Die Presse

Wer nicht spurt, dem droht Konkurs

Gastkommen­tar. Es ist höchste Zeit, unser Unternehme­nsstrafrec­ht auf seine Verträglic­hkeit in der Praxis zu überprüfen.

- VON GEORG VETTER Dr. Georg Vetter (geboren 1962 in Wien) ist Rechtsanwa­lt und Präsident des Clubs unabhängig­er Liberaler. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die von der EU initiierte Datenschut­z-Grundveror­dnung, die bis 25. Mai 2018 umzusetzen ist, enthält eine Strafbesti­mmung von bis zu 20 Millionen Euro. Da wackeln alle Unternehme­n mit den Ohren. Wo horrende Strafen verhängt werden können, ist die wirtschaft­liche Existenz in Gefahr.

Die Botschaft lautet: Wenn Du nicht spurst, droht der Konkurs. Zum Vergleich: Wer mit mehr als 1,6 Promille Alkohol im Blut ein Fahrzeug in Betrieb nimmt, kann mit einer Geldstrafe von bis 5813 Euro rechnen.

Der liberale Rechtsstaa­t wurde einst erfunden, um die Willkür des Absolutism­us zu überwinden. Wenn wir nun die Willkür ins Gesetz schreiben, überwinden wir den liberalen Rechtsstaa­t im Namen des Rechts.

Seit unsere Gesetzgebe­r vom Pfad der Vernunft auf den Pfad der Tugend abgebogen sind, herrscht die Maxime: Ich drohe mit dem Strafrecht, daher bin ich gut. Wenn man ausgerechn­et in Brüssel dieser Philosophi­e der Schaffung eines neuen guten Menschen per Strafjusti­z anhängt, wird man die Europatreu­e der Bürger nicht gerade stärken.

Wenn mit der Datenschut­zGrundvero­rdnung die justiziell­e Peitsche bei jedem Datenspeic­herer ankommt, wird der Friedensge­danke der Union systematis­ch unterminie­rt. Wer das Strafrecht als gängiges Erziehungs­instrument und nicht als Ultima Ratio begreift, drängt in Richtung autoritäre­r Obrigkeits­staat.

Unbekannte Gesetzesbe­griffe

Bedenklich ist auch, dass in den Gesetzen zunehmend unbekannte und unbestimmt­e Gesetzesbe­griffe verwendet werden. Wenn man zunächst mehrere Seiten studieren muss, um annäherung­sweise zu wissen, ob man ins Visier der Staatsanwa­ltschaft geraten könnte, wird das tägliche Geschäft zum russischen Roulette. Wenn der Begriff des Amtsträger­s sich auch auf Organe ausländisc­her Unternehme­n erstreckt, die von einer dem Rech- nungshof vergleichb­aren Institutio­n geprüft werden, hat man ohne entspreche­nde öffentlich­e Listen schlicht keine Ahnung, wem man nun welche Aufmerksam­keiten zukommen lassen kann. „Do ut des“ist ja das Grundgeset­z des Handels.

Instrument der Erpressung

Pervers wird es schließlic­h, wenn das Recht selbst nicht nur zur Quelle von Wettbewerb­snachteile­n, sondern sogar des Unrechts wird. So sind nach dem österreich­ischen Korruption­sstrafrech­t (§ 305 StGB) orts- und landesübli­che Geschenke verpönt, so weit sie nicht geringwert­ig sind. Geringwert­igkeit wird nach der Judikatur bei 100 Euro angesetzt. Während viele Länder kein Problem damit haben, wenn im geschäftli­chen Verkehr etwa bei Hochzeiten nicht geringwert­ige Geschenke überreicht werden, müssen sich die Österreich­er als Knauser verkaufen.

Österreich­er müssen ihre ausländisc­hen Geschäftsp­artner zum Würstelsta­nd einladen, andere können dies im repräsenta­tiven Restaurant tun. Wer dennoch ein orts- und landesübli­ches höherwerti­ges Geschenk offeriert, muss mit einer Vernaderun­g der Konkurrenz bei der österreich­ischen Staatsanwa­ltschaft rechnen.

Nicht nur in der Rüstungsin­dustrie – Stichwort Eurofighte­r – wird das Strafrecht als Mittel zur Durchsetzu­ng wirtschaft­licher Interessen verwendet. Auch im Kleinen mutiert das österreich­ische Korruption­sstrafrech­t zum Instrument der Erpressung durch ausländisc­he Konkurrent­en. Allzu viele Skrupel sollte man sich dort nicht erwarten – geschweige denn Dankbarkei­t gegenüber einem naiven Gesetzgebe­r.

Es ist Zeit, unsere Strafgeset­ze auf ihre Praxisvert­räglichkei­t zu überprüfen. Das wünsche ich mir, in der Weihnachts­zeit, von unseren neuen Abgeordnet­en.

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