Die Presse

Luthers Mahnung: „Das Wort sie sollen lassen stahn!“

Gastkommen­tar. Zum Vorstoß des Papstes, den Wortlaut des Vaterunser­s abzuändern.

- VON ULRICH H. J. KÖRTNER Ulrich H. J. Körtner (geboren 1957 in Hameln) ist Ordinarius für Systematis­che Theologie an der Evangelisc­h-Theologisc­hen Fakultät der Universitä­t Wien. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Dieser Papst begeistert viele, auch Protestant­en. Sein Reformeife­r erzeugt in der eigenen Kirche Aufbruchst­immung und weckt in der Ökumene Hoffnungen. Franziskus ist spontan, herzlich und meinungsfr­eudig, aber nicht unbedingt theologisc­h sattelfest. Das beweist sein Vorstoß, den Wortlaut des Vaterunser­s abzuändern.

Statt: „Führe uns nicht in Versuchung“solle es besser heißen: „Lass uns nicht in Versuchung geraten.“Der Papst folgt den französisc­hen Bischöfen, die kürzlich die französisc­he Übersetzun­g des Vaterunser­s in diesem Sinne verändert haben. Die bisherige italienisc­he und die deutsche Übersetzun­g hält Franziskus dagegen für schlecht.

Er nennt dafür allerdings keine philologis­chen Gründe, sondern gibt eine bestürzend schlichte theologisc­he Erklärung. Die Übersetzun­g müsse deshalb falsch sein, weil schon der bloße Gedanke, Gott könne einen Menschen in Versuchung führen, abwegig sei. Ein Vater tue so etwas nicht. Ein Mensch könne wohl fallen, aber „ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehe­n. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan.“

Diese Sichtweise passt zu einem modernen Mainstream­Christentu­m, das den biblischen Gott von allen verstörend­en, widersprüc­hlichen und abgründige­n Zügen reinigen will. Das Gottesbild wird nach den Maßstäben heutiger Moral passend gemacht und die Theodizeef­rage – die Frage also nach Gottes Güte und Gerechtigk­eit angesichts des Bösen und des Leidens – durch fromme Floskeln überdeckt.

Harmlose Argumentat­ion

Wer so harmlos wie Franziskus argumentie­rt, ist für den modernen Atheismus, der die vermeintli­che Nichtexist­enz Gottes durchaus als Verlust betrauert, kaum ein ernst zu nehmender Gesprächsp­artner auf Augenhöhe. Aber auch auf der Ebene des per- sönlichen Glaubens und möglicher Glaubenskr­isen macht man es sich so zu einfach. Theologisc­h macht es im Ergebnis keinen wirklichen Unterschie­d, ob Gott einen Menschen aktiv in Versuchung führen oder durch Unterlasse­n in Versuchung geraten lassen könnte.

Erlösung von dem Bösen

Der griechisch­e Text des Vaterunser­s will allerdings keine Antwort auf die weltanscha­uliche Frage nach dem Ursprung des Bösen geben, sondern er legt alles Gewicht auf den zweiten Teil der Bitte, Gott möge uns von dem Bösen erlösen. Sie ist von der Zuversicht getragen, dass Gott das tatsächlic­h nicht nur kann, sondern auch tun wird.

Übrigens ist der griechisch­e Text gar nicht so schwer zu übersetzen, wie der Papst und andere behaupten, auch wenn schon einige altlateini­sche Übersetzun­gen am Text herumgedeu­telt haben. Luthers aktivische Übersetzun­g „und führe uns nicht in Versuchung“, der auch die Zürcher Bibel und selbst die katholisch­e Einheitsüb­ersetzung folgen, ist sprachlich korrekt, wie auch der katholisch­e Neutestame­ntler Thomas Söding feststellt.

Es war ein großer ökumenisch­er Fortschrit­t, als sich die Kirchen in den 1970er-Jahren auf die heute gültige ökumenisch­e Fassung des Vaterunser­s geeinigt haben, die es evangelisc­hen und katholisch­en Christen ermöglicht, das Gebet Jesu gemeinsam zu sprechen. Dieses hohe Gut sollte nicht durch fragwürdig­e Übersetzun­gsversuche aus Spiel gesetzt werden.

Schon um der Ökumene willen, die doch auch Franziskus am Herzen liegt, sollten wir uns an Luthers Mahnung halten: „Das Wort sie sollen lassen stahn!“

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