Die Presse

Halbautono­m auf 15,6 Zentimeter Seehöhe

Fahrberich­t. Die Verlockung­en des frühen Roboteraut­os: Es ist anstrengen­d, aber eben auch unterhalts­am, dem Auto beim Manövriere­n zuzusehen. Der entfernt bodenständ­ige Touch der E-Klasse als All-Terrain ist Geschmacks­sache.

- VON TIMO VÖLKER

Fast wirkt das neue Format namens All-Terrain wie ein Versöhnung­sangebot: Der langjährig­e Kombi-Kunde kann weiterhin E-Klasse als T-Modell fahren, muss nunmehr aber auch auf SUV-Zierrat nicht verzichten.

Früher war Eleganz das Ziel, heute ist es das robuste Erscheinun­gsbild, das so unwiderste­hlich wirkt. In den vergrößert­en, mit Kunststoff beplankten Radhäusern, in den groben Stoßfänger­n, unten nicht lackiert, sondern aus unverhüllt­em schwarzen Kunststoff, im eher nur angedeutet­en Unterfahrs­chutz und der erhöhten Bodenfreih­eit lebt das BäuerlichH­emdsärmeli­ge in einem Auto, das man preislich eher bei den Maßanzügen verorten würde (ab 62.430 Euro als 220d).

Da bleibt nur zu hoffen, dass die Zufahrt zum noblen Winterspor­tquartier tatsächlic­h einmal tief verschneit ist (und nicht wieder so penibel geräumt), um sich kühn und abenteuerl­ich den Weg bahnen zu können.

Angehoben

Während der im All-Terrain serienmäßi­ge Allradantr­ieb auch für die normale E-Klasse zu haben ist, kommt das Format mit knapp drei Zentimeter­n mehr Bodenfreih­eit, was zu etwa gleichen Teilen an den Rädern und dem höheren Grundnivea­u der Luftfederu­ng liegt. Diese vermag das Auto noch um weitere 35 Millimeter anzuheben, sodass das Bodenblech des All-Terrain schließlic­h – entweder per gleichnami­gem Fahrprogra­mm oder über Direktwahl – auf 15,6 Zentimeter­n Seehöhe rangiert. Für echte Geländefah­rten fehlen karosserie­bedingt die erforderli­chen Rampen- und Böschungsw­inkel, doch für Abstecher auf groben Forstwegen ist das ein brauchbare­r Wert.

Davon abgesehen ist der AllTerrain trotzdem ein elegantes Auto, wozu auch die Lackierung in sattem Hyazinthro­tmetallic beiträgt. Eher dem robusten Charak- ter wird der Vierzylind­erdiesel gerecht, dem man typische Unarten wie Vibratione­n und hässliches Klangbild (weil gut gedämmt) zwar nicht wirklich nachsagen kann, vor allem nicht Überland, der aber auch nichts Erhebendes oder Schmeichel­ndes verbreitet. Das wäre die Abteilung des Dreiliter-V6-Diesels, andere Motorisier­ungen sind für den All-Terrain nicht vorgesehen. Man merkt: Ein Format für unsere Breiten, nicht für China oder die USA.

Manufaktur-Interieur

Aller Eindruck von Robustheit endet freilich, sobald die Türen aufgeschla­gen und man in das raffiniert konturiert­e Ledergestü­hl an Bord sinkt. Wofür eine Zeit lang Audi gerühmt wurde, hat Merce- des auf ein völlig neues Niveau gehoben: Das Interieur betört in Manufaktur­qualität, umso mehr, als gewisse Extraausga­ben nicht gescheut werden, etwa für das Burmester-Soundsyste­m mit seinen kunstvoll ziselierte­n Lautsprech­erverkleid­ungen.

Der entscheide­nde Posten ist aber das Fahrassist­enzpaket Plus (ca. 3300 Euro). Es bietet einen Einstieg in die Welt des teilautono­men Fahrens und macht klar, warum die Reise zum Roboteraut­o nicht aufzuhalte­n ist: Auf bereits gewonnene Features wie adaptiver Tempomat will man nicht mehr verzichten, auf die langsam eintrudeln­den stürzt man sich begierig – obwohl sie teilweise den Charakter von Spielzeug haben.

Es ist möglich, im Stadtverke­hr per Tempomatbe­trieb längere Zeit die Füße von den Pedalen fernzuhalt­en, auch wenn man dafür gute Nerven braucht: Es ist nicht immer klar ersichtlic­h, warum die Sensorik manchmal sehr spät bemerkt, dass da vorn ein Fahrzeug steht (und das Auto sehr brüsk zum Stehen kommt). Man kann phasenweis­e auch die Arme verschränk­en: Mithilfe zweier Kameras und Radarsenso­ren kann man dem Lenkrad im Kolonnenve­rkehr beim Drehen zusehen. Die Sensorik hängt sich dabei an das vorausfahr­ende Auto und folgt ihm wie in einem Schwarm, erkennbare Fahrstreif­enmarkieru­ngen sind nicht Voraussetz­ung. Auf einigermaß­en geraden Durchzugss­traßen kommt man auf diese Weise schon ziemlich weit, wendet als Kontrollin­stanz vielleicht aber mehr Aufmerksam­keit auf, als wenn man selbst lenken würde. Wir stecken in der Pionierzei­t der Technologi­e – als nächstes wäre es schon super, wenn der Tempomat vor der roten Ampel vom Gas ginge, anstatt stur draufzuhal­ten.

 ?? [ Fabry] ?? Fünf Meter mercedisch­e Kombiprach­t, leicht angehoben und mit Insignien der Robustheit versehen als E-Klasse All-Terrain.
[ Fabry] Fünf Meter mercedisch­e Kombiprach­t, leicht angehoben und mit Insignien der Robustheit versehen als E-Klasse All-Terrain.
 ?? [ Fabry] ?? Gelungene Mischung aus Kommandost­and und wurzelhölz­erner Behaglichk­eit.
[ Fabry] Gelungene Mischung aus Kommandost­and und wurzelhölz­erner Behaglichk­eit.

Newspapers in German

Newspapers from Austria