Halbautonom auf 15,6 Zentimeter Seehöhe
Fahrbericht. Die Verlockungen des frühen Roboterautos: Es ist anstrengend, aber eben auch unterhaltsam, dem Auto beim Manövrieren zuzusehen. Der entfernt bodenständige Touch der E-Klasse als All-Terrain ist Geschmackssache.
Fast wirkt das neue Format namens All-Terrain wie ein Versöhnungsangebot: Der langjährige Kombi-Kunde kann weiterhin E-Klasse als T-Modell fahren, muss nunmehr aber auch auf SUV-Zierrat nicht verzichten.
Früher war Eleganz das Ziel, heute ist es das robuste Erscheinungsbild, das so unwiderstehlich wirkt. In den vergrößerten, mit Kunststoff beplankten Radhäusern, in den groben Stoßfängern, unten nicht lackiert, sondern aus unverhülltem schwarzen Kunststoff, im eher nur angedeuteten Unterfahrschutz und der erhöhten Bodenfreiheit lebt das BäuerlichHemdsärmelige in einem Auto, das man preislich eher bei den Maßanzügen verorten würde (ab 62.430 Euro als 220d).
Da bleibt nur zu hoffen, dass die Zufahrt zum noblen Wintersportquartier tatsächlich einmal tief verschneit ist (und nicht wieder so penibel geräumt), um sich kühn und abenteuerlich den Weg bahnen zu können.
Angehoben
Während der im All-Terrain serienmäßige Allradantrieb auch für die normale E-Klasse zu haben ist, kommt das Format mit knapp drei Zentimetern mehr Bodenfreiheit, was zu etwa gleichen Teilen an den Rädern und dem höheren Grundniveau der Luftfederung liegt. Diese vermag das Auto noch um weitere 35 Millimeter anzuheben, sodass das Bodenblech des All-Terrain schließlich – entweder per gleichnamigem Fahrprogramm oder über Direktwahl – auf 15,6 Zentimetern Seehöhe rangiert. Für echte Geländefahrten fehlen karosseriebedingt die erforderlichen Rampen- und Böschungswinkel, doch für Abstecher auf groben Forstwegen ist das ein brauchbarer Wert.
Davon abgesehen ist der AllTerrain trotzdem ein elegantes Auto, wozu auch die Lackierung in sattem Hyazinthrotmetallic beiträgt. Eher dem robusten Charak- ter wird der Vierzylinderdiesel gerecht, dem man typische Unarten wie Vibrationen und hässliches Klangbild (weil gut gedämmt) zwar nicht wirklich nachsagen kann, vor allem nicht Überland, der aber auch nichts Erhebendes oder Schmeichelndes verbreitet. Das wäre die Abteilung des Dreiliter-V6-Diesels, andere Motorisierungen sind für den All-Terrain nicht vorgesehen. Man merkt: Ein Format für unsere Breiten, nicht für China oder die USA.
Manufaktur-Interieur
Aller Eindruck von Robustheit endet freilich, sobald die Türen aufgeschlagen und man in das raffiniert konturierte Ledergestühl an Bord sinkt. Wofür eine Zeit lang Audi gerühmt wurde, hat Merce- des auf ein völlig neues Niveau gehoben: Das Interieur betört in Manufakturqualität, umso mehr, als gewisse Extraausgaben nicht gescheut werden, etwa für das Burmester-Soundsystem mit seinen kunstvoll ziselierten Lautsprecherverkleidungen.
Der entscheidende Posten ist aber das Fahrassistenzpaket Plus (ca. 3300 Euro). Es bietet einen Einstieg in die Welt des teilautonomen Fahrens und macht klar, warum die Reise zum Roboterauto nicht aufzuhalten ist: Auf bereits gewonnene Features wie adaptiver Tempomat will man nicht mehr verzichten, auf die langsam eintrudelnden stürzt man sich begierig – obwohl sie teilweise den Charakter von Spielzeug haben.
Es ist möglich, im Stadtverkehr per Tempomatbetrieb längere Zeit die Füße von den Pedalen fernzuhalten, auch wenn man dafür gute Nerven braucht: Es ist nicht immer klar ersichtlich, warum die Sensorik manchmal sehr spät bemerkt, dass da vorn ein Fahrzeug steht (und das Auto sehr brüsk zum Stehen kommt). Man kann phasenweise auch die Arme verschränken: Mithilfe zweier Kameras und Radarsensoren kann man dem Lenkrad im Kolonnenverkehr beim Drehen zusehen. Die Sensorik hängt sich dabei an das vorausfahrende Auto und folgt ihm wie in einem Schwarm, erkennbare Fahrstreifenmarkierungen sind nicht Voraussetzung. Auf einigermaßen geraden Durchzugsstraßen kommt man auf diese Weise schon ziemlich weit, wendet als Kontrollinstanz vielleicht aber mehr Aufmerksamkeit auf, als wenn man selbst lenken würde. Wir stecken in der Pionierzeit der Technologie – als nächstes wäre es schon super, wenn der Tempomat vor der roten Ampel vom Gas ginge, anstatt stur draufzuhalten.