Die Jihadisten des Islamischen Staats haben ihr Reich verloren
Analyse. Der IS hält in Syrien und im Irak nur noch wenige, kaum besiedelte Gebiete. Doch nun könnte die Phase des Untergrundkrieges anbrechen.
Es sind die letzten Gefechte gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS), die weiterhin ihre Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern. 23 Menschen sollen nun bei einem Luftangriff der von den USA geführten Koalition auf das syrische Dorf alJerthi gestorben sein. Das berichtet die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Sohr) in London. Al-Jerthi liegt am Ostufer des Euphrat in der Provinz Deir ez-Zor. Hier, entlang des Flusses, haben die IS-Extremisten noch einige letzte Rückzugsgebiete. Von Osten rücken mit US-Hilfe die Kämpfer der sogenannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) auf sie zu, von Westen her die von Russland und vom Iran unterstützten Truppen des syrischen Regimes. Der IS versucht, diesen Vormarsch zu verzögern. Wirklich stoppen kann er ihn wohl nicht mehr.
Lang hatte die Propagandaabteilung der Jihadistenorganisation der ganzen Welt ein Bild verkauft: das des unbesiegbaren IS-Kämpfers, der in Todesverachtung im TÜRKEI Geländefahrzeug mit wehender schwarzer Flagge heranbraust und den bis ins Mark erschütterten Feind in die Flucht schlägt. Doch von diesem Mythos ist nichts mehr übriggeblieben. Im Herbst 2014 hatte sich das Reich der Extremisten noch über weite Teile Syriens und des Irak gezogen. Nun liegt dieses vom IS eigenmächtig ausgerufene „Kalifat“in Trümmern.
Nach einer Großoffensive irakischer Regierungstruppen und kurdischer Peschmerga, die von den USA unterstützt wurden, verloren die Jihadisten im Juli ihre nordirakische Hochburg Mossul. Im Oktober wurden sie dann von den SDF mit amerikanischer Hilfe aus ihrer Hauptstadt in Syrien, Raqqa, vertrieben. Anfang November sprengten syrische Truppen und verbündete Milizen mit russischer Luftunterstützung den ISBelagerungsring um die Stadt Deir ez-Zor in Ostsyrien. Mitte November meldete die syrische Regierung dann die Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Abu Kamal an der Grenze zum Irak.
Damit kontrolliert der IS in Syrien nur noch einige Ortschaften entlang des Euphrat und ein kleines Gebiet nordöstlich von Homs. Dazu kommen weitgehend unbewohnte Gegenden östlich von Palmyra und entlang der syrisch-irakischen Grenze. Dorthin sollen einige IS-Anführer mit ihren letzten Getreuen geflohen sein.
Russland hat bereits den Sieg über den IS in Syrien verkündet, und am Wochenende feierte auch Iraks Regierung mit einer Siegesparade in Bagdad die Niederlage der Jihadisten. Auch wenn der IS sein einstiges Herrschaftsgebiet verloren hat, so könnte er doch weiterhin militärisch aktiv bleiben.
Die Zeit der Eroberungszüge durch die Extremisten ist vorbei. Nun könnte erneut die Phase des Untergrundkrieges anbrechen. ISKämpfer haben sich nicht nur in verlassene Landstriche in Syrien und im Irak zurückgezogen. Viele von ihnen sind auch in den Städten untergetaucht. Ihre Terrorzellen schlagen immer wieder zu. Ende November sprengte sich ein IS-Selbstmordattentäter in der Region Nahrawan südöstlich von Bagdad in die Luft und riss etwa 20 Menschen mit in den Tod. Und die schiitischen Viertel der irakischen Hauptstadt sind seit Jahren immer wieder Ziel von Anschlägen.
Politische Lösung fehlt
Ob es den Jihadisten gelingen wird, mit ihrer Ideologie und mit Teilen ihrer Strukturen zu überleben, hängt vor allem auch von der künftigen politischen Lage in Syrien und im Irak ab. Es waren die massiven Probleme in beiden Ländern, die den Extremisten Aufwind verschafften. In Syrien kaperten der IS – und andere jihadistische Gruppen – den anfangs breiten Aufstand gegen Machthaber Bashar al-Assad. Und im Irak setzte sich der IS an die Spitze einer Revolte unzufriedener sunnitischer Stämme und Ex-Anhänger Saddam Husseins gegen die schiitisch geprägte Zentralregierung. Ohne eine politische Lösung und raschen Wiederaufbau könnte nun in den Trümmern von Mossul der Keim für eine neue gewaltsame Bewegung heranwachsen.