Groteske, junge, alte Körper
Tanzquartier. Die neue Chefin im TQW – Bettina Kogler – will, dass das Haus „ein wichtiger Ort für die lokale Szene“bleibt. Gleichzeitig streckt sie die Fühler weit über den Europaraum.
Eine triefende Nase hängt an der leeren weißen Wand. Der Rotz schimmert in Gold. Ein Werk des aus Japan stammenden Künstlers Michikazu Matsune, das sich seine Frau Bettina Kogler in ihr neues Büro gehängt hat: Sie ist ab Jänner die neue Hausherrin im Tanzquartier Wien. Seit einem Jahr denkt sie intensiv über die Zukunft der Institution nach. „Es ist immer klug, mit einer Bestandsaufnahme zu beginnen. Man soll ja nicht alles über den Haufen werfen, sondern Dinge beibehalten, die gut funktioniert haben.“Etwa die Research-Arbeit, die TQWGründungsintendantin Sigrid Gareis intensiv betrieben hat: „Davon hat die lokale Szene profitiert. Diese Forschungen haben das Haus unterschwellig am Köcheln gehalten. Das war vielleicht im Aufführungsprogramm nicht so sichtbar, aber es hat die Szene stark angeregt.“Kogler will das nun aufgreifen, und „wieder mehr Labore“machen.
Diese Labore werden 2018 fast exklusiv lokalen Künstlern zur Verfügung stehen. Nicht, weil Kogler das Haus von internationalen Entwicklungen abnabeln will – im Gegenteil –, sondern als Wiedergutmachung: Seit Wochen ist das Tanzquartier wegen Renovierungsarbeiten geschlossen, auch das Brut führt einen nomadischen Betrieb, weil das Künstlerhaus saniert wird.
Ungewöhnliche Formate geplant
„2018 arbeiten wir intensiver denn je mit der lokalen Szene. Es wird 2018 viele lokale Koproduktionen geben, lokale Künstler werden in Workshops, bei der Vermittlung, im Training und bei den Laboren stark vertreten sein. Wir achten darauf, dass das Tanzquartier ein wichtiger Ort für die lokale Szene bleibt.“Für Kogler ist das eine Herzensangelegenheit. Die Kärntnerin kuratierte zehn Jahre lang das Imagetanz-Festival, war Kuratorin im Brut, Ko-Kuratorin der Sommerszene Salzburg, verantwortete die Performances im WUK und beim Donaufestival Krems. „Deshalb ist es meine Aufgabe, die lokale Szene herauszufordern. Ich kenne sie so gut, dass ich mir das zutraue.“
Wie sie das machen will? „Mit ungewöhnlichen Formaten.“Etwa indem Studierende und Choreografen sich schon während der Entstehung von Stücken austauschen, sodass engere Beziehungen möglich werden. Kogler plant auch ein TQW-Magazin: Zu jedem Stück wird in Zusammenarbeit mit Autoren und Experten ein Text verfasst. Dieser „Gedankenfluss“könne den Künstlern zugute kommen. Auch inhaltlich will sie einiges anders machen: „Es geht nicht darum, Woche für Woche die interessantesten choreografischen Arbeiten zu zeigen oder zu produzieren. Wir werden einen kuratorischen roten Faden anbie- ten.“Über dem Februarprogramm steht z. B. die Überschrift: „Groteske Körperlichkeiten“.
Die Neueröffnung des TQW wird von 25. bis 27. Jänner mit Performances gefeiert, die verdeutlichen, was Kogler für die kommenden Jahre wichtig ist: „Ein Eckpfeiler ist die Diversität von Körpern – hier sollen unterschiedliche Körper gesehen werden und arbeiten.“Doris Uhlich zeigt ein Stück mit Tänzern mit physischen Beeinträchtigungen. Auch ein Punkt: „Die Wertschätzung des lokalen Kunstschaffens.“Eurozentristisches Kuratieren will sie ebenfalls vermeiden: „Wir wollen nicht nur den mitteleuropäischen Kreis bedienen, den man schon kennt.“Mit Tamara Cubas aus Uruguay kommt gleich
feiert das Tanzquartier Wien Wiedereröffnung. Doris Uhlich zeigt zum Auftakt (25. 1.) in „Every Body Electric“, wie Inklusion im Tanz aussehen kann (19.30 Uhr, Halle G). Julius Deutschbauer sorgt danach für „performative und kulinarische Betreuung“, Andrea Maurer führt durchs Stiegenhaus in die Studios, wo Franko B. und das Duo Margareth Kaserer/Simon Steinhauser performen. Ab 26. 1. zeigt die rumänische Choreografin Alexandra Pirici ihr Stück „Delicate Instruments of Engagement“, Mark Tompkins gibt Einblicke in die Arbeit seiner TQW-Residency und Tamara Cubas aus Uruguay tritt erstmals im deutschsprachigen Raum auf. Am 27. 1. wird die Stadt-Filiale eröffnet: 365 Tage Live-Performances sollen neugierig aufs TQW machen. Infos ab 14. 1. unter: www.tqw.at zur Eröffnung eine Performerin, die noch nie im deutschsprachigen Raum zu erleben war. Kogler will auch „generationenübergreifend arbeiten“, Raum schaffen für die ganz Jungen und die Alten: Mark Tompkins, quasi eine Ikone, kommt im Jänner zu einer Residence.
Für vier Jahre ist Kogler vorerst bestellt. Woran sie ihren Erfolg messen wird? „Bisher hat es, egal, wo ich gearbeitet habe, eine Publikumssteigerung gegeben. Das ist eine Messlatte, die ich auch hier wieder anlege. Und: Dass das Tanzquartier im internationalen oder nationalen Diskurs wieder federführend wird. Dass man also gern den Blick in unser Programmheft macht, weil man sagt: Dort wird gerade verhandelt, was wichtig ist.“