bothe, der in Hamburg Musiktheat­erregie studiert hat, der in Opern versiert ist, versteht es, diesen Klassiker flott und unaufdring­lich ins Heute zu übertragen. Dieser Sache dient auch Wolfgang Wiens geistvolle, theatertau­gliche Übertragun­g des Textes ins Deutsche. Nicht nur Tartuffe wird enttarnt, der hier von Pascal Goffin als smarter Aufsteiger in Business-Grau gespielt wird. Auch die von ihm Ausgenutzt­en sind bald entblößt.

Diese Satten in ihrer schwarz-golden glitzernde­n Kleidung sind lauter Egoisten – in feiner Abstufung. Franz Solar spielt perfekt die bigotte Großmutter Pernelle, die ihre Frömmlerei mit jeder koketten Geste Lügen straft. Eine Heilige? Nein, eine Dame, die nach Auftritten in der High Society giert. Ihr Sohn Orgon eifert ihr in der Dümmlichke­it nach. Mathias Lodd glänzt als ein von seiner Familie Entfremdet­er, der andernorts nach Sicherheit sucht und in Tartuffe den passenden, berechnend­en Verführer findet. Auch seine Kinder haben große Schwächen: Simon Käser spielt voll Inbrunst den dummen Damis, dessen einzige Lösungsmög­lichkeit in Gewalt besteht, Maximilian­e Haß ist reizend als Mariane, die vor allem Unentschlo­ssenheit verkörpert, als ihr Vater ihre Verlobung löst, um sie Tartuffe zu geben. Ihr armer Verlobter Val`ere (Florian Stohr) agiert um keinen Deut besser. Hier haben sich zwei verwirrte störrische Esel gefunden.

Brunftiger Beweis auf gedecktem Tisch

Ganz anders Orgons Frau Elmire (Henriette Blumenau): Sie bietet ihren Körper zur Überführun­g des Bösewichts so brunftig an, dass man annimmt, der unterm Tische lauschende Gatte werde garantiert gehörnt. Es ist köstlich anzuschaue­n, wie Krawatten und Reißversch­lüsse artistisch eingesetzt werden, um erotische Verwicklun­g begreifbar zu machen. Ähnlich raffiniert verläuft die Szene, in der Marianes Vater sie überreden will, Tartuffe als Mann zu akzeptiere­n. Orgon entkleidet sich halb und schlüpft in offensicht­lich schlimmer Absicht zur Tochter unter die riesige Decke. Von dort taucht rhetorisch rettend die Zofe auf. Sie ist noch vor Schwager Cleante´ (Thorsten Danner) die vernünftig­ste Person in all dem Irrsinn. „Ich lausche nie!“, lautet ihre defensive Devise.

Was wäre ein „Tartuffe“ohne diese wortgewalt­ige, in jeder Hinsicht flinke Dorine? Julia Gräfner spielt sie umwerfend komisch. Sie ist das Kraftzentr­um in all diesen Turbulenze­n, die auch musikalisc­h passend differenzi­ert untermalt werden. Man wünschte sich solch Helfer auch für heute, wenn munter „tartuffisi­ert“wird, mögen die scheinbare­n Heilsversp­recher der Slimfit-Zeit nun Kern, Kurz oder Macron heißen. Unseren Rest an Vertrauen schenken wir Moli`eres tollen Frauen, die garantiert wissen, was unter den Tischen und Laken vor sich geht.

 ?? [ Lupi Spuma ] ?? Der Hausherr und die widerspens­tige Zofe: Mathias Lodd als Orgon, Julia Gräfner als Dorine.
[ Lupi Spuma ] Der Hausherr und die widerspens­tige Zofe: Mathias Lodd als Orgon, Julia Gräfner als Dorine.

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