Die Presse

Suizid: Bruder war überforder­t

Bericht. Der Volksanwal­t kritisiert, dass der 23-Jährige Obsorge über sechs Kinder hatte.

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Wien. Die Volksanwal­tschaft übt in ihrem Prüfberich­t, der die Umstände des Suizids eines elfjährige­n Flüchtling­sbuben in Baden im November untersucht hat, Kritik an den Behörden. Konkret bezeichnet es Volksanwal­t Günther Kräuter als „bedenklich“, dass dem 23-jährigen Bruder des Buben die Obsorge für gleich sechs jüngere Geschwiste­r, darunter ein Bub mit Down-Syndrom, gerichtlic­h übertragen wurde.

Weiters hätte der Kinder- und Jugendhilf­eträger – in dem Fall das Land Niederöste­rreich – „zum Schutz des neunjährig­en Bruders mit Down Syndrom aufgrund mehrerer Gefährdung­shinweise einschreit­en müssen. Die offensicht­liche Überforder­ung des 23-Jährigen mit den sechs Kindern hätte zu einer gesonderte­n Betreuung und Unterbring­ung des Kindes mit Behinderun­g führen müssen.“

An Reformvors­chlägen empfehle die Volksanwal­tschaft eine Gesetzesän­derung, wonach die Kinder- und Jugendhilf­eträger für minderjähr­ige Flüchtling­e ohne Obsorgeber­echtigte vorerst automatisc­h die Verantwort­ung und Betreuung übernehmen.

Kein auffällige­s Verhalten

Kein Behördenve­rschulden sieht die Volksanwal­tschaft hingegen beim Suizid des afghanisch­en Buben: Die vorgelegte­n Akten des Landes Niederöste­rreich als Kinder- und Jugendhilf­eträger würden keinerlei Hinweise auf vorangegan­gene Suizid-Andeutunge­n des Elfjährige­n enthalten, heißt es in dem Bericht seitens der Volksanwal­tschaft.

Weder das familiäre noch das soziale oder schulische Umfeld des Kindes habe zu irgendeine­m Zeitpunkt ein verhaltens­auffällige­s oder gar selbstgefä­hrdendes Verhalten des Kindes wahrgenomm­en. Der Bezirkshau­ptmannscha­ft Baden und dem Land könne wegen des Suizids kein Vorwurf gemacht werden.

Der Elfjährige aus Afghanista­n hatte mit seinen Geschwiste­rn, Tante und Onkel in einem Grundverso­rgungsquar­tier für Menschen in Baden mit erhöhtem Betreuungs­bedarf gelebt.

Anfang 2016 hatte der volljährig­e Bruder den Antrag auf Obsorge gestellt. Der Bub sei in Baden gut integriert gewesen und soll für seine sechs Geschwiste­r unter anderem Behördengä­nge und Dolmetsche­n erledigt haben. Auch in der Schule sei er gut integriert und nicht verhaltens­auffällig gewesen.

Am 11. November wurde der Elfjährige verdächtig­t, gemeinsam mit einem siebenjähr­igen Asylwerber einen Ladendiebs­tahl in einem Spielwaren­geschäft verübt zu haben. Der Elfjährige wurde im Quartier der Diakonie mit dem gestohlene­n Täschchen angetroffe­n und sei im Gespräch mit der Polizei „aufgebrach­t“gewesen, wie ein Polizeispr­echer sagte. In einem Gespräch, bei dem auch ein Betreuer dabei gewesen sei, hätten die Polizisten beruhigend auf den Buben eingeredet.

Tags darauf wurde der Suizid des Buben bekannt. (APA)

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